Der Diplom-Ingenieur, der den Euro regierte

Der Diplom-Ingenieur, der den Euro regierte
Mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet verlässt ein typischer Vertreter der französischen "Enarchen" die wichtigste Euro-Institution. Bei den Freunden von Risiko-Anlagen war er nie sonderlich beliebt.
31.10.2011
Von Hermannus Pfeiffer

Zocker weinen dem scheidenden Chef der Europäischen Zentralbank keine Träne nach. Er solle den Leitzins auf Null senken, hatte beispielsweise der populäre Pariser Gegenspieler Trichets, der verrufene Börsenspekulant Edouard Carmignac, immer wieder lautstark gefordert. Null-Zinsen sind ein Paradies für Finanzjongleure: Den Kredit für ihre riskanten Geschäfte gibt es dann umsonst und die Kurse vieler Zockerpapiere steigen wie von selbst. Mit Jean-Claude Trichet war jedoch kein guter Deal zu machen - in der Ägide des EZB-Präsidenten blieben die Zinssätze selbst in der größten Wirtschaftskrise seit 66 Jahren weit höher als im hoch verschuldeten Japan oder den Vereinigten Staaten.

Der Sohn eines bretonischen Universitätslehrers und einer Hausfrau war den typischen Lebensweg marschiert, wie er in den bürgerlichen französischen Eliten seit 1945 üblich ist. Anders als in angelsächsischen Ländern gilt nicht die Privatwirtschaft als lohnenstes Ziel, sondern der Dienst für Staat und Vaterland. Posten in der Wirtschaft, etwa 1992 die Führung der Großbank BNP, lehnte der studierte Ingenieur dankend ab. Wiewohl literarisch ambitioniert, hatte Trichet an der naturwissenschaftlichen, auf Ämter in der Staatswirtschaft ausgerichteten École nationale supérieure des mines in Nantes studiert und schloss als Diplom-Ingenieur ab.

In der Gemeinschaft der Elite-Absolventen

Nach ersten Berufsjahren besuchte Trichet nahe der deutschen Grenze in Straßburg bis 1971 die berühmte Eliteuniversität École nationale d'administration (ENA). Zu der langen Liste an prominenten Absolventen zählen Dominique Strauss-Kahn, kürzlich über eine Sex-Affäre gestürzter ex-Chef des Internationalen Währungsfonds IWF, der neue Spitzenkandidat der Sozialisten für die Präsidentenwahl, François Hollande, und Jacques Chirac, ehemaliger Staatspräsident. Chirac wird Trichet in der EU als EZB-Präsidenten durchsetzen

[listbox:title=Der neue Präsident der Europäischen Zentralbank: Mario Draghi[Auch die Macht des Italieners Mario Draghi wird begrenzt sein. So wird er von den Regierungen der Mitgliedsstaaten ernannt. Draghi wird dann zwar wie Vorgänger und "Taube" Trichet exklusiv für die Außendarstellung der Europäischen Zentralbank zuständig sein und er leitet das geschäftsführende Direktorium so wie Frau Merkel ihre Bundesregierung; doch Draghi braucht für jede Entscheidung von Rang eine Mehrheit im 23-köpfigen EZB-Rat, in dem "Tauben" und "Falken" der Geldpolitik herumflattern. Neben Draghis Direktoren sitzen im EZB-Rat die 17 Notenbankchefs der Mitgliedsstaaten, darunter "Falken" wie Bundesbank-Boss Weidmann, dem Preisstabilität über alles geht und der gerne höhere Leitzinsen sähe. Aber auch zukünftig dürften die "Tauben" die Mehrheit in der EZB stellen. Mario Draghi wird daher keinen Kurswechsel vollziehen.]]

ENA-Absolventen müssen jahrelang im französischen Staatsdienst arbeiten. Das tat der Tennisspieler Trichet unter verschiedenen Herren - dem Sozialisten François Mitterand oder dem gaullistischen Finanzminister Edouard Balladur, der ebenfalls zu den "enarques" ("Enarchen") genannten Elite-Absolventen gehört. Doch obwohl Trichet als Beamter über die Jahre mancherlei Herren verpflichtet war, diente er vor allem dem Staat: Weil er sich für Gerechtigkeit einsetzte, hatten ihn schon seine Kommilitonen in Anlehnung an den französischen Comic-Helden Asterix "Justix" genannt; im Studium gehörte er der linken Partei PSU an, die Mitterand unterstützte und später in seiner sozialistischen Partei aufging.

Finanzakrobaten verärgert

Ganz kappte Trichet seine linken Wurzeln wohl nie. Als seine Präsidentschaft in der Europäischen Zentralbank dem Ende zugeht, wird ein Beobachter nach einem Vortrag notieren: "ein Linker". Als Notenbankchef in Frankreich hatte er aus der Weichwährung Franc eine Hartwährung á la Deutscher Mark gemacht. Das mag vor allem linken Ohren in Deutschland befremdlich klingen, es sicherte aber der Grande Nation einen Platz auf Augenhöhe mit dem reichen Bruder, der einst als Erzfeind galt - und es verärgerte Zocker wie Carmignac. Trichet begründet dabei seinen Stabilitätskurs nicht wirtschaftsliberal, sondern sozial: Das Kapital werde nur auf Grundlage stabiler Preise investieren und zu Wachstum und Arbeitsplätzen beitragen.

Preisstabilität und harte Währung erfordern jedoch hohe Leitzinsen von der Notenbank. Diese wiederum können die Konjunktur abwürgen, weil sie Kredite verteuern, kontern Kritiker wie Rudolf Hickel, die eine Inflation von etwa fünf Prozent für durchaus verträglich halten. Trichet duldete aber nur "unter, aber nahe zwei Prozent". Ein Spiel, das Trichet letztlich verlor: Steigende Rohstoffpreise und eine überraschend gute Konjunktur sorgten dafür, dass bis zum September 2011 die Inflationsrate auf drei Prozent kletterte.

Ein kühner Plan schlug fehl

In den achtziger Jahren hatte EU-Kommissionspräsident Jacques Delors seinen kühnen Plan durchgedrückt, dass eine gemeinsame Währung nicht am Ende der Einigung Europas stehen, sondern als Antriebsmaschine dafür wirken solle. Ein Geburtsfehler, wie der französische Sozialist Delors heute zugibt: "Der Euro und Europa stehen am Abgrund", warnte er kürzlich, nur eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit könne die Gemeinschaftwährung noch retten.

Delors hatte einst wie Trichet heute eine solche gemeinsame Wirtschaftspolitik in Form eines europäischen Finanzministeriums gefordert, um die letztlich verheerenden Unterschiede in Wirtschaftskraft und Sozialpolitik zwischen großen und kleinen, armen und reichen Mitgliedsländern weitgehend auszugleichen. Das bremsende Großbritannien mit seiner Investmentmetropole London und eine eher neoliberale Mehrheit unter den Regierungen und im Europaparlament verwässerten jedoch Delors Pläne. Übrig blieb einzig das Dogma der stabilen Preise und damit einer harten Währung auch für Sparer und Rentner, das der EZB mit dem Maastricht-Vertrag 1992 in die Wiege gelegt wurde.

Trichet, der seit 1965 mit Aline verheiratet ist und Goethe gerne auf Deutsch liest, hält die Finanzmärkte eher für Geister, die wir nun nicht mehr loswerden. "Im privaten Finanzsektor ist das Handeln oft von kurzfristiger Gewinnorientierung geleitet", geißelte der - je nach Sichtweise - Zauberlehrling oder -meister die Zockermentalität der Finanzbranche. Diese "exzessive Kurzfristorientierung" sei eine schreckliche Fehlentwicklung. Und Gewinne sollten nicht für horrende Bonuszahlungen verwendet werden, sondern für die Kreditversorgung der Wirtschaft.

In der Nacht des vergangenen Donnerstags entschied Jean-Claude Trichet noch über die billionenschwere Euro-Rettung in Brüssel mit. Am Montag dieser Woche ist sein letzter Arbeitstag in Frankfurt am Main. Nicht nur seine Unterschrift auf den Euro-Banknoten wird uns noch lange begleiten.


Hermannus Pfeiffer arbeitet als freier Wirtschaftspublizist in Hamburg.