Verkehrte Welt: Deutsche Millionäre für höhere Steuern

Verkehrte Welt: Deutsche Millionäre für höhere Steuern
Während manche in der Bundesregierung trotz einer Rekord-Staatsverschuldung die Steuern senken möchten, widersprechen Wohlhabende öffentlich und fordern sogar höhere Abgaben. Der Staat brauche das Geld - und der Abstand zwischen Arm und Reich sei schon jetzt viel zu groß. Sind das lauter Verrückte, die da freiwillig bluten möchten? Bei genauem Hinsehen wirkt der Ruf der Reichen nach Steuererhöhungen ziemlich vernünftig.
07.09.2011
Von Thomas Östreicher

Dass man Jürgen Hunke für einen Spinner hält, ist er gewohnt, sagt er. Vor allem seine wohlhabenden Bekannten neigen dazu, mit der flachen Hand vor dem Gesicht zu wedeln, wenn er mal wieder darüber doziert, dass es den Reichen, genauer: den Superreichen im Land viel zu gut gehe.

Dabei ist der Hamburger Unternehmer, Buchautor, Sportfunktionär, Kunstsammler und Verleger für ausgefallene Ideen bekannt. Die 1993 von ihm mitgegründete Statt Partei schaffte es in kurzer Zeit in die Bürgerschaft und wurde von den damals regierenden Sozialdemokraten am Senat beteiligt.

Zukunft für die Jungen

Als im Jahr darauf die Stadt kein Geld mehr für ihre Kammerspiele hatte, kaufte Hunke (Foto u.: dpa/Malte Christians) das Theater kurzerhand, sanierte es für viel Geld und rettete es so vor dem Ruin. Schon damals mahnte der Millionär, Reiche sollten mehr soziale Verantwortung zeigen, und so war es kein Wunder, dass er als einer der wenigen auf die Frage der Wochenzeitung "Die Zeit" reagierte, die wissen wollte: "Würden Sie eine höhere Steuerbelastung akzeptieren, wenn sie dazu diente, die Staatsverschuldung zu senken?"

Jürgen Hunkes Antwort: ein klares Ja. Im Gespräch mit evangelisch.de nennt er noch eine ganze Reihe anderer Problemfelder: Dass sich in seiner Stadt der Anteil der 60-Jährigen, die sich die Miete nicht mehr leisten können und deswegen zum Sozialamt gehen müssen, im vergangenen Jahrzehnt verdreifacht habe, beispielsweise.

Auch dass die am stärksten Betroffenen der heutigen Steuergesetzgebung die heute 30-, 40-Jährigen seien, denen die Zukunft verbaut werde. Und dass die Gesellschaft auseinanderfalle, "wenn wir die Schwächeren nicht mitnehmen" - während zur selben Zeit im Hamburger Hafen Luxusjachten für Hunderte Millionen Euro montiert werden.

"Dass die Einkommensschere immer mehr auseinandergeht, das darf nicht sein", ist Hunke überzeugt. Er spricht mit Nachdruck und hastig, so sehr drängt ihn das Thema. "Irgendwo muss es ein Stopp geben. Und es muss eine große gesellschaftliche Diskussion daraus werden, damit wir von den Folgen nicht eines Tages überrollt werden." Am Beispiel England sehe man, wie soziale Ungleichheit zu unkontrollierter Wut führe.

Jürgen Hunke plädiert für eine erhöhte Erbschaftssteuer, um Schulden abzubauen und den Staat wieder handlungsfähig zu machen. Prozentsätze und Umsetzungsdetails sind ihm dabei weniger wichtig. Hauptsache, es werde ein Zeichen gesetzt: "Wir müssen der nachwachsenden Generation das Signal geben, dass auch sie ein ordentliches Leben führen kann und nicht von einigen wenigen Familien alles abgeschöpft wird." Für ihn sei das "auch ein christlicher Ansatz", so der 68-Jährige, der sich selbst als "ganz strengen lutheranischen Jungen" bezeichnet.

Beständig sinkende Abgaben

Auch der Berliner Peter Vollmer (Foto u.: WDR) argumentiert moralisch. Der Millionär ist mit einer Lehrerin verheiratet, die Erfahrung im Problembezirk Neukölln hat, er selbst lernte als einfacher Malocher die Arbeitswelt kennen. Er hat beobachtet, wie an Sozial- und Bildungsausgaben immer mehr gespart wird, während Reiche seit Jahrzehnten mehr und mehr geschont werden.

"Ich selbst habe am Anfang meines Lebens, als ich geerbt habe, 56 Prozent Spitzensteuersatz gezahlt", erinnert er sich. "Das ging immer weiter runter: auf 53, 48, 45, 42 Prozent, und dann kam der Eklat, dass die Kapitalertragssteuer auf 25 Prozent runtergesetzt und vom Spitzensteuersatz abgekoppelt wurde. Das heißt: Ich zahle verglichen mit der Zeit vor 20 Jahren weniger als die Hälfte der Steuern."

Vor einigen Jahren hat er sich der Initiative "Vermögende für eine Vermögensabgabe" angeschlossen. Ein lockerer Zusammenschluss von rund 50 Reichen trifft sich regelmäßig und überlegt gemeinsam, wie eine gerechtere Verteilung der Abgabenlast aussehen könnte. Das geplante Steueramnestie-Abkommen mit der Schweiz kritisiert die Gruppe als "Freibrief für Steuerbetrüger".

Damit macht man sich verständlicherweise nicht nur Freunde. Auch das ist ein Grund, wieso meist nur Peter Vollmer und der Mitgründer der Initiative, Dieter Lehmkuhl, öffentlich auftreten. Im ARD-Magazin "Monitor" ebenso wie zuletzt im August 2011 im ZDF-Magazin "Frontal21", wo beide für höhere Steuern für Reiche warben.

Leben im Niedrigsteuerland

Vollmer hält das schlicht für ein Gebot der Vernunft in einem Land, in dem Bibliotheken und Schwimmbäder geschlossen werden und Sozialtickets für Busse und Bahnen aus Kostengründen gestrichen werden. Gleichzeitig sei Deutschland ein Niedrigsteuerland, empört er sich gegenüber evangelisch.de: "Alle Besitzsteuern - Grundsteuer, Grunderwerbssteuer, Erbschaftssteuer, Vermögensteuer - zusammengenommen entsprechen in der Bundesrepublik 0,9 Prozent vom Inlandsprodukt, in den OECD-Staaten im Schnitt 1,9 Prozent, in Frankreich mehr als drei, in England über vier Prozent. Und das, obwohl manche Länder gar keine Vermögensteuer haben."

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Was nebenbei zeige, dass das Argument, bei höheren Steuern würden Wohlhabende abwandern, "völliger Quatsch" sei. "Wenn das stimmen würde, müssten ja ständig welche nach Deutschland einwandern, weil ihr Besitz hier besonders wenig versteuert wird", argumentiert Vollmer, der als Kommanditist an einem Verlag beteiligt ist und nach eigenem Bekunden viel mehr Geld besitzt, als er braucht.

"Kapital, das ohne Nutzen um die Welt schwirrt"

Es geht also um Vermögensabgaben, Spitzensteuersätze, Kapitalertrags- und Erbschaftssteuern, die von den Regierungen Kohl und Schröder beständig gesenkt wurden. Die Folge: "Vor zehn Jahren besaßen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung 58 Prozent des Vermögens", sagt Peter Vollmer. "Inzwischen sind es 64 Prozent, manche sprechen von 67 Prozent. Das Auseinanderdriften von Arm und Reich schreitet rapide voran."

Die besonders großen Reichtümer sind für ihn mit ein Auslöser für die aktuelle internationale Finanzkrise. Die Vermögen der oberen zehn Prozent seien so hoch, dass diese Menschen das Geld gar nicht mehr produktiv anlegen könnten. "Deswegen haben die Banken diese ganzen absurden und unanständigen Produkte entwickelt - von Leerverkäufen bis Zertifikaten und weiß der Kuckuck was noch alles. Das Kapital, das ohne Nutzen um die Welt schwirrt, das wird damit immer mehr." Er ist überzeugt: "Dieser Reichtum verursacht selbst die Krise. Wenn wir das begrenzen könnten, würden wir einen Beitrag dazu leisten, dass die Krise sich zumindest nicht verschärft."

Freiwilligkeit reicht nicht

Und wieso geben die reichen Gutmenschen nicht einfach freiwillig mehr ab, als sie gesetzlich müssen? Vollmer und Hunke lachen, wenn man sie danach fragt - sie tun das ja längst. Zugleich verweisen aber auch beide darauf, dass das Geld einiger spendabler Millionäre bei Weitem nicht ausreiche, um das Gemeinwesen zu sichern und vor allem Bildung und soziale Sicherung zu finanzieren. Dafür brauche es nun einmal Gesetze - "so ist der Mensch", seufzt Jürgen Hunke.

"Freiwilligkeit allein bringt es nicht", pflichtet ihm Peter Vollmer bei. Soziales Mäzenatentum nach dem Modell der Vereinigten Staaten findet er obendrein "mittelalterlich und das Gegenteil von Demokratie". Eine Anhebung des Höchststeuersatzes auf 49 Prozent hingegen, haben Experten errechnet, brächte allein 6,2 Milliarden Euro Mehreinnahmen - jährlich.

Wie aufs Stichwort zur aktuellen Diskussion um die Reichenbesteuerung beschloss am 5. September der SPD-Bundesvorstand fast einstimmig die Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz, der Wiedereinführung der Vermögenssteuer und Korrekturen bei der Erbschaftssteuer.

Peter Vollmer fragt sich derweil, ob dieser Beschluss "das Papier wert ist, auf dem er geschrieben steht". Immerhin komme aber "eine Stimmung auf, in der klar wird: Es geht nicht so weiter, dass man an die Reichen nicht rangeht. Das ist eine gute Diskussion."


Thomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.