Volkswirte sehen Talfahrt an Börsen als "Übertreibung"

Volkswirte sehen Talfahrt an Börsen als "Übertreibung"
Volkswirte halten die panikartigen Verkäufe an den weltweiten Börsen für übertrieben und kritisieren ein "Herdenverhalten". Nach Ansicht vieler Experten ist die dramatische Talfahrt der vergangenen Tage nicht gerechtfertigt - weder durch die etwas vorsichtigeren Ausblicke der Unternehmen, noch durch die Schuldenproblematik in Europa oder den USA.

So sind die Kurseinbrüche für Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise nicht nachvollziehbar. Die positiven Signale durch die Kompromisse im US-Schuldenstreit und das jüngste Euro-Rettungspaket seien von den Märkten nicht ausreichend beachtet worden. "Die Sichtweise der Märkte wird sich aber in den nächsten Wochen wieder ausbalancieren", sagte der Ökonom.

Eine Rezession in den USA sei unwahrscheinlich. "Enorm niedrige Zinsen sowie eine höchst expansive Geld- und Finanzpolitik in diesem Jahr werden die US-Wirtschaft stabilisieren und eher eine Expansion erzeugen." Kritischer sei dagegen die Euro-Schuldenkrise. Dass nun auch Italien und Spanien ins Visier der Finanzmärkte rückten, sorge für Irritation bei den Anlegern. "Wenn das eskaliert, kann es zu einem Konjunkturproblem in Europa werden - und das kann die Weltwirtschaft im Moment nicht gebrauchen."

Teils gute Quartalszahlen

Auch Aktienexperte Jürgen Meyer von der SEB Bank hält die Talfahrt an den Börsen für eine Übertreibung. "Die Aktien werden verkauft, weil andere auch schon verkauft haben", sagte der Leiter des Bereichs Euroland-Aktien. Die Quartalszahlen von Unternehmen seien teilweise sehr gut gewesen, gedämpfte Aussichten der Firmen sind aus seiner Sicht kein Grund für die Panik an den Märkten. "Gedämpfte Aussichten sind nichts Neues, das macht jedes seriöse Unternehmen".

Die Schuldenkrisen in den USA und Europa sind aus seiner Sicht ebenfalls kein Grund für die Börsenturbulenzen. "Die Problematik ist nichts Neues, sie hat sich im Laufe der Jahre aufgebaut". "Die Frage ist, wie refinanzieren sich die Staaten, wem greifen sie in die Tasche, das kann schon wehtun, das kann den Konsum belasten. Aber das wird nicht das Ende der Wirtschaft darstellen".

Aus Sicht des Börsenexperten Wolfgang Gerke beschleunigen Computerprogramme, bei denen automatisch mit sogenannter Stopp-Loss-Software ab einem bestimmten Kursniveau Verkäufe einsetzen, den Abwärtstrend an den Börsen. "Das produziert dramatisches Herdenverhalten", sagte der Präsident des Bayerischen Finanz Zentrums der dpa. "Die Märkte werden sich wieder beruhigen, aber das geht nicht von einem Tag auf den anderen".

Deutliche Kritik an Barroso

Scharf kritisierte Gerke, dass EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso öffentlich eine Aufstockung des europäischen Rettungsschirms EFSF verlangt hat. "Das ist unverantwortlich, man versetzt die Märkte in Unruhe und man setzt auch die Kollegen unter Zwang". Auch Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hatte Barrosos Äußerungen kritisiert. "So eine Debatte kommt zur Unzeit. Es ist gerade einmal zwei Wochen her, da wurden weitreichende und gute Beschlüsse gefasst", sagte der Vizekanzler der dpa. Die jüngsten Gipfel-Entscheidungen vom 21. Juli müssten konsequent umgesetzt werden. "Deswegen sehe ich gar keine Notwendigkeit für eine erneute Diskussion."

Verständnis für die Sorgen der Investoren zeigte Unicredit-Chefvolkswirt Andreas Ress. "Es gibt einen synchronen Abwärtstrend bei der Konjunktur in den USA, Lateinamerika, Asien und Europa", sagte er. Zwar rechne Unicredit nicht mit einer weltweiten Rezession. "In den USA beträgt die Wahrscheinlichkeit einer Rezession allerdings 50 Prozent".

dpa