"Die Debatte ist von großem gegenseitigem Respekt geprägt"

"Die Debatte ist von großem gegenseitigem Respekt geprägt"
Es sind die Sternstunden des Parlamentarismus: wenn der Fraktionszwang aufgehoben wird und die Abgeordneten im Bundestag nicht nach Parteiräson reden, sondern nur ihrem Gewissen folgen. Bei Fragen des Lebens zu dessen Beginn und dessen Ende ist dies die Regel: bei Stammzellenforschung, Abtreibung, Patientenverfügung. Auch die Debatte zur Präimplantationsdiagnostik (PID) am nächsten Donnerstag wird wohl im Nachhinein wieder als Sternstunde bezeichnet werden.
01.07.2011
Von Jutta Wagemann

Einige Parlamentarier beschäftigen sich seit Jahren mit den umstrittenen Gentests an Embryonen, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind. Viele haben mit sich gerungen, manche ihre Position geändert. Die Zahl der Befürworter eines PID-Verbots ist derzeit etwas genauso groß wie die Zahl jener Abgeordneten, die für eine Zulassung unter Auflagen plädieren. 178 der 620 Abgeordneten haben sich noch nicht festgelegt.

"Die Debatte ist von großem, gegenseitigen Respekt geprägt", sagt der CSU-Abgeordnete Johannes Singhammer. Die Absprachen in den drei Gruppen, die jeweils Mitglieder aus allen Fraktionen haben, seien sehr angenehm verlaufen. Drei Gesetzentwürfe wurden erarbeitet: In einem Entwurf soll die PID bei schweren Erbkrankheiten zulässig sein. Im zweiten Antrag wird die Zulassung der PID auf nicht lebensfähige Embryonen eingeschränkt. Im dritten Gesetzentwurf wird ein komplettes Verbot der PID gefordert.

Auch das Abstimmungsverfahren ist umstritten

Doch so bedächtig der Tonfall mitunter bei bioethischen Fragen wird, haben die Parlamentarier eine ihrer Kernaufgaben darüber nicht vergessen: Mehrheiten organisieren. Sie wollen jeweils ihren Antrag durchbringen - und gehen dabei durchaus gewieft vor. In den vergangenen Tagen konnten sich die Initiatoren der Anträge nicht auf ein Abstimmungsprocedere verständigen, so dass schließlich der Ältestenrat des Bundestags entscheiden musste.

Das Gremium votierte für das sogenannte Stimmzettel-Verfahren. Danach können die Abgeordneten schriftlich ihre Stimme für einen der drei Anträge abgeben. Erhält keiner der Anträge die absolute Mehrheit, fällt in einer zweiten Abstimmung der Antrag mit den wenigsten Stimmen weg. Dann wird nur noch über zwei Anträge abgestimmt, und es reicht die einfache Mehrheit.

Mit diesem Verfahren ist der Initiator des zweiten Antrags, René Röspel (SPD), erwartungsgemäß nicht einverstanden. Er versteht seinen Gesetzentwurf als Kompromiss zwischen Verbot und weiterer Zulassung der PID. Sowohl bei den Vertretern eines PID-Verbots als auch bei den Befürwortern einer breiteren Zulassung gebe es Abgeordnete, die seinen Antrag als "Rückfallposition" sähen, falls ihr eigener Antrag keine Mehrheit bekomme, sagt Röspel.

Was passiert, wenn kein Antrag eine Mehrheit bekommt?

Daher plädierte er dafür, über alle drei Anträge nacheinander abzustimmen. Erhielte der zuerst abgestimmte Antrag dann keine Mehrheit, könnten sich die Abgeordneten überlegen, lieber dem Kompromiss-Antrag zuzustimmen, um eine Mehrheit für den dritten Antrag zu verhindern. Dieses Verfahren ist jedoch vom Tisch.

Da sowohl Gegner als auch Befürworter der PID fast gleich viele Unterstützer haben, rechnen sich beide Seiten Chancen aus. Mit dem Stimmzettel-Verfahren können sie deshalb gut leben. So kurz vor der Abstimmung will sich ohnehin niemand dazu bekennen, vielleicht bei einer drohenden Niederlage die Lager zu wechseln. Es sei für ihn "in keiner Weise denkbar", für den Röspel-Antrag zu stimmen, sagt Singhammer. Ulrike Flach (FDP), die Initiatorin des Antrags für eine breitere Zulassung, spricht von "Welten, die zwischen uns liegen". Auf keinen Fall könne sie zur Röspel-Gruppe wechseln.

Den Abstimmungsmodus betrachtet die Flach-Gruppe mit der größten Gelassenheit von allen. Denn es könnte auch passieren, dass kein Antrag eine ausreichende Mehrheit bekommt. Dann gilt weiterhin das Urteil des Bundesgerichtshofs vom Juli vergangenen Jahres. Danach ist die PID in ungefähr den Fällen erlaubt, die auch der Flach-Antrag vorsieht. "Mit dieser Situation könnten wir am ehesten leben", sagt Flach. Sie rechnet jedoch mit einer eindeutigen Mehrheit - für ihren Antrag.

epd