Der fehlende Konsens mit den Atomkonzernen

Der fehlende Konsens mit den Atomkonzernen
Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Atomausstieg von Schwarz-Gelb und dem von Rot-Grün: Der jetzt geplante wurde nicht mit den Atomkonzernen ausgehandelt. Diese drohen mit Klagen, auch ein Wiederanfahren von AKW wäre möglich. Ein "Konjunkturprogramm für Anwälte" oder eine ernsthafte Gefährdung des Ausstiegs?
13.06.2011
Von Georg Ismar

Der RWE-Manager macht seinem Unmut Luft. Von einer "unglaublichen Kapitalvernichtung" spricht der Nuklearfachmann. Und von "zugeklebten Briefkästen im Kanzleramt". Damit spielt er darauf an, dass die Atomkonzerne diesmal keinen direkten Draht zu Angela Merkel hatten. Der Atomausstieg wurde zu einer "genuin politischen Entscheidung", wie es Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) im Vorfeld angekündigt hatte. Aber ohne Risiko ist dies nicht.

Denn während vor elf Jahren SPD und Grüne mit den Konzernen einen Konsens aushandelten, den alle unterzeichneten, gibt es diesmal nur einen Konsens zwischen Parteien. Aus gutem Grund: Unvergessen sind die "Deal-Vorwürfe" bei der Laufzeitverlängerung im Herbst, als es vor dem Beschluss im Kanzleramt Telefonschalten mit den Konzernen gab und die Milliardenzahlungen für ein Festhalten an der Atomkraft bis mindestens 2036 in einem tagelang unter Verschluss gehaltenen Vertrag besiegelt wurden.

Das Atom-Moratorium war nicht juristisch wasserdicht

Einen Reaktorunfall später muss die Regierung hoffen, dass die Konzerne auch mit Blick auf mögliche Wechsel ihrer Kunden zu anderen Anbietern nicht zu sehr auf Krawall gebürstet sind. Zum Lackmustest wird aber auch, ob Union und FDP mit sauberen Gesetzen den Atomlobbyisten erfolgreich die Stirn bieten und hohe Zahlungen, die vom Steuerzahler zu tragen wären, vermeiden können.

Auch wenn es jetzt nur noch eine Nebenbaustelle ist: das in dieser Woche auslaufende Moratorium war von Anfang an juristisch eine recht wacklige Angelegenheit. In Koalitionskreisen fürchtet man, RWE könnte den Meiler Biblis B wieder anfahren. Rechtlich wäre es möglich, da es nach Auslaufen des Moratoriums nicht vor Mitte Juli ein Atomgesetz gibt, welches das endgültige Aus für acht Meiler verfügt. So könnten bis dahin noch einige Millionen an Atom-Euros verdient werden.

Aber das ist eher unwahrscheinlich, da der Imageschaden weit höher wäre. Während Eon sich kleinlauter gibt und vorzeitig mitgeteilt hat, seine im März abgeschalteten Meiler Isar I und Unterweser nicht mehr anzufahren, prangert RWE-Chef Jürgen Großmann getreut dem RWE-Slogan "Vorweg gehen" die Kehrtwende öffentlich deutlicher an. Er warnt vor einer Deindustrialisierung und sieht zugleich Ungereimtheiten beim Atomgesetz.

Die zwei größten Stomkonzerne bereiten ihre Klagen schon vor

Eon und RWE verloren durch den Stillstand ihrer AKW schon während des Moratoriums 400 Millionen Euro. Im Vorfeld verkaufter Atomstrom musste teuer eingekauft werden, um Lieferverträge zu erfüllen. Eine Klage von RWE gegen das Moratorium ist bereits anhängig.

Hinzu kommt die Eon-Klage gegen die Brennelementesteuer von jährlich rund 150 Millionen Euro pro AKW, der sich RWE anschließen könnte. Entscheidend dürfte aber die Frage werden, ob die Abschaltungen bis 2022 in Eigentumsrechte eingreifen. "Das könnte ein Konjunkturprogramm für Anwälte werden", stöhnt ein Regierungsbeamter mit Blick auf mögliche Klagen gegen das Atomgesetz.

Vermögensschäden - womöglich mehrere Milliarden Euro - sollen ausgeglichen werden, fordern die Konzerne. Die Regierung vertraut auf ihre Gesetzesbegründungen, weiß aber, dass die Konzerne wegen des fehlenden Konsenses bereit sind, alle Register zu ziehen. Durch die stufenweise Abschaltung und das sofortige Aus für acht AKW stehen die Unternehmen schlechter da als mit dem rot-grünen Ausstieg.

Fukushima als Neudefinition des Restrisikos

RWE etwa empfindet die Abschaltdaten für die binnen eines halben Jahres 1984 ans Netz gegangenen Reaktoren Gundremmingen B und C als pure Willkür. B soll nun 2017 vom Netz, Block C 2021. Die Regierung hatte nach Druck der Grünen und der Länder eine "Abschalttreppe" eingeführt und begründet dies auch energiewirtschaftlich: Ein Abschalten aller neun noch laufenden Meiler erst 2021/2022 könnte ein zu großes Risiko für das Netz und die Versorgungssicherheit sein.

Letztlich könnte die Regierung bei Klagen auch von einem Urteil aus dem Jahr 1978 profitieren - dem sogenannten Kalkar-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Demnach kann der Gesetzgeber durch neue, zum Zeitpunkt des Gesetzerlasses noch nicht absehbare Risiken die ursprüngliche Entscheidung im Atomgesetz revidieren. Die Regierung definiert nun nach Fukushima das Restrisiko insgesamt neu.

Der Vorsitzende der Ethikkommission, Klaus Töpfer, kann mit Blick auf die Aktionäre das Vorgehen der AKW-Betreiber durchaus verstehen. Er empfiehlt aber, nun nach vorn zu schauen, statt sich in Schlachten um Schadensersatz jahrelang aufzureiben. "Ich glaube, dass man den Interessen der Anteilseigner am besten gerecht wird, wenn die großen Energieversorgungsunternehmen diese Chance einer Energiewende frühzeitig erkennen", sagt der frühere CDU-Bundesumweltminister.

dpa