EHEC: Sprossen aus Niedersachsen unter Verdacht

EHEC: Sprossen aus Niedersachsen unter Verdacht
Spanische Gurken sind nicht die Quelle der tödlichen Krankheit - wohl aber Sprossen aus Norddeutschland? Die Landesregierung in Hannover ist sicher, auf eine heiße Spur gestoßen zu sein.

Nach der Warnung vor Gemüse-Sprossen sollen am Montag mehr Informationen über eine mögliche Quelle des Darmkeims EHEC bekanntgegeben werden. Vor allem Sprossen von einem Biohof in Niedersachsen stehen nun unter Verdacht, die Epidemie ausgelöst zu haben. Auch ein Restaurant in Lübeck ist im Visier der EHEC-Ermittler. Unklar ist, ob noch EHEC-verseuchte Ware im Handel ist. Die Warnung vor Gurken, Tomaten und Blattsalaten gilt bisher weiter. EHEC steht auch beim Treffen der EU-Gesundheitsminister an diesem Montag in Luxemburg auf der Agenda.

Laborergebnisse zu Sprossen noch offen

Ob das Sprossengemüse aus Niedersachsen tatsächlich der Verursacher der EHEC-Seuche in Deutschland ist, steht nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) aber noch nicht sicher fest. "Wir haben zwar deutliche Hinweise darauf, dass ein Betrieb aus Uelzen offensichtlich eine Infektionsquelle ist, aber wir müssen die Bestätigung der Labortests abwarten", sagte Bahr am Sonntag in der ARD-Sendung "Anne Will".

Das niedersächsische Agrarministerium hatte am Sonntag erklärt, dass der Biohof im Ort Bienenbüttel eine mögliche EHEC-Quelle sei. Der Hof vertreibt teils über Zwischenhändler Sprossenmischungen, die nun alle unter Infektionsverdacht stehen. Der letzte Beweis fehlt aber noch, gesicherte Erkenntnissen sollte es diesen Montag geben. Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister sprach am Sonntagabend in der ARD von einer "heißen Spur".

Der EHEC-Keim hat bereits 21 Menschen getötet, vor allem in Norddeutschland. Nach der Fehl-Warnung vor spanischen Gurken ging auch eine Spur zu einem Gasthaus in Lübeck. Der Wirt will diesen Montag Ergebnisse von Stuhlproben seiner Mitarbeiter verkünden. In dem Lokal sollen sich 17 EHEC-Patienten infiziert haben.

Mikrobiologe: Sprossen sehr plausible EHEC-Quelle

Sprossen sind nach Ansicht eines Mikrobiologen als möglicher EHEC-Träger sehr plausibel. "Sprossen waren von Anfang an einer der üblichen Verdächtigen, die man hätte schon von Anfang an verhaften können", sagte Alexander Kekulé von der Universität Halle-Wittenberg am Montag im ARD-"Morgenmagazin". Sie seien ein typisches Gemüse, das auf vielen verschiedenen Mahlzeiten ist, in ganz Deutschland verteilt wird und über längere Zeit immer wieder Infektionen auslösen kann.

"Wir wissen, dass das ein besonders gefährliches Produkt ist", sagte Kekulé. Sprossen seien eine der wenigen Ausnahmen, bei denen wenige Bakterien im Keim sind, während des Wachstums in der Frucht bleiben und nicht von außen abgewaschen werden könnten.

Sollte sich der Verdacht erhärten, sieht der Mikrobiologe eine gute Chancen auf einen Erfolg im Kampf gegen EHEC: "Wir sind jetzt in der Situation, wenn das wirklich stimmt (...), dass wir die Quelle kennen und dann sehr sehr schnell die Epidemie eindämmen können."

Eine Garantie für die Aufklärung der EHEC-Seuche gibt es nach Ansicht von Experten auch nach der Identifizierung von Sprossen als möglichem Verursacher nicht. "Wir können nicht sicher sein, ob es die Sprossen wirklich selber sind", sagte der Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), Andreas Hensel, am Sonntag im ZDF-"heute journal". In drei von vier Fällen führten solche Ausbruchs-Untersuchungen zu keinem Ergebnis.

Kritik am EHEC-Krisenmanagement der Regierung

Angesichts der EHEC-Infektionswelle wächst die Kritik am Krisenmanagement der schwarz-gelben Bundesregierung. "Ich frage mich, was der Gesundheitsminister und die Verbraucherministerin eigentlich machen", sagte die grüne Bundestags-Fraktionschefin Renate Künast der "Berliner Zeitung" (Montag). Die stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Bärbel Höhn erhob ebenfalls schwere Vorwürfe: "Die Regierung hat diese Krise vollkommen unterschätzt und sich weggeduckt. Von den verantwortlichen Ministern war lange nichts zu hören", sagte sie der "Passauer Neuen Presse" (Montag).

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) und Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) wollen sich diese Woche mit den zuständigen Länderministern beraten. Das am Mittwoch geplante Spitzentreffen bezeichnete Künast als "reine Show". Stattdessen brauche Deutschland einen nationalen Kontrollplan mit einer Checkliste möglicher Übertragungswege vom Bauern über die Verarbeitung bis zum Restaurant. Künast kritisierte, bislang würden weder die Suche nach den Infektionsquellen noch die Forschung bundesweit koordiniert.

Es wäre am Anfang viel aussichtsreicher gewesen, den Erreger schnell zu finden, sagte Höhn. "Diese Möglichkeit hat man verschenkt. Jetzt wird es ungleich schwerer." Sie forderte eine bessere Koordinierung der Lebensmittelkontrollen. "Das hätten im Fall von EHEC der Bundesgesundheitsminister oder die Bundesverbraucherschutzministerin übernehmen müssen. Jeder hat die Verantwortung auf den anderen abgeschoben. Das hat die Probleme noch vergrößert."

Der für Gesundheit und Verbraucherschutz zuständige stellvertretende Unions-Fraktionschef Johannes Singhammer (CSU) brachte ein Prüfsiegel für Gemüse ins Gespräch, um weitere wirtschaftliche Verluste bei deutschen Erzeugern durch die EHEC-Krise zu unterbinden. "Allerdings müsste die Wissenschaft dafür grünes Licht geben", sagte er der "Saarbrücker Zeitung" (Montag). Es gehe ja nicht nur um die Erzeugung der Produkte. "Eine Verseuchung könnte auch über den Vertriebsweg erfolgen. Auch darüber wissen wir leider noch zu wenig", so der CSU-Politiker.

Von dem an diesem Mittwoch anberaumten EHEC-Krisengipfel erhofft sich Singhammer zwei konkrete Ergebnisse: Zum einen müsse sich die Runde darauf verständigen, "alle Kapazitäten in Bund und Ländern auf die Erforschung des Bakteriums zu konzentrieren"; zum anderen müssten "Wege gefunden werden, um deutschen Gemüse-Erzeugern wieder einen Absatzmarkt zu eröffnen". Die SPD-Forderung nach einem zentralen Krisenstab im Gesundheitsministerium hält Singhammer für unbegründet. Sowohl Gesundheitsminister als auch Verbraucherschutzministerin arbeiteten eng mit allen zuständigen Behörden in Bund und Ländern zusammen. "Mehr Koordinierung geht nicht."

Bundesweit stieg die Zahl der EHEC-Infektionen zwar am Wochenende weiter - allerdings etwas langsamer als zuvor, wie etwa die Behörden der schwer betroffenen Länder Hamburg und Niedersachsen mitteilten.

dpa