Gottesdienst in leicht: Je einfacher, desto schwieriger

Gottesdienst in leicht: Je einfacher, desto schwieriger
Der Kirchentag ist ein Ort für jeden. Auch für die, die nicht so schnell mitkommen, die nicht so gut Deutsch können oder noch zu klein sind, um die Originaltexte zu durchdringen. Auch einer der drei Eröffnungsgottesdienste fand in "Leichter Sprache" statt. Nicht ganz einfach für die Liturgen, aber genau richtig für die Mitfeiernden.
02.06.2011
Von Gloria Veeser

"Aktien – das ist ein anderes Wort für viel Geld" - dieser Satz hat Andrea Schneider einiges gekostet. Für die erfahrene Rundfunkpastorin aus Oldenburg ist der Eröffnungsgottesdienst auf dem Neumarkt vor der Frauenkirche eine Premiere: Es ist das erste Mal, dass sie eine Predigt in "Leichter Sprache" schreibt.
Leichte Sprache, das war für Schneider alles – nur nicht leicht. Komplizierte Kirchentexte auf die schlichtestmögliche Formulierung herunterzubrechen ist eben eine Kunst für sich – und vor allem viel Arbeit.

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Dennoch hat Andrea Schneider die Herausforderung angenommen, Worte zu finden für diejenigen, die aus den verschiedensten Gründen auf eine besonders klare und verständliche Sprache angewiesen sind. Das können Menschen mit geistigen Einschränkungen sein, Leute die nicht gut deutsch sprechen oder auch einfach Kinder – ihnen allen ermöglicht eine schnörkellose Sprache, die Botschaft "Wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein" besser zu verstehen.

Wie 12.000 andere Kirchentagsbesucher hat auch Familie Peitz aus Rotenburg-Wümme gezielt diesen Gottesdienst ausgewählt – für die Töchter Naimi (11), Laeli (6) und Tabitha (8). Die drei Mädchen haben bereits im letzten Jahr Kirchentagserfahrung gesammelt und singen entsprechend textsicher munter alle Lieder mit. Als Pastorin Schneider die Menge von der Bühne aus auffordert, die zuvor im Publikum verteilte Knetmasse zu formen, vertiefen sich die Geschwister darin, ihre weißen Knetklumpen in kleine Knetengel, Smileys und natürlich – Herzen zu verwandeln.

Durchdringender Wille zur Gemeinschaft

Die fertigen Knetschätze verschenken sie an ihren Nebensitzer – der hatte den frierenden Mädchen zuvor im Austausch seine warme Decke überlassen. Überhaupt ist die Wärme trotz des Regengraus ansteckend und das Tempo, in dem hier neue Freundschaften geschlossen werden, ist atemberaubend. Weil ein besonderes Augenmerk auf den Schwächeren liegt, ist der alles durchdringende Wille zur Gemeinschaft besonders spürbar.

Mag das Vertrauen in den Nächsten auch noch so groß sein - die findige Mutter der Familie Peitz hat sich noch etwas besseres einfallen lassen, um ihre drei "Mäuse" zusammenzuhalten: Allen Dreien hat sie mit dickem Filzstift Namen und Handynummer auf die Unterarme geschrieben – falls doch mal was schiefgeht und sie in der Menge verlorengehen.

Angesichts der Armada an freiwilligen Helfern ist jedoch kaum vorstellbar, wie irgendjemand verloren gehen sollte. Freundliche Pfadfinder scheinen jederzeit und überall zur Stelle, noch bevor man selbst überhaupt weiß, dass man Hilfe braucht.

"Beeindruckendes Völkchen, diese Christen"

Insbesondere an diesem Abend ist das auch dem Team von "Kirchentag Barrierefrei" zu verdanken. Deren größte Herausforderung ist es, mögliche Barrieren im Vorhinein überhaupt zu erkennen: Der unbedarfte Zuschauer staunt, an was bei diesem Gottesdienst so alles gedacht wurde: Die Sprache ist nicht nur herrlich unkompliziert, sie wird auch simultan auf der Bühne in Gebärdensprache übersetzt und dank einer Induktionschleifenanlage sogar drahtlos über Hörgeräte empfangen.

In der vorderen Reihe sind Sitzplätze aufgebaut für diejenigen, die nicht so lange stehen können und direkt vor der Bühne wachen die Helfer mit Argusaugen über den Durchgang für Rollstuhlfahrer. Das grün-pinke Gewusel hat ein unbeteiligter Restaurantbesucher auf dem Neumarkt beim Essen beobachtet. Er wundert sich: "Rücksichtsvolles Miteinander noch im größten Gedränge – recht beeindruckendes Völkchen, diese Christen."

kirchentag.de