Grün-Rot will Baden-Württemberg umkrempeln

Grün-Rot will Baden-Württemberg umkrempeln
Seit Jahren kämpfen die Grünen gegen Atomkraft, Stuttgart 21 und Spritfresser. Jetzt wollen sie in Baden-Württemberg als stärkste Regierungskraft das Steuer herumreißen. CDU und FDP sehen die "Erfolgsgeschichte" des Landes in Gefahr.
27.04.2011
Von Henning Otte und Edgar Neumann

Der Koalitionsvertrag für die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg ist perfekt: Einen Monat nach der historischen Wahl ist der Weg für den ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland frei.

Bei der Verteilung der Ministerien kamen die Grünen am Mittwoch dem kleineren Koalitionspartner entgegen: Die SPD erhält ein Ressort mehr und besetzt mehrere Schlüsselministerien. Der SPD-Landesvorsitzende Nils Schmid (37) wird Vize-Regierungschef und Superminister für Finanzen und Wirtschaft. Die bisherigen Regierungsparteien CDU und FDP warnten vor einem Abstieg des Erfolgslandes Baden-Württemberg.

Die Grünen stellen überraschend den Minister für Verkehr und Infrastruktur und sind damit auch für das umstrittene Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 zuständig. Das Vorhaben ist der größte Zankapfel in dem Bündnis - die Grünen sind dagegen, die SPD dafür. Die Partner hatten sich auf eine Volksabstimmung geeinigt, um das Dilemma zu lösen.

Kretschmann: "Partnerschaft auf Augenhöhe"

Der Koalitionsvertrag trage den Titel "Der Wechsel beginnt", verkündete der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in Stuttgart. Die Vereinbarung sieht einen raschen Ausstieg aus der Atomkraft, durchgreifende Bildungsreformen und Steuererhöhungen zur Finanzierung einer besseren Kinderbetreuung vor.

Über den 88 Seiten starken Koalitionsvertrag stimmen am 7. Mai Sonderparteitage der Grünen in Stuttgart und der SPD in Sindelfingen ab. Am 12. Mai soll der 62-jährige Kretschmann zum Regierungschef gewählt werden.

"Es kommt darauf an, dass wir in einer Partnerschaft auf Augenhöhe fünf Jahre lang gut regieren", sagte Kretschmann. Die Sozialdemokraten übernehmen sechs und die Grünen fünf Ressorts. Am Kabinettstisch haben die Grünen allerdings eine Stimme mehr als die Sozialdemokraten - das liegt an weiteren stimmberechtigten Regierungsmitgliedern.

Mehr Bildung und weniger Atomkraft

Die SPD bekommt das wichtige Kultusministerium. Kretschmann kündigte einen "echten Bildungsaufbruch" an. Künftig soll es mehr Ganztagsschulen und als Ergänzung zum bisherigen Angebot auch die Gemeinschaftsschule bis zur Klasse 10 geben. "Die Ganztagsangebote sind eine zentrale Weichenstellung, um den Bildungserfolg nicht von der sozialen Herkunft abhängig zu machen", erklärte Kretschmann.

Der 62-Jährige bekommt im Staatsministerium einen zusätzlichen Minister, einen Staatssekretär und einen Staatsrat, die Stimmrecht in der Regierung erhalten. Die Grünen übernehmen zudem das Ressort für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft und kontrollieren damit auch die Atomkraftwerke im Land. Sie stellen außerdem den Wissenschafts- und den Agrarminister.

Grüne und SPD wollen den Ausstieg aus der Atomkraft vorantreiben. "Wir wollen uns dafür einsetzen, dass die alten Meiler nicht mehr ans Netz gehen", sagte Kretschmann. Er fügte hinzu: "Wir werden dieses Land zum Musterländle für erneuerbare Energien machen."

Ab 2020 keine neuen Kredite mehr

Die SPD-Spitze hat sich bereits teilweise auf ihr Personal geeinigt. Nach dpa-Informationen aus Parteikreisen soll der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Reinhold Gall, Innenminister werden. Für das Justizressort ist der zuständige Fraktionssprecher Rainer Stickelberger vorgesehen. Für das Ressort Arbeit und Soziales kommt Fraktionsvize Katrin Altpeter infrage. "Die Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, Baden-Württemberg zum Musterland für gute Arbeit zu machen", sagte Schmid.

In der Finanzpolitik strebt Grün-Rot an, den von der schwarz-gelben Regierung hinterlassenen Schuldenberg abzutragen. Das Land soll von 2020 an keine neuen Kredite mehr aufnehmen und damit die auf Bundesebene geltende Schuldenbremse einhalten. Um die Kommunen beim Ausbau der Kinderkrippen zu unterstützen, soll die Grunderwerbsteuer von 3,5 auf 5 Prozent erhöht werden.

dpa