Der Fall Yasmin: Indonesische Christen in Gefahr

Der Fall Yasmin: Indonesische Christen in Gefahr
Schon längst kann die Yasmin-Gemeinde der protestantischen Gereja Kristen Indonesia (GKI) ihren Gottesdienst nicht mehr ungestört feiern. Das Beispiel aus Bogor in Westjava zeigt, wie die Behörden und Sicherheitskräfte in vielen asiatischen Ländern zunehmend vor der religiös motivierten Gewalt kapitulieren. Weltweit steigt die Zahl der bedrängten und verfolgten Christen.
21.04.2011
Von Michael Lenz

Auf dem Parkplatz vor dem Giant Supermarkt geben sich mehr als 100 Indonesier bei dröhnender Musik aus knarzenden Lautsprechern gymnastischen Morgenübungen hin. Es ist eine bunt gemischte Truppe, die da nach Anleitung eines Vorturners Aerobic betreibt. Männer und Frauen, Alte und Junge, manche Frauen tragen Kopftuch. Viele sind es nicht - obwohl Indonesien ein mehrheitlich muslimisches Land und Bogor eine Hochburg der immer einflussreicher werdenden radikal-islamischen Gruppen ist.

Sonntagmorgens um sechs braucht das Taxi von Jakarta gerade mal 45 Minuten für die 50 Kilometer nach Bogor in Westjava. So früh am Morgen sind die Straßen noch frei von dem berüchtigten Staus im Großraum Jakarta. Die Luft ist klar, das Grün der Palmen und Bananenstauden entlang der Straße leuchtet satt in der Morgensonne, die schroff gezackten Kraterränder des Vulkans Salak heben sich scharf von dem Blau des Himmels ab.

Nach der Frühgymnastik kommt die Polizei

Nur ein paar Meter von den Freunden der Frühgymnastik zieht auf der Alleestraße ein Großaufgebot von Polizei auf und sperrt ein gut 500 Meter langes Stück Straße für den Verkehr. Polizeiautos und ein Wasserwerfer blockieren das Tor zur Kirche der Yasmin-Gemeinde der protestantischen Gereja Kristen Indonesia (GKI), im Schatten der Bäume bezieht eine Hundertschaft Polizisten Stellung. Der Zweck der Demonstration der Macht: die Gläubigen der Yasmin-Gemeinde daran zu hindern, das Schloss am Tor zu ihrem Grundstück zu knacken und ihren Gottesdienst in ihrer Kirche abzuhalten.

Deshalb versammelt sich die Gemeinde jeden Sonntagmorgen am acht Uhr zum Gottesdienst an einer Straßenecke zwischen der Kirche und dem Supermarkt (Foto). Rafer ist zusammen mit zwei Freunden zum Gottesdienst gekommen. Sie beten, sie singen, zwischendurch quatschen sie miteinander, feixen, kichern, was Halbwüchsige eben so tun.

Der Gottesdienstbesuch ist für Rafer eine Selbstverständlichkeit. "Ich glaube an Gott", sagt der sechzehnjährige mit Überzeugung. Ob er Angst hat vor der Polizei? Er grinst ein wenig, zuckt mit den Schultern, und sagt entschlossen: "Nein, eigentlich nicht."

Grund genug für Angst aber gibt es. Nur zu frisch ist der Gemeinde der Angriff radikaler Muslime auf den Weihnachtsgottesdienst 2010 in Erinnerung. "Während der Messe terrorisierten Fundamentalisten die Gemeinde der GKI Taman Yasmin", heißt es in einem Schreiben der indonesischen Menschenrechtskoalition HRWG an den Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit der Vereinten Nationen.

Rafer ist einer der gut 50 Gemeindemitglieder, die an diesem Palmsonntag zu dem Gottesdienst gekommen sind. Sie sitzen auf mitgebrachten Plastikstühlen, Pfarrer Benny Halim spricht in ein kleines Mikrofon, das mit einer tragbaren Minilautsprecheranlage verbunden ist. Trotzdem ist er manchmal wegen des Straßenlärms nur schwer zu verstehen. Wenn auch noch der Polizist auf der Kreuzung mit Schmackes in seine Trillerpfeife bläst und wild mit den Armen gestikulierend versucht den Verkehr auf dem nicht abgesperrten Teil der Straße zu regeln geht Gottes Wort in dieser Kakophonie ganz unter.

Bürgermeister ignoriert Gerichtsentscheid

Die Christen haben keine Gewalt im Sinn. Wie Rafer wollen sie einfach nur ihren Gottesdienst in ihrer Kirche feiern. Seit vielen Jahren kämpft die Yasmin Gemeinde für ihre Kirche. Eine zunächst erteilte Baugenehmigung wurde plötzlich von der Stadt wieder zurückgezogen. Die Yasmin-Gemeinde zog vor Gericht und bekam Recht. Die Gemeinde verfüge über alle notwendigen Genehmigungen und es gebe keinen juristischen Grund für die Stadt Bogor, die erteilten Genehmigungen zu widerrufen, urteilte der Oberste Gerichtshof im vergangenen Dezember.

Bürgermeister Diani Budiarto von der konservativen Golkar Partei aber missachtet das Urteil und setzt die Polizei gegen die Kirche ein. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der gleiche Bürgermeister zunächst die Kirche genehmigt hat. Sein Sinneswandel setzte erst nach der Wahl 2009 ein. Seitdem regiert er mit der islamistischen Gerechtigkeits- und Wohlfahrtspartei als Koalitionspartner.

Nach dem Gottesdienst gibt es im nahegelegenen Haus eines Gemeindemitglieds ein Frühstück, bevor sich die Christen aus Bogor nach Jakarta aufmachen. In der indonesischen Hauptstadt demonstrieren sie an diesem Palmsonntag zusammen mit anderen Christen, Muslimen, Buddhisten vor dem Präsidentenpalast unter dem Motto "Einheit in der Vielfalt" für Religionsfreiheit.

Die wird in Indonesien immer mehr zu einer gefährdeten Spezies. Militante Gruppierungen wie die Islamische Verteidigungsfront üben ungestraft Gewalt und Terror gegen Christen, westliche Einrichtungen und die islamische Sekte Ahmadiya aus. "Sie haben die Unterstützung von einer Reihe von Generälen", sagt Andreas Harsono, Vertreter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

Schläge und Morde: Die Polizei schaut zu

Es gibt viele Fälle von Gewalt und Willkür gegen religiöse Minderheiten, wie zum Beispiel von Luspida Simanjuntak (Foto). Die Pastorin der protestantischen Huria Kristen Batak Kirche in Bekasi, einer anderen Nachbarstadt von Jakarta, war auf dem Weg zum Gottesdienst im vergangenen September von islamistischen Hardlinern brutal zusammengeschlagen worden. Am Rande der Protestkundgebung in Jakarta zeigt sie im Gespräch mit evangelisch.de auf ihren Nacken, die rechte Schulter, auf die Nierengegend und sagt: "Da bin ich überall von Schlägen getroffen worden. Die körperlichen Schmerzen sind vorbei, aber ich habe Angst. Die Schläger können jederzeit wiederkommen."

Noch widerlicher war der brutale Mord an drei Anhängern der Ahmadiya-Sekte Anfang Februar. Wie von Sinnen schlugen islamische Fanatiker mit Holzknüppeln noch auf die Männer ein, als diese schon längst tot waren. Die Polizei schaute tatenlos zu. Behörden und Sicherheitskräfte sind entweder bereits von den radikalen Muslime unterwandert oder trauen sich nicht, gegen die Radikalen vorzugehen, weil die politische Rückendeckung von ganz oben fehlt.

Während die radikal-islamischen Organisationen die Unterstützung von Teilen der Armee und der Polizei genießen, schweigt Staatspräsident Susilo Bambang Yudhoyono, ein ehemaliger General, zur zunehmenden Gewalt gegen religiöse Minderheiten - ein Schweigen, das nach Ansicht von politischen Beobachtern in Jakarta von den Islamisten als Freibrief aufgefasst wird. "Wir sind von der Regierung enttäuscht", sagt Gonar Gultom, Sekretär des Verbandes der protestantischen Kirchen Indonesiens gegenüber evangelisch.de.

Swingendes Halleluja

Vor dem Präsidentenpalast (Foto) haben mehr als 2.000 Christen und moderate Muslimen zusammen gebetet, die Durchsetzung der Verfassungsgarantie der Religionsfreiheit gefordert und gemeinsam die Nationalhymne gesungen. "Wir Indonesier, gleich ob wie Christen, Muslime oder Hindus sind, müssen in Solidarität zusammenstehen. Deshalb bin ich hier", sagt Bondan Gunawan, der Minister in der Regierung von Staatspräsident Abdurrahman "Gus Dur" Wahid war, dem ersten indonesischen Präsidenten nach dem Sturz von Diktator Suharto.

Bondan Gunawan betont, dass die radikalen Kräfte zwar einflussreich, aber eine Minderheit sind. "An der Basis sieht es anders aus." Das konnte gar bei der Protestveranstaltung in Jakarta erlebt werden. Beim Halleluja kommt Bewegung in die Polizeikette am Straßenrand. Gepackt vom swingenden Rhythmus des Lieds wagt so mancher Polizist ein Tanzschrittchen oder wiegt die Hüften im Takt.


Michael Lenz arbeitet als freier Journalist in Südostasien und schreibt regelmäßig für evangelisch.de.