Kasernenhof statt "Marienhof": Die ARD sagt Gutt-bye

Kasernenhof statt "Marienhof": Die ARD sagt Gutt-bye
Der in Lug, Trug und Privilegienmissbrauch verstrickte Verteidigungsminister tritt ab, und das Erste überträgt seine Abschiedszeremonie live. Warum eigentlich?
09.03.2011
Von Thomas Östreicher

Wer sagt denn, altehrwürdige Institutionen seien unflexibel? Wenn Flexibilität heißt, dem gefühlten Mehrheitsinteresse des Volkes hinterherzuspüren, dann sind sogar öffentlich-rechtliche Anstalten lernfähig, wie sich in dieser Woche wieder zeigt. In einer Programmankündigung des ARD-Hauptstadtstudios heißt es: "Neun Tage nach seinem Rücktritt 'von allen politischen Ämtern' wird Karl-Theodor zu Guttenberg am kommenden Donnerstag mit einem Großen Zapfenstreich der Bundeswehr geehrt und offiziell verabschiedet. Das Erste überträgt die feierliche Verabschiedung des 15. Verteidigungsministers in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 18.25 Uhr bis 19.20 Uhr live."

Zeremonie ohne Nachrichtenwert

Es ist die erste Live-Übertragung vom Abschied eines Verteidigungsministers in der ARD. "Dieses höchste militärische Zeremoniell möchten wir im Programm nicht übergehen", so Hauptstadtstudio-Sprecherin Eva Woyte gegenüber evangelisch.de. "Es gibt ein großes anhaltendes, auch polarisierendes Interesse an der Person Guttenbergs, dem wir damit gerecht werden wollen." Geplant sei mehr als nur die Bilder der Zeremonie: "Das Geschehen wird journalistisch eingeordnet und kommentiert von Ulrich Deppendorf."

Um den Job ist der Mann nicht zu beneiden - das Ereignis "Zapfenstreich" hat als inhaltsleere Zeremonie keinen Nachrichtenwert an sich, sondern dient nur der Ehrerbietung. Eigens dafür Sonderseiten, Fotostrecken und Extrablätter zu diesem Thema zu erstellen, ist eigentlich das Metier von Guttenbergs größtem Fan, "Bild"-Chef Kai Diekmann. Wieso würdigt also ausgerechnet die personell, technisch und finanziell wohl bestausgestattete aktuelle Redaktion des Landes diesen Termin mit einer Sondersendung?

Wohlwollend betrachtet ließe sich der ARD ein "Mubarak-Effekt" unterstellen. Nach harscher Kritik an der Äygpten-Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen und dem Nicht-Senden einer international als bedeutsam angesehenen Rede von Staatschef Mubarak hatte sich der ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke wenige Tage später entschlossen, anlässlich des vermuteten Rücktritts von Mubarak den ägyptischen Herrscher rund 20 Minuten lang live zu senden. Gniffke lobte sich anschließend selbst für den Mut, ein Stück Zeitgeschichte live zu begleiten, obwohl er genau das zuvor noch in gereiztem Ton verworfen hatte. Insgesamt sahen in Deutschland rund neun Millionen Menschen zu.

Guttenberg = Berlusconi oder doch Palin?

Man hat Karl-Theodor zu Guttenberg wegen seines offenkundig mangelnden Unrechtsbewusstseins in jüngster Zeit gelegentlich mit Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi verglichen, was beiden Unrecht tut. Dem Italiener gehören fast alle Fernsehsender, die wichtigsten Zeitungen und halb Italien obendrein; dem CSU-Mann nur halb Bayern. Der Eine bezieht seine Stärke aus aggressiver Macht, die sich von oben herab notfalls Gesetze nach Maß schneidern lässt; der Andere geriert sich als Mann des Volkes und des einfachen Soldaten, was vor seinem adeligen Hintergrund umso wirkungsvoller ist. Die Gründe für die Beliebtheit beider Männer in Stimmungsumfragen sind denkbar verschieden.

Eher ähnelt zu Guttenberg in seiner Popularität seit seiner Plagiatsaffäre der US-Republikanerin Sarah Palin. Die Möchtegern-Herausforderin von Präsident Barack Obama hat seit jeher erschreckende Kenntnislücken offenbart - innen- und außenpolitisch, wirtschaftlich, kulturell. Nur schadet ihr das nicht, im Gegenteil. "Je massiver und anspruchsvoller die Kritik, desto klarer liegt für ihre Anhänger auf der Hand: Die da oben wollen sie nur fertigmachen. Also halten wir da unten um so mehr zu ihr", so etwa Max Steinbeis im Autorenblog Carta.

Die Parallele ist, wie Steinbeis schlüssig darlegt, offensichtlich: Dass der Verteidigungsminister weiterhin lediglich von (handwerklichen) Fehlern spricht, jeden Fälschungsvorsatz leugnet und damit angesichts von zuletzt 891 nachgewiesenen Plagiatsstellen seine offensichtliche Lüge fortsetzt, interessiert außerhalb der akademischen Welt kaum jemanden.

Verzeihen nach neun Tagen

Diesem gefallenen Minister zu Ehren veranstaltet die Bundeswehr ein Zeremoniell, das ausschließlich Bundespräsidenten, Bundeskanzler(inne)n und Verteidigungsministern vorbehalten ist - und das öffentlich-rechtliche System schließt sich an. Nicht im "Ereigniskanal" Phoenix, nicht im Parlamentsradio oder dem Debatten-Kanal des Deutschlandradios, sondern im sonst Werbeumsatz generierenden Vorabendprogramm.

Das fällt auf fruchtbaren Boden bei einem (Wahl-)Volk, das nur zu gern Roland Kochs atemberaubende und an Dreistigkeit kaum zu überbietende Lüge vergisst, die illegalen Millionen in den schwarzen CDU-Wahlkampfkassen seinerzeit entsprängen "jüdischen Vermächtnissen". Drei Jahre später, als er noch Lust auf Politik hatte, wurde der Hesse politisch mit der absoluten Mehrheit belohnt. Bei zu Guttenberg brauchten für Verzeihen und erneute Ehrerbietung lediglich neun Tage zu verstreichen.

Ein neuer Held?

Selbstverständlich sind das ARD-Hauptstadtstudio und die Programmverantwortlichen frei, alles zum Thema zu machen, was sie für richtig und wichtig erachten. Nur wundern darf man sich schon, zum einen darüber, wieso die Bundeswehr einen Betrüger ehrt (und was passieren muss, damit ein Verteidigungsminister nicht mit Ehrenzeremoniell verabschiedet wird) und zum anderen darüber, dass die ARD das mitmacht. Vielleicht erklärt es heute am Vorabend der bedauernswerte Ulrich Deppendorf, der den "Zapfenstreich" an diesem Donnerstag "journalistisch einordnen" muss.

Das Thema bei Maybrit Illner am Donnerstagabend im ZDF ist übrigens: "Zapfenstreich für Guttenberg - Braucht das Land neue Helden?" Die ARD-Programmmacher liefern wenigstens diese Antwort bereits vorab.


Thomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.