Fußball-Hooligans in Krakau: "Das ist unser heiliger Krieg"

Fußball-Hooligans in Krakau: "Das ist unser heiliger Krieg"
Polen und die Ukraine werden 2012 die Fußball-Europameisterschaft ausrichten. Bis dahin gibt es zumindest in Polen noch etwas zu tun. Denn in Krakau bekriegen sich zwei Hooligan-Gruppen, deren Streit bis aufs Blut geht. Mehrere Tote rückten die Lage in der polnischen Stadt ins Schlaglicht, zuletzt ein Mord im Januar.
18.02.2011
Von Jens Mattern

Ein weiß-rotes Trikot und bunte Fußballschals hängen noch an dem dürren Strauch neben dem Parkplatz, darunter stehen Friedhofskerzen im Schnee, der einige Beileidsbekundungen bedeckt. An dieser Stelle, im Krakauer Vorort Kurdwanow (s. Bild unten), wurde Tomasz C. von etwa zwanzig Maskierten mittels Baseballschlägern, Äxten und Macheten umgebracht. Zuvor hatten die Angreifer den 31-jährigen in seinem silbernen Audi mit einem Geländewagen in die Seite gerammt und zur Flucht zu Fuß gezwungen.

Der Ermordete war Fußball-Hooligan des Vereins "Cracovia", die Täter vermutlich radikale Fans des Konkurrenz-Clubs "Wisla Krakow". Iwona Blechniarz, die in der Nähe wohnt, ist schockiert. "Das ist eigentlich ein ruhiges Viertel" meint die Pädagogin, die ein Kulturzentrum für Kinder leitet. "Aber der nächste Polizeiposten ist mit dem Auto 15 Minuten entfernt."

Die älteren Biertrinker einer Kneipe mit einfachen Holztischen und bestem Blick auf den Tatort sind weniger gesprächig, sie haben Angst. Einige der Stammgäste haben die Tat gesehen. "Das ist noch nicht das Ende", meint eine Frau immer wieder und will gar nichts gesagt haben.

Der Mord im Januar ist auch nicht der erste im Konflikt zwischen den radikalen "Szalikowcy" (Schalträgern) der Stadt. Seit einigen Jahren gibt es immer wieder Tote; die Krakauer Hooligans gelten als die einzigen in Polen, die offiziell "Gerätschaften", sprich Waffen, benutzen. Doch diese Tat ist eine Zäsur. Die Attacke geschah am hellichten Tag. Außerdem war Tomasz C. die Nummer zwei in der Cracovia-Hierarchie. Als Besitzer einer Kickbox-Schule härtete er seine Eleven für den Kampf mit der Gegenseite ab. Nun wird ein schwerer Racheakt befürchtet.

Die Hooligan-Schlagzeilen kommen Polen ungelegen

Dem Land, dass sich zusammen mit der Ukraine als Ausrichter auf seine erste EM im Sommer 2012 vorbereitet, kommen die Schlagzeilen um einen "Fußballkrieg" ungelegen. Wenn auch in Krakau selbst kein Spiel ausgetragen wird, so ist die Stadt Trainings- und Übernachtungsort für viele Mannschaften. In Warschau ist man nun hektisch darum bemüht, die Hooligan-Gewalt einzudämmen. Das "Zentrale Ermittlungsbüro" (CBS), eine Entsprechung zum deutschen BKA, kündigte nach dem Mordfall an, sich nun intensiv der Fangewalt zu widmen und die radikale Szene mit V-Männern infiltrieren zu wollen. Hooligangewalt in den Stadien soll mit schnellen Urteilen begegnet werden.

"Man muss endlich das Tragen von Messern verbieten", erklärt Monika Ryniak (Bild links) in ihrem kargen Büro im Arbeiterviertel "Nowa Huta". Die resolute Fünfzigjährige ist Politikerin der Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) und als Mutter selbst betroffen: Ihr damals 19-jähriger Sohn wurde vor fünf Jahren ähnlich gehetzt wie Tomasz C. Der Gymnasiast hatte mit Fußball nichts am Hut, aber er lebte in einem Bezirk, der von Cracovia-Anhängern dominiert wurde. An der Bushaltestelle traf er auf eine sogenannte "Fahrt" von Wisla-Hooligans. Bei "Fahrten" fallen Hooligans in ein Viertel der anderen Mannschaft und attackieren dabei auch Unbeteiligte. Die Aggressivsten unter den "Szalikowcy" können so in der Banden-Hierarchie aufsteigen.

Ryniaks Sohn überlebte nach acht Stunden Operation nur knapp den Stich eines Messers in die Lunge. Seine Mutter Monika Ryniak machte darauf mit ihrer Bürgerbewegung "Gegen Gewalt" auf das Phänomen der "Fahrten" aufmerksam und setzte später als Abgeordnete eine schnellere Verurteilung von Gewalttätern durch. Doch die Hauptursachen des Problems, die hohe Arbeitslosigkeit und eine verfehlte Schulreform in den 90er Jahren, lassen sich nicht so schnell aus der Welt bringen.

Die beiden Vereine wollen mit den Hooligans nichts zu tun haben

"Wer in einem gewissen Viertel aufwächst, der muss sich dort in der Wahl seines Vereins anpassen", meint Katarzyna Janiszewska, Reporterin einer Warschauer Lokalzeitung, die über Kontakte zu Hooligankreisen verfügt. Janiszewska holt eine handgemalte Skizze des Krakauer Stadtgebietes hervor. Die Stadt ist querbeet durch die Viertel zu gleichen Teilen mit "Cracovia" und "Wisla" markiert verteilt. Einige Viertel sind schraffiert, so wie Kurdwanow. Dort lebt es sich am gefährlichsten. In ganz Krakau stehen auf beiden Seiten 100 bis 200 sogenannte "Soldaten", erklärt Janiszewska. Sie würden von den Kadern der Hooligans dirigiert, die auch kriminelle Geschäfte betrieben, die sie in den Stadien besprechen.

Die beiden Fußballvereine, 1906 gegründet und die ältesten Polens, wollen mit all dem nichts zu tun haben. "Schon den Kleinsten vermitteln wir positive Fußballkultur, sie lernen bei uns, wie man friedlich feiert", meint Cracovia-Pressesprecher Przemyslaw Urbanski, ein gemütlicher Typ, der die Vereinsfarben mit einem weißen Hemd und einem roten Strickpulli am Leib trägt. Im Korridor der Verwaltung hängen computeranimierte Bilder des neuen Stadions, ein Baby mit Schnuller und Cracovia-Mütze schaut den Betrachter an. "Das ist die Realität", sagt Urbanski, das Stadion sei familienfreundlich und arbeite mit biometrischen Kontrollen, Gewalttäter bekämen Stadionverbot.

Die Außenwand des Fanshops, der vor dem Vereinsgebäude steht, sieht jedoch recht martialisch aus – hier recken überlebensgroß rotweiß bemalte Männer die Fäuste und blecken die Zähne.

Die Machete in der Tüte als Sicherheitsmaßnahme

Doch was treibt die Gewalttäter der beiden ältesten polnischen Fußballvereine an? Einer von ihnen, ein führender Hooligan aus dem Wisla-Lager, will reden. Zum verabredeten Treffpunkt im touristischen Zentrum Krakaus rauscht er mit hochgezogener Kapuze an. Seine rechte Hand hält einen länglichen Gegenstand, der in eine Plastiktüte eingewickelt ist. Drei junge Männer beobachten aus einem Auto heraus die Situation.

"Eine Sicherheitsmaßnahme nach dem Mord", erklärt "Jacek", Anfang 30, später in einer Kneipe. Seinen echten Namen will er nicht nennen. In eine Falle der Polizei oder Cracovia-Hooligans wolle er nicht laufen. Dann würde er seine Machete aus der Tüte holen (Bild links). Zu dem Mord selbst will er sich nicht äußern, wohl aber zu seinen Weltvorstellungen. Ab und an geht er an sein Handy: Seine Garde auf der Straße fragt, ob alles in Ordnung sei.

"Die Situation in Krakau ist anders als in polnischen Städten, das ist eine ideologische Sache", erklärt er. Der Konflikt gehe bereits über vier Generationen und spiele sich auch unter Akademikern ab, selbst während der deutschen Besatzung prügelten sich die verfeindeten Fußballanhänger. Wisla sei der einzig wahre polnische Verein in Krakau, gegründet, um die polnische Unabhängigkeit zu fördern: "Wir sind Nationalisten."

"Das ist unser heiliger Krieg"

Cracovia hingegen habe einen österreichisch-ungarischen und somit einen Kollaborationshintergrund, sagt der Hooligan. Polen war bei der Vereinsgründung noch geteilt, Krakau gehörte damals zum Hause Habsburg. Durch ihren Hass auf Wisla hätten die Cracovia-Hooligans vor einigen Jahren Messer ins Spiel gebracht, die Wisla-"Szalikowcy" zogen dann mit Äxten nach.

Jacek steht auf und demonstriert, wie man mit der Machete schlägt – immer nur auf die Oberseite der Arme und Beine, um die Schlagadern des Gegners zu schonen. Doch in der Aufregung, vor allem bei den jüngeren, komme es eben zu den Todesfällen. Der hochgewachsene Hooligan mit dem Kurzhaarschnitt, dem ordentlichen Hemd und der gebrochenen Nase macht mit seinem Reden wenig Hoffnung, dass er und sein Umfeld von den geplanten Fanprojekten des Sportministeriums erreichbar wären.

Eine Lösung des Konflikts sieht er nicht oder will sie nicht sehen: "Ich bin bereit, für Wisla mein Leben zu geben, das ist unser heiliger Krieg. Den tragen wir unter uns aus." Mit Ausnahme der kommenden Europameisterschaft. Dann wird die Gewalt in Krakau international: Mit den deutschen und englischen Fans habe man schließlich noch "Rechnungen offen". Hoffentlich ohne Gerätschaften.


Jens Mattern ist freier Journalist und lebt und arbeitet in Polen.