"Der beste Ökostrom ist der, der nicht verbraucht wird"

"Der beste Ökostrom ist der, der nicht verbraucht wird"
Woran kann der Kunde erkennen, ob Strom ökologisch produziert wird? Welche Label sind vertrauenswürdig? Wie wirkt sich die Laufzeitverlängerung der AKWs auf die erneuerbaren Energien aus? Antworten zu diesen Fragen gibt der Diplom-Geoökologe Dominik Seebach vom Öko-Institut. Das Forschungsinstitut mit Standorten in Freiburg, Darmstadt und Berlin ist ein gemeinnütziger Verein, der aus der Anti-Atomkraft-Bewegung hervorgegangen ist.
17.02.2011
Die Fragen stellte Thomas Paterjey

Welche Anforderungen müssen Verbraucher an Ökostrom stellen, damit sichergestellt ist, dass es sich dabei wirklich um ökologisch produzierten Strom handelt?

Dominik Seebach: Das allerwichtigste ist wahrscheinlich aus Verbrauchersicht, dass sie sich von der Vorstellung lösen, dass Ökostrom aus ihrer Steckdose kommt. Nicht die Frage ist wichtig: "Bekomme ich guten Ökostrom?", sondern die entscheidende Frage muss sein: "Bekommt die Welt mehr Ökostrom?" Es gibt ganz unterschiedliche Ökostromansätze und -anbieter, durch die ein zusätzlicher Umweltnutzen dann auch zustande kommt.

Doch wie entscheidet man sich für den richtigen Anbieter? Was taugen Webeaussagen wie "Null Emissionen" oder "emmissionsfrei"?

Seebach: Es ist nicht richtig zu sagen, "Ich beziehe Strom aus Wasserkraft und mein Strom hat deswegen null Emissionen." Das ist dann oftmals Strom aus einer alten Wasserkraftanlage. Das stellt dann nur eine Bilanzierungsspielart dar, so dass ich mir die Null-Emissionen zuordne und mich nicht darum kümmere, dass es aus Umweltsicht ein Nullsummenspiel ist, eine Umbilanzierung des vorhandenen Stromangebots. Letzten Endes ist es wichtig, dass bei der Wahl des Ökostromproduktes in irgendeiner Form der Ausbau der erneuerbaren Energien gefördert wird.

Tarifrechner im Internet

Welche Label und Prüforganisationen können garantieren, dass in erneuerbare Energieanlagen investiert wird?

Seebach: Wir als Öko-Institut sind beteiligt am "ok-power"-Label, das durch den Energie-Vision e.V. vergeben wird. Weitere Träger des Vereins neben dem Öko-Institut sind der WWF Deutschland und die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Es wurde viel Mühe gesteckt in gute, sinnvolle und ökologisch stichhaltige Kriterien, die sicherstellen sollen, dass jedes der zertifizierten Produkte auch tatsächlich zu mehr Umweltnutzen führt. Auf der Hompage www.ok-power.de gibt es einen Tarifrechner. In diesem Rechner sind nur gute Ökostromprodukte gelistet. Das erfasst die "ok-power"-Produkte, aber auch andere Produkte, die nachgewiesen haben, dass sie zu positiven Umweltnutzen führen. Hier kann der Verbraucher beispielsweise nach Postleitzahl und einem jährlichen Stromverbrauch sortiert schauen, welches Produkt für ihn in Frage kommt.

Sie sagen, es werden Produkte zertifiziert. Heißt dass, das Zertifikat gilt dann nicht für gesamte Unternehmen, sondern nur für den jeweils angebotenen Stromtarif?

Seebach: Es ist ein sehr wichtiger Aspekt, dass sich die Zertifizierung ausschließlich auf ein einzelnes Produkt bezieht. Das heißt, dass der gesamte Strom-Mix des Unternehmens oder die eigenen Kraftwerke, die ein Konzern betreibt, nicht ausschlaggebende Kriterien für die Bewertung sind. Diese Punkte können durch den einzelnen Verbraucher bei der Auswahl eines Anbieters noch zusätzlich mit berücksichtigt werden. Nichtsdestotrotz ist es für das Label wichtig, einzelne Produkte zu bewerten. Zum Vergleich würde man, wenn ein Oberklassefahrzeug-Hersteller ein Dreiliterauto entwickelt auch nicht auf den gesamten Flottenverbrauch achten, sondern sagen: Dieses eine Modell ist ein gutes Auto und deshalb ist es ökologisch auch empfehlenswert.

Erneuerbaren-Förderung durch öffentliche Mittel

Macht es einen Unterschied, ob der grüne Strom aus Wasser, Wind oder Sonne kommt? Wie sieht ein optimaler Energiemix aus?

Seebach: Die Frage ist schwer zu beantworten. Die einzelnen Technologien sind in ihren Gestehungskosten (Kosten der Herstellung, Anm. d. Red.) unterschiedlich teuer und somit unterschiedlich nah an der Marktreife. De facto kommt der allergrößte Anteil des Stroms, der für Ökostromkunden angeboten wird, aber aus alten Wasserkraftwerken. Es macht deswegen Sinn, dass Stromproduktionsarten, die noch nicht soweit entwickelt sind und deswegen derzeit einfach noch teurer sind, durch öffentliche Instrumente gefördert werden und die höheren Preise nicht durch einen einzelnen ökologisch-motivierten Kunden bezahlt werden.

Inwieweit wird denn in Deutschland in erneuerbare Energien investiert?

Seebach: Das wichtigste Instrument ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), dass dafür sorgt, dass die Allgemeinheit der Stromverbraucher für Umweltschäden und einen Umbau der Stromerzeugung aufkommt. Der freiwillige Ökostrommarkt sollte so ausgestaltet sein, dass er zusätzlich weitere Anreize bietet, zu investieren.

Die Bundesregierung hat beschlossen, dass die Laufzeiten für die Kernkraftwerke verlängert werden. Kann man den Schaden für den ökologisch produzierten Strom beziffern, der dadurch entsteht?

Seebach: Das Beziffern in harten Zahlen ist schwierig. Dazu gibt es zwar einschlägige Studien, die auch modellbasierte Berechnungen beinhalten. Die wesentliche Aussage ist dabei, dass ein Kernkraftwerk rein strukturell für ein ganz anderes Energiesystem gebaut ist als die meisten dezentralen Erneuerbare-Anlagen, auf die wir uns langfristig ausrichten müssen. Ein Kernkraftwerk auf der einen Seite und ein hoher Anteil an fluktuierender Erzeugung aus regenerativen Energien auf der anderen Seite - das verträgt sich nicht im System und kann im Zweifelfall dazu führen, dass gar nicht so viele Erneuerbare genutzt werden, wie zur Verfügung stehen würden. Insofern ist es wichtig, frühzeitig die Energiewende anzugehen und diese großen Grundlastkraftwerke nicht weiterhin am Netz zu halten.

Auch viele Stadtwerke waren gegen die Laufzeitverlängerung zugunsten der großen Konzerne Eon, Vattenfall, RWE und EnBW. Wie sieht aber der Strom-Mix der meisten Stadtwerke aus? Finanziert der Kunde hier nicht den Bau von neuen Kohlekraftwerken indirekt mit?

Seebach: Das kommt darauf an, bei welchen Stadtwerken der Kunde ist und welches Produkt er bezieht. Natürlich gibt es auch Stadtwerke, die in Kohlekraftwerke investieren oder sich daran beteiligen. Der einzelne Kunde kann durch eine gute Auswahl die Stadtwerke, die einen progressiven Ansatz haben, mit unterstützen.

2050 gibt es keine Kohlekraftwerke mehr

Was versteht man unter einem "progressiven Ansatz"? Spielt die Kraftwärmekopplung dabei eine Rolle?

Seebach: Die Kraftwärmekopplung hat hohe Effizienzgrade. Das bedeutet, dass die Brennstoffe, die eingesetzt werden, sehr effizient genutzt werden. Dementsprechend wird auch die C02-Emission stark reduziert. Wenn man jedoch eine langfristige Perspektive bis 2050 einnimmt, kann man sehen, dass Kraftwärmekopplung keine große Rolle mehr spielen wird. Bis dahin wird Deutschland weitgehend dekarbonisiert sein und es werden keine fossilen Brennstoffe mehr für Kraftwärmekopplung bereit stehen. Für kurz- bis mittelfristige Entscheidungen ist Kraftwärmekopplung jedoch eine bessere Alternative als sonstige Energieerzeugung durch konventionelle Anlagen.

Was muss der Kunde dabei beachten, wenn er seinen Stromanbieter wechseln möchte und Ökostrom nutzen will?

Seebach: Zu allererst: Man braucht keine Angst haben, dass auf einmal das Licht ausgeht oder dass der Wechsel mit großen administrativen Hemmnissen in Verbindung steht. In der Regel geht das sehr einfach, die meiste Arbeit wird durch den neuen Stromanbieter übernommen. Bei der Auswahl des neuen Anbieters ist wichtig, ein Produkt zu wählen, welches den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Umbau des Stromsystems fördert. Der beste Ökostrom ist jedoch der, der gar nicht verbraucht wird. Der Bezug von Ökostrom darf nicht als Ausrede dazu dienen, ungehemmt Strom zu verbrauchen. Auch umweltfreundliche Stromerzeugung hat negative Auswirkungen auf die Umwelt. Dementsprechend sollte es immer darum gehen, Strom effizient und sparsam einzusetzen. Viele Energiesparmaßnahmen sind verhaltensbedingt. So lässt sich Geld einsparen, ohne dass man erst einmal investieren muss. Das wurde oft wiederholt, ist aber doch ein wichtiger Punkt: Es fängt schon dabei an, dass man die Standby-Funktionen deaktiviert und schaltbare Steckerleisten benutzt.


Dominik Seebach ist Diplom-Geoökologe am Öko-Institut e.V. in Freiburg im Breisgau.