Operieren mit viel Spaß am Improvisieren

Operieren mit viel Spaß am Improvisieren
Es hat sich eine Menge getan. Vieles ist in den vergangenen Jahren besser geworden - so die Einschätzung der freiwilligen Helfer im Al-Tawhra-Krankenhaus in Taiz. Zwei Wochen lang operierte und versorgte ein 22-köpfiges Team des „Hammer-Forums“ Kinder und Jugendliche in der jemenitischen Stadt. Mit dabei waren zwei Krankenpflegerinnen und ein Krankenpfleger aus dem Ev. Krankenhaus Bielefeld (EvKB).

Die kunstvolle jemenitische Körperbemalung auf den Armen der Betheler Mitarbeiterinnen ist noch zu erkennen. Und auch der frische Teint, den die Wintersonne auf der arabischen Halbinsel  in die Gesichter gemalt hat, ist noch nicht verblasst. Klaudia Nußbaumer, Jörg Horst und Michaela Sewing sind erst seit wenigen Tagen zurück aus dem Jemen. Sie engagierten sich in der Hilfsorganisation „Hammer Forum“ für kranke, verletzte oder behinderte Kinder und Jugendliche in Krisen- und Kriegsgebieten. Die Fachkräfte arbeiten unentgeltlich. Für die zwei Wochen, die sie im Jemen arbeiten, opfern sie ein paar Tage ihres Jahresurlaubs und erhalten darüber hinaus Sonderurlaub vom Arbeitgeber.

„Die Menschen im Jemen müssen die Operationen selbst bezahlen. Sie sind so arm, dass sie das Geld nie aufbringen könnten“, sagt Klaudia Nußbaumer, eine erfahrene OP-Schwester, die schon drei Mal im Al-Tawhra-Hospital tätig war. Leistenbrüche, Verbrennungsnarben oder Lippen- und Gaumenspalten blieben deshalb unbehandelt. „Wenn die freiwilligen Helfer aus Europa kommen, warten die Eltern in langen Schlangen, um ihre Kinder versorgen zu lassen. Denn dann zahlen sie nur ein paar Rial“, so Klaudia Nußbaumer. In den zwei Wochen, in denen sie zusammen mit ihren Bethel-Kollegen im Jemen war, wurden 217 Operationen durchgeführt, und 1380 Kinder in der Ambulanz untersucht.

Ob ein Kind „unters Messer kommt“ und sich dadurch seine Lebensqualität um ein Vielfaches verbessert oder ob die Eltern unverrichteter Dinge nach Hause gehen müssen, entscheiden die Ärzte im Vorfeld. „Es hat keinen Sinn, Kinder zu operieren, die anschließend auf der Intensivstation versorgt werden müssten. Die gibt es im Jemen noch nicht“, erläutert Jörg Horst, der im EvKB auf der pädiatrischen Intensivstation arbeitet. Deshalb werden nur die Kinder operiert, die keine allzu aufwändige Nachsorge für eine gute Genesung benötigen. Für Eltern, die von weit her angereist kommen, in der Hoffnung, dass ihrem schwerkranken Kind geholfen wird, bedeutet eine Absage jedes Mal unermessliches Leid.

Obwohl der medizinische Standard im Al-Tawhra-Hospital weit entfernt von europäischen Maßstäben ist, hat sich in den vergangenen Jahren dank der Kooperation mit dem Hammer Forum Vieles zum Besseren gewendet. „Es gibt genügend Material für Operationen. Durch Spenden ist der große Lagerraum gut gefüllt mit Spritzen, Schläuchen oder Abdecktüchern“, betont Michaela Sewing, die dritte im Bunde des EvKB-Teams. Und auch das jemenitische Krankenhauspersonal sei mittlerweile gut geschult. „Die junge Frau, die die Instrumente sterilisiert, arbeitet sehr sauber, und die Ärzte werden auch immer kompetenter.“

Operationspläne wie im EvKB, die die Reihenfolge der Eingriffe vorgeben, gibt es im Al-Tawhra-Hospital  nicht. „Wir mussten immer ganz flexibel reagieren auf die Menschen und das Material“, so die Michaela Sewing, die in Bethel auf der Frühgeborenen-Intensivstation arbeitet. Wenn die Instrumente für die Leistenbruch-Operationen verbraucht waren, wurde eben mit Lippenspalten weitergemacht.

Einmal, so erzählt Klaudia Nußbaumer, hätten sie Feierabend machen wollen und seien in Gedanken schon beim Essen gewesen, das ein jemenitischer Koch für die empfindlichen Mägen der Europäer täglich frisch zubereitete. Als sie über den Krankenhausflur gingen, hätte da noch ein kleiner Patient gesessen, der auf den nächsten Tag wartete.  „Wir haben ihn einfach an die Hand genommen, sind alle zusammen zurück in den OP gegangen und haben ihn noch operiert.“

Tatsächlich ist es im Al-Tawhra-Hospital so, dass die Kinder in Straßenkleidung zu Fuß in den Operationssaal spazieren. „Weil sie so arm sind, besitzen sie nur ein einziges Kleidchen, und das ist meist total verdreckt“, berichtet Klaudia Nußbaumer. Trotzdem bekommen die operierten Kinder nicht unbedingt mehr Infektionen als hierzulande. „Ich denke, die haben ein intakteres Immunsystem und sind nicht so empfindlich“, meint Jörg Horst. Weil es den Helfern widerstrebt, den frisch operierten Kindern die schmutzigen Hemdchen wieder überzustreifen, bringen sie neben medizinischem Gerät und Medikamenten auch immer gute Kinderbekleidung mit nach Taiz.

Die Frauen im Team des Hammer Forums wurden in dem streng islamischen Land nicht gezwungen, die Kleiderordnung einzuhalten. „Es war für uns aber selbstverständlich, dass wir uns in Zivil dezent kleideten“, so Michaela Sewing. Die Mütter der kleinen Patienten und einige jemenitische Mitarbeiterinnen trugen hingegen den Niqab, den Vollschleier mit Sehschlitz. „Am Anfang hatte ich Probleme. Ich konnte die Frauen nicht unterscheiden. Mit der Zeit lernt man aber, sie an den Augen, der Größe und der Haltung wiederzuerkennen“, berichtet Michaela Sewing.

Mit dem Team vom Hammer Forum im Jemen zu arbeiten, mache Spaß, bestätigen die drei EvKB-Mitarbeitenden. Vielleicht gerade deshalb, weil die Bedingungen im Operationssaal so anders sind. „Jeder macht alles. Ärzte wischen die Tische ab, OP-Schwestern helfen im Aufwachraum –alle im Team sind leistungsbereit und haben Freude am improvisieren“, schwärmt Klaudia Nußbaumer. Auf jeden Fall wollten sie noch einmal in den Jemen, bekräftigt Jörg Horst. „Jede noch so kleine OP verändert das Leben des Kindes zum Besseren. Mit wenig kann man ganz viel erreichen.“