Haben auch gefährliche Straftäter ein Recht auf Freiheit?

Haben auch gefährliche Straftäter ein Recht auf Freiheit?
Kommende Woche verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Sicherungsverwahrung für schwere Straftäter - und bewegt sich dabei auf juristisch heiklem Terrain.
05.02.2011
Von Frank Leth

David G. gilt als "hartnäckiger Berufseinbrecher". Seine Opfer waren alleinstehende Frauen, in deren Wohnungen er einbrach. Eine der Frauen vergewaltigte er auch. Zuletzt wurde er 1995 in Augsburg wegen Diebstahls zu einer Haftstrafe von vier Jahren und vier Monateln mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Obwohl die Sicherungsverwahrung damals auf maximal zehn Jahre begrenzt war, wurde sie wegen bestehender Gefährlichkeit von David G. verlängert. Am kommenden Dienstag (8.2.) verhandelt nun das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe darüber, ob David G. in die Freiheit entlassen werden muss. (AZ: 2 BvR 2365/09)

Die Karlsruher Richter werden auch über drei weitere Fälle zur Sicherungsverwahrung zu entscheiden haben. Die Inhaftierten wurden wegen Kindesmissbrauchs, Vergewaltigung, Mord als Jugendlicher und Entführung verurteilt. Zum Schutz der Allgemeinheit wurde bei allen Inhaftierten die Sicherungsverwahrung rückwirkend angeordnet.

Der 55-jährige David G. und die anderen drei Beschwerdeführer halten dies für einen Verstoß gegen das Verbot, Strafen rückwirkend anzuordnen oder zu verlängern und gegen ihr in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankertes Recht auf Freiheit. Denn zum Tatzeitpunkt habe es für die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung keine gesetzliche Grundlage gegeben. "Es muss aber der Grundsatz gelten: Keine Strafe ohne Gesetz", sagt Sebastian Scharmer, David G.'s Anwalt.

Dürfen Gesetze rückwirkend angewendet werden?

Für die Juristen ist das Thema eine harte Nuss. 2004 hatte das Bundesverfassungsgericht die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung zum Schutz der Allgemeinheit als zulässig gewertet. Denn die Sicherungsverwahrung stelle gar keine Strafe dar, sondern sei als Maßregel zu werten. Für derartige rein präventive Maßregeln gelte das Rückwirkungsverbot nicht.

Jörg Kinzig, Strafrechtler an der Universität Tübingen und Verfahrensbevollmächtigter von David G., sieht dagegen die rückwirkenden Regelungen zur Sicherungsverwahrung kritisch. "Man schreibt da 'Maßregel' drauf, und in Wahrheit ist es eine Strafe. Menschenrechte gelten aber auch für Straftäter", sagt der Juraprofessor.

"Für inhaftierte Betroffene macht die Sicherungsverwahrung keinen Unterschied zur Haft aus", sagt Anwalt Scharmer. Zwar solle auch in der Sicherungsverwahrung die Resozialisierung gefördert werden, trotzdem würden dort notwendige Therapien verweigert. Auch David G. habe seine Psychotherapie gegen seinen Willen abbrechen müssen.

Hoffnung auf Freilassung haben Häftlinge in Sicherungsverwahrung seit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg vom Dezember 2009. Gegen eine Sicherungsverwahrung sei zwar nichts einzuwenden, urteilten die Richter. Die Verhängung einer Sicherungsverwahrung sei aber unzulässig, wenn es bei der Verurteilung des Straftäters dazu noch keine gesetzlichen Vorschriften gegeben hat. Auch die bis 1998 geltende zehnjährige Höchstgrenze für eine Sicherungsverwahrung dürfe nicht rückwirkend verlängert werden, entschied der EGMR in Folgeurteilen.

"Die Menschenrechtskonvention ist bindend"

Doch wer hat nun das letzte Wort bei der Interpretation von Grund- und Menschenrechten, Karlsruhe oder die Richter des EGMR? "Die Europäische Menschenrechtskonvention ist für Deutschland bindend", sagt Axel Dessecker von der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden und Sachverständiger in den Verfahren am Dienstag in Karlsruhe.

Es sei sehr "unglücklich", dass es bei der Sicherungsverwahrung zwischen dem EGMR und dem Bundesverfassungsgericht einen Dissens gebe. Zwar sei seit Anfang dieses Jahres nach einer Gesetzesreform die rückwirkend angeordnete Sicherungsverwahrung nicht mehr möglich. Das Problem seien aber die Altfälle.

Auch Kinzig mahnt, dass Deutschland sich bei der Sicherungsverwahrung an der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem EGMR orientieren muss. "Wir können nicht Menschenrechtsverletzungen in Russland und der Türkei anprangern, eigene Verfehlungen aber ausblenden", sagt der Tübinger Jurist.

epd