Eine Weihnachtsgeschichte: "Alles fertig"

Eine Weihnachtsgeschichte: "Alles fertig"
Um die Wartezeit auf den Weihnachtsmann zu verkürzen, veröffentlicht evangelisch.de eine Weihnachtsgeschichte von Arnd Brummer: "Alles fertig". Zum Anhören oder (Vor-)Lesen.
21.12.2010
Von Arnd Brummer

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Das kann nicht sein! Wolfgang und Marianne stehen in der Küche und schlürfen den ersten Kaffee. Die Kinder schlafen noch. Der Morgen des Heiligen Abends und sie haben nichts mehr zu tun. Es ist alles geputzt. Der Baum ist geschmückt. Die Krippe ist aufgestellt. Der Heringssalat für den Abend zieht im Kühlschrank durch. Alle Einkäufe für die Feiertage sind erledigt. Die Geschenke liegen bereit, um sie nach der Vesper unter dem Christbaum zu deponieren. Die Weihnachtspost ist raus. Niemanden vergessen? Diesmal nicht. Nichts mehr zu bügeln. Wie Weihnachten! Was machen wir jetzt mit dem Tag?

Telefonieren? Mal bei Christel und Andreas anrufen. Entspannte Leute sind das. Im Sommerurlaub haben sie einander kennengelernt. Sie saßen auf der kleinen Terrasse der Ferienwohnung und haben über dies und das geredet. Irgendwie sind sie auf Weihnachten gekommen. "Ich kann gar nicht verstehen, warum die Leute vor Weihnachten immer so in Hektik geraten", hat Christel erzählt. Bei ihnen sei Heiligabend ein ganz harmonischer, ruhiger Tag.

Wolfgang und Marianne haben einander schuldbewusst angesehen. "Warum klappt das bei uns nie?", hat Marianne ihren Mann am Morgen danach gefragt. "Es wird klappen", hat Wolfgang geantwortet und sein entschlossenes Gesicht aufgesetzt, "diesmal machen wir alles anders, mein Liebling." Und tatsächlich haben sie es geschafft. Fertig.

Am anderen Ende der Leitung hört Marianne Christels Stimme. Klingt gar nicht so entspannt wie im Sommer. Klingt so wie ich in den vergangenen Jahren um diese Zeit. "Wir sind ein bisschen unter Druck. Können wir morgen oder übermorgen telefonieren? Olli hat sich im Sport vorgestern die Hand gebrochen. Und Andreas war bis gestern Abend auf Dienstreise. Alles hängt an mir. Tschuldige, irgendwie ist dieses Jahr der Wurm drin. Muss noch putzen. Andreas ist mit den Kindern den Baum holen. Bis dann." Arme Christel.

Der kleine Yannick kommt im Schlafanzug aus seinem Zimmer. "Ist Wibke schon wach?" Nein, die ältere Schwester schläft noch. "Du weckst sie nicht!" - "Okay, wenn ich an den Computer darf." Wolfgang hat eine andere Idee: "Wollen wir nicht zusammen etwas spielen? ,Siedler` oder ,Monopoly'?" Yannick reibt sich den Schlaf aus den Augen. "Zusammen spielen? Es ist doch noch so früh am Morgen." So kennt er seine Eltern nicht. Sitzen in der Küche, sind bester Laune. Was für ein seltsamer Tag!

Wolfgang geht erst mal Brötchen holen. Lange Schlange in der Bäckerei. Zwei Frauen hinter ihm atmen hörbar empört. Eine zischt: "Heiligabend mit Aushilfen arbeiten. Unmöglich." Die andere: "Genau. Ich hab' noch so viel zu erledigen." Wolfgang dreht sich um. "Bitte, wenn Sie wollen, können Sie vorrücken." Damit haben die beiden nicht gerechnet. Zunächst verlegen, dann geradezu euphorisiert, nehmen sie sein Angebot an. "Sehr nett, ein Gentleman." - "Dass es so was noch gibt. Schöne Feiertage." Ein Supergefühl, wenn man sich Großzügigkeit leisten kann.

Marianne empfängt ihn mit besorgter Miene. "Dein Bruder hat angerufen." Walter? "Dann muss etwas Schlimmes passiert sein. - "Befürchte ich auch. Du sollst ihn sofort zurückrufen." Macht er. Bille ist dran, sehr streng: "Ja, hallo. Ich gehe dir deinen Bruder." Walter spricht leise, ganz anders als sonst. "Wir werden uns trennen. Kann ich mit Katharina zu euch kommen?" Was ist los? "Bille spinnt rum, weil ich den Wilde-Kerle-Kulturbeutel für Kathi nicht mehr bekommen habe." Im Hintergrund tobt die Schwägerin: "Nicht bekommen! Sei doch ehrlich, du hast ihn vergessen. Vergisst das Geschenk für seine Tochter! Du Egoist. Ich habe dich sooo satt!"

Wolfgang bietet an, bei "Spielwaren Frank" vorbeizuschauen. Walter meint, das nütze jetzt auch nichts mehr. Bille sei schon dabei, ihren Koffer zu packen. Wollte Kathi mitnehmen, zu ihren Eltern. Aber Kathi habe geweint und gefleht, sie wolle Weihnachten mit ihrem Papi verbringen. "Dann bleib' bei deinem sauberen Papi! Der soll dir erklären, warum du nichts zu Weihnachten kriegst!" -"Gib mir mal Bille." Wolfgang gelingt es, einen Waffenstillstand auszuhandeln, reicht den Hörer an Marianne weiter. "Bille, wir haben ein wenig Luft in diesem Jahr. Kann ich etwas für dich tun?"

Also fährt Marianne schnell rüber. Wolfgang sucht den Kulturbeutel - wenn ihn Frank nicht hat, gibt's noch dieses kleine Geschäft an der Kölner Straße. Yannick darf daddeln und Wibke schläft immer noch.
"Wusste ich's doch, auf Frank ist Verlass", freut sich Wolfgang und lässt den Kulturbeutel gleich als Geschenk verpacken, tut noch 'ne CD mit Wilde-Kerle-Songs dazu. Als er zum Auto geht, klingelt das Handy. Marianne. "Geht wieder", raunt sie, "kann jetzt nicht sprechen, aber geht wieder. Du, Schatz, bevor du hierherkommst, schau doch noch mal bei uns zu Hause auf dem Dachboden in die Weihnachtskiste. Wir müssten da noch den alten Christbaumständer haben. Sei so lieb und bring ihn mit. Der von Walter rinnt."

Wibke steht im Flur. "Wo steckt ihr denn? Dachte wir machen heute einen Ruhigen." Wolfgangs Bericht amüsiert seine 15-Jährige. "Echt?", grinst sie, "die supercoole Tante Bille. Wer hätte das gedacht. Kommt mir aber irgendwo bekannt vor. Wolltest du nicht letzte Weihnachten abreisen?" -"Das war vor zwei Jahren, Wibke, als deine Mutter über den Baum gemeckert hat, den ich Heiligabend anschleppte. Weißt du, wo ich den alten Baumständer finde? In der Kiste ist er nicht." Wibke hat eine schwache Ahnung, dass er im Keller vor sich hingammelt. Sie finden ihn - nach einer halben Stunde.

Marianne steht auf dem Fenstersims im ersten Stock, als Wolfgang vor der Behausung seines Bruders vorfährt, und putzt die Scheiben. Sie winkt im fröhlich zu. Schreck! Nein, sie hält sich am Fensterflügel fest und schwingt ins Zimmer. Wolfgang rennt ins Haus. Da sitzt Marianne auf dem Boden und reibt sich den Knöchel. Bille kommt mit einem Cool Pack. "Nicht schlimm", stöhnt Marianne, "nur geprellt." Bille nimmt sie in den Arm: "Jetzt machen wir eine Pause."

Walter schleppt Pötte mit Kaffee herbei. Sie mümmeln Spekulatius. So nah sind wir uns selten, denkt Wolfgang, seine Nichte auf den Knien. Als er Wibkes Kommentar in die Unterhaltung fallen lässt, muss Bille über das Prädikat "supercool" tatsächlich lachen. Wann hat er seine Schwägerin zuletzt lachen gesehen? "Und du wolltest vor zwei Jahren abreisen? Du, der - supercoole - Wolfi? Na, das tröstet mich aber gewaltig. Dachte immer, wir sind die Chaoten und ihr seid die heilige Familie." Nun prustet Marianne los. "So kann man sich irren. Schätze, wir kennen einander gar nicht."

"Es war ein schöner Abend", sagt Marianne, als sie um halb eins nach Hause fahren. "War eine tolle Idee von Bille, zusammen zu feiern." Wolfgang hatte den murrenden Yannick und die freche Wibke um halb fünf abgeholt. Und den Heringssalat. Und die wichtigsten Geschenke. Dann sind sie alle zusammen in die Kirche gegangen. Haben Bille ihr Solo im Chor singen gehört. "Gar nicht schlecht", lobte Wibke, die ganz andere Musik bevorzugt.

Yannick fand die Aktion nicht so witzig. "Warum haben wir uns in den letzten Tagen so'n Stress gemacht? Hätten wir ja nicht wie die Perversen aufräumen müssen, wenn wir auswärts feiern." Aber auch Yannick war am Ende zufrieden, weil er sein neues Game auf Onkel Walters megateurem Notebook spielen durfte. Hat sogar die kleine Kathi mitspielen lassen, ganz der große Cousin. "Hätte ich nicht für möglich gehalten. Vor einem Jahr hätte er das noch nicht gebracht", meint Marianne.

Als die Kinder im Bett sind, sitzen Marianne und Wolfgang noch auf einen Sekt vor ihrem leuchtenden Baum. "Schlacht geschlagen", murmelt Wolfgang. Seine Frau lächelt, schweigt einen Augenblick und macht: "Mhmm". Wolfgang hebt sein Glas. "Auf dein Wohl, mein Schatz. Zufrieden?" Mariannes dunkle Augen suchen einen Punkt hinter seinem Kopf. "Mhmmm. - Ja. Doch. - Zufrieden." Immer ist Weihnachten anders, als sie es sich vorher ausgedacht haben. Und dennoch war es diesmal so, wie es sein sollte.


Arnd Brummer ist Chefredakteur von evangelisch.de und des evangelischen Monatsmagazins "chrismon".

 

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