"Es wird schwierig, auf die Zivis zu verzichten"

"Es wird schwierig, auf die Zivis zu verzichten"
Der Zivildienst endet, wie die Wehrpflicht auch. Die Folgen sind noch nicht vollständig abzusehen: Wird es gelingen, die Lücke über Freiwilligendienste abzudecken? Die betroffenen Institutionen - Diakonie, Hilfswerke, Pflegedienste, Jugendherbergen und so weiter - sind sich da nicht sicher.
15.12.2010
Von Petra Sorge

Johannes Berger legt der jungen Frau an der Werkbank ein beschriftetes Kärtchen hin. Sie schiebt ein Holzlineal darüber, faltet das Papier längs und legt es in eine Kiste. Darin stapeln sich die fertigen Schildchen. "Die werden später einmal als Sicherungskarten in BMWs eingesetzt", sagt Berger.

Der 19-Jährige ist einer von 11 Zivildienstleistenden in der diakonischen Behindertenwerkstatt Bodelschwingh-Hof im thüringischen Mechterstädt. Er bereitet die Werkbänke vor und legt auch selbst einmal Hand an, wenn einer der behinderten Angestellten ausfällt. Der Werkstatt dient der "Zivi" aber vor allem als Fahrer: Er holt das Material von den Herstellern, liefert es an Kunden, und verteilt Essen sowie Wäsche an die diakonischen Einrichtungen des Landkreises.

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Ab März 2011 allerdings wird es am Bodelschwingh-Hof keine Zivis mehr geben. Denn mit der Abschaffung der Wehrpflicht endet auch der Wehrersatz- oder Zivildienst. Dabei sind die jungen Männer in der Einrichtung nicht nur eine wichtige Stütze für die Behinderten, sondern entlasten auch die Mitarbeiter. "Es wird schwierig, auf die Zivis zu verzichten, denn sie leisten eine wirklich wichtige Arbeit", sagt Personalleiterin Ellen Stein. Schwierig sei es aber auch jetzt schon, seitdem die Wehrpflicht auf sechs Monate verkürzt wurde: Stein hat in diesem Jahr nur die Hälfte der beantragten 22 Zivildienststellen besetzen können. Nicht nur die Verkürzung der Wehrpflicht und die selteneren Einberufungen machen sich bemerkbar, sondern auch der Geburtenknick.

Wer schließt die Lücken?

Die Lücken sollen nun Jugendliche des Freiwilligen Sozialen (FSJ) und Ökologischen Jahres (FÖJ) schließen. Zudem plant das Familienministerium den Bundesfreiwilligendienst als Nachfolgemodell für den bisherigen Zivildienst. Rund 35.000 junge Menschen sollen mit staatlicher Förderung für den neuen Dienst gewonnen werden.

Allerdings bezweifelt Stein, ob sich genügend Freiwillige für die Arbeit am Bodelschwingh-Hof finden. Derzeit sind vier FSJ'ler in der Einrichtung tätig. Früher seien es bis zu zehn gewesen. Sollten sich nicht genug junge Menschen finden, fürchtet Stein Zusatzbelastungen für die rund 300 Mitarbeiter, die in den Werkstätten und Wohnheimen der Einrichtung tätig sind. "Wenn die Zivis wegfallen, bleibt sicherlich nicht mehr so viel Zeit für die Bewohner und Beschäftigten." Außerdem würden für den Hof Mehrkosten entstehen, sobald neue Arbeitskräfte eingestellt werden. Stein will daher die Freiwilligendienste im Internet, an Schulen und Arbeitsämtern stärker bewerben.

Obwohl viele Sozialeinrichtungen die gleichen Engpässe wie Stein befürchteten, seien andere ganz gut aufgestellt, sagt Christel Buschke, Leiterin der Stelle Zivildienst der Ökumenischen Diakonie Brandenburg. "Sie setzen längst Praktikanten und Freiwillige ein, weil das Thema Wehrpflichtabschaffung schon lange aussteht." Bei der Arbeiterwohlfahrt haben die Jugendlichen des Freiwilligen Sozialen Jahres sogar die Zivis zahlenmäßig schon eingeholt. In beiden Bereichen arbeiten je etwa 2.500 junge Menschen bundesweit.

Der Ansturm der FSJ'ler bleibt aus

Beim Thüringer Jugendherbergsverband ist nach eigenen Angaben der Ansturm der FSJler bisher ausgeblieben. Und von den Zivildienststellen sei derzeit nur ein Drittel besetzt. Mit dem Saisonbeginn im März erwartet etwa Danuta Keller, die zwei Herbergen in Weimar leitet, große Probleme. Sie beobachtet schon seit einiger Zeit, "dass die Jugendlichen irgendwie verschwunden sind." Derzeit betreut Keller zwei Zivis und zwei Freiwillige, hätte aber noch weiteren Bedarf. Die jungen Helfer kümmern sich um die Kinder, arbeiten in der Küche und an der Rezeption.

Einer ihrer beiden Zivis ist Marco Krüger im Gästehaus "Maxim Gorki". Eigentlich müsste er seinen Dienst hier gar nicht leisten: Nachdem er im Sommer 2009 noch für wehrtauglich befunden worden war, fiel Krüger am ersten Arbeitstag im Oktober durch die Musterung durch. Nach der neuen, strengeren "Tauglichkeitsverordnung" stimmt sein Body-Mass-Index nicht mehr. Er ist untergewichtig.

Da aber das Semester im Oktober beginnt, war es für eine nachträgliche Bewerbung um einen Studienplatz zu spät. Krüger stellte eine Ausnahmegenehmigung, um trotzdem den Zivildienst antreten zu dürfen. Der 19-Jährige ist somit auch ein bisschen ein Freiwilliger, gezwungenermaßen. Seine Entscheidung bereut Krüger nicht: "Bei welcher anderen Stelle hat man so viel Kontakt zu Menschen?"

Die Akzeptanz für den sozialen Sektor könnte schwinden

Diese Erfahrung teilen auch viele Zivis vom Bodelschwingh-Hof. "Man lernt, wie man mit den Leuten umgeht, mit denen man sonst im Alltag nicht so viel zu tun hat", sagt Johannes Berger - obwohl er direkt neben einem Behindertenwohnheim aufgewachsen ist.

Personalleiterin Ellen Stein befürchtet, dass mit der Abschaffung des Zivildienstes auch die Akzeptanz für den sozialen Sektor insgesamt schwinde. Denn durch den Dienst in der Behindertenwerkstatt und im Wohnheim hätten schon einige junge Männer ihre eigentliche Berufung entdeckt: Die ersten beiden Zivis, die 1990 in der Mechterstädter Einrichtung anfingen, arbeiten noch heute hier.


Petra Sorge ist freie Journalistin aus Leipzig.