Graumann folgt Knobloch an der Spitze des Zentralrats der Juden

Graumann folgt Knobloch an der Spitze des Zentralrats der Juden
Generationswechsel beim Zentralrat der Juden: Der 60 Jahre alte Dieter Graumann wurde am Sonntag in Frankfurt am Main zum neuen Präsidenten der jüdischen Dachorganisation gewählt. Er folgt der 78-jährigen Charlotte Knobloch, die seit 2006 an der Spitze des Zentralrats stand. Mit der Wahl Graumanns hat der Zentralrat erstmals einen Präsidenten, der die Vernichtung der europäischen Juden während des Nationalsozialismus nicht selbst erlebt hat.

Der neue Präsident kündigte nach seiner Wahl "frischen Wind" in der Arbeit des Zentralrats an: "Die Pluralität ist die neue jüdische Normalität", sagte Graumann angesichts der Einflüsse zahlreicher jüdischer Einwanderer aus den ehemaligen Ostblockstaaten. In der Außendarstellung müsse sich der Zentralrat fragen, ob er stets "Dauermahner" sein wolle: "Wir Juden wollen nicht nur immer laut hinausschreien, wogegen wir sind."

Auch gehe es ihm darum, ein "neues, frisches Bild vom Judentum" zu zeichnen. Das Judentum stehe nicht für Katastrophen und Verfolgung, sagte Graumann. Es stehe für Werte, Leidenschaft und Tradition.

Die Münchnerin Knobloch hatte auf eine erneute Amtszeit verzichtet. Der bisherige Vizepräsident Graumann aus Frankfurt war einziger Kandidat für das Spitzenamt und wurde einstimmig von den Spitzengremien gewählt. Der Zentralrat der Juden repräsentiert 23 jüdische Landesverbände und 108 Gemeinden mit insgesamt rund 105.000 Mitgliedern. Bei den Beratungen wurden auch die zwei Vizepräsidenten neu gewählt: Salomon Korn (67) aus Frankfurt wurde im Amt bestätigt, neu gewählt wurde Josef Schuster (56) aus Würzburg.

EKD-Ratsvorsitzender Schneider gratuliert Graumann

Als Sohn osteuropäischer Holocaust-Überlebender wurde Graumann 1950 in Israel geboren. Mit seinen Eltern kam er als Kind nach Deutschland und lebt seither in Frankfurt am Main. Nach dem Studium der Volkswirtschaft und Rechtwissenschaft ging er zunächst zur Deutschen Bundesbank. Heute betreibt der verheiratete Vater von zwei Kindern in Frankfurt eine Liegenschaftsverwaltung. In der Jüdischen Gemeinde Frankfurt sitzt er seit 1995 im Vorstand, wo er für Finanzen, Schule, Kulturarbeit und Presse zuständig ist. Präsidiumsmitglied des jüdischen Zentralrates ist er seit 2001. 2006 wurde er Vizepräsident.

Dem Führungswechsel waren Dissonanzen innerhalb des Zentralrats vorausgegangen. Am Führungsstil von Knobloch wurde mehrfach Kritik geübt. Im Februar kündigte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern ihren Verzicht für eine weitere vierjährige Amtszeit an der Spitze der Dachorganisation an.

Für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) gratulierte Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider dem neuen Zentralrats-Präsidenten. In Graumanns Lebensgeschichte komme der Neuanfang jüdischen Lebens in Deutschland eindruckvoll zum Ausdruck, heißt es in dem Glückwunschschreiben. Der bisherigen Präsidentin Knobloch dankte der EKD-Ratsvorsitzende für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, die von gegenseitiger Wertschätzung und gemeinsamem Eintreten für die demokratische Entwicklung der Gesellschaft getragen sei.

"Kluger Gestalter und souveränder Verhandler"

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, lobte in seiner Gratulation den Gesprächskontakt zwischen Zentralrat und katholischer Kirche. Er schrieb an Graumann: "Sie dürfen gewiss sein, dass die Deutsche Bischofskonferenz auch weiterhin gegen jede Form von Antijudaismus und Antisemitismus eintreten und der Leugnung der Schoah entschieden widersprechen wird." Knobloch würdigte der Erzbischof als "verlässliche und offene Gesprächspartnerin" für die katholische Kirche.

Bundestagspräsident Norbert Lammert lobte Graumann als klugen Gestalter, souveränen Verhandler und Mann klarer Worte. Sein Amtsantritt sei "eine Zeitenwende für den Zentralrat". Mit ihm rücke erstmals "eine Persönlichkeit an die Spitze, die nicht zur Überlebenden-, sondern zur Nachgeborenengeneration zählt", erklärte Lammert in seinem Gratulationsschreiben.

epd