"Amerika ist besessen von seiner Celebrity-Kultur"

"Amerika ist besessen von seiner Celebrity-Kultur"
Gerade einmal vier Filme hat Sofia Coppola (geb. 1971), Tochter des Regisseurs Francis Ford Coppola, gedreht und gehört doch schon zu den ganz großen Filmemacherinnen ihrer Generation. Schon ihr Debüt „Virgin Suicides“ wurde 1999 von Kritik und Publikum gefeiert. Für „Lost in Translation“ mit Bill Murray und Scarlett Johansson gewann sie vier Jahre später den Oscar für das beste Originaldrehbuch und ihr neuer Film „Somewhere“, der aus dem leer drehenden Leben eines Hollywood-Stars erzählt, wurde in diesem Jahr in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.
05.11.2010
Die Fragen stellte Martin Schwickert

Wie ist die Grundidee zu "Somewhere" entstanden?

Sofia Coppola: Am Anfang stand die Figur des Johnny Marco. Ein Bad-Boy-Schauspieler, der in diesem Hotel, dem "Chateau Marmont" lebt. Ich hatte bei der Entwicklung der Figur verschiedene Schauspieler im Kopf, von denen ich einige Geschichten gehört hatte. Es waren so etwa zwölf Personen. Aber ich werde Ihnen jetzt keine Namen nennen.

Sie haben offensichtlich in Ihren Filmen eine Schwäche für Hotels. Was ist das besondere am "Chateau Marmont"?

Coppola: Das "Chateau Marmont" ist in Los Angelas eine Legende. Viele Hollywood-Stars haben hier schon gewohnt. Von Humphrey Bogart über John Belushi bis zu Johnny Depp. Es ist ein Ort, der Filmgeschichte atmet. Als ich in den 90ern in Los Angelas aufs College ging, war ich oft dort, einfach nur um die Leute zu beobachten. Es war immer eine sehr interessante, bunte Mischung. Damals gab es da allerdings noch nicht so viele Paparazzis. Heute checken die meisten Leute dort ein, nur um gesehen und fotografiert zu werden.

"Somewhere" zeigt das Leben eines Filmstars aus einer sehr alltäglichen Perspektive. Was hat Sie in den Hinterhof der amerikanischen Celebrity-Kultur gebracht?

Coppola: Es ist eine extreme Welt, die ich persönlich eher aus der Distanz betrachte. Das Show-Business und der Ruhm werden ja vollkommen überbewertet. Das heutige Amerika ist geradezu besessen von seiner Celebrity-Kultur. Viele Leute wollen einfach nur berühmt werden und ich wollte zeigen, wie es sich anfühlt, wenn man ein Filmstar ist. Für viele Leute klingt das vielleicht erstrebenswert, wenn man einen Ferrari fährt und Strip-Girls auf sein Zimmer im "Chateau Marmont" bestellen kann. Mir ging es darum, den weniger glamourösen Alltag zu zeigen.

Wie nahe stehen Sie als Regisseurin, die im Filmgeschäft aufgewachsen ist, dieser Welt?

Coppola: Ich bin ja nicht in Hollywood aufgewachsen, sondern in Nord-Kalifornien. Meine Mutter hatte mit dem Showbusiness nichts zu tun. Da entwickelt man seine eigenständige Perspektive. Und auch heute bewege ich mich nicht die ganze Zeit in der Welt des Films und kann das Ganze sehr gut aus der Distanz betrachten.

Sind die Dinge für Sie aus der Distanz besser zu erkennen?

Coppola: Als ich in Los Angelas wohnte, habe ich Drehbücher geschrieben, die in Tokio oder Frankreich angesiedelt waren. Das Skript zu "Somewhere" habe ich entwickelt, als ich in Paris gelebt habe. Ich kann nicht so gut über meine direkte Umgebung schreiben. Da brauche ich einen gewissen Abstand.

Trotzdem stellen Sie auch in diesem Film eine sehr intime Nähe zu den Figuren her…

Coppola: Ich mache persönliche Filme. Von daher ist immer auch ein Stück von mir in den Figuren. Die größte Herausforderung bei dieser Geschichte war es, sie von einem männlichen Standpunkt aus zu erzählen und sie aus dieser Perspektive glaubwürdig zu gestalten.

Johnny Marco durchläuft in "Somewhere" einen langsamen, fast unmerklichen Veränderungsprozess. Wodurch verändern sich Menschen? Wodurch verändert sich Johnny Marco?

Coppola: Es gibt immer wieder Momente im Leben, an denen man sich entscheiden muss, welchen Weg man geht. Aber es ist selten eine Sache, die eine Veränderung bewirkt, sondern eine komplexe Kombination aus verschiedenen Elementen.
Johnny Marco ist an einem Punkt in seinem Leben, an dem er irgendwie dazwischen hängt und auf sich selbst blickt. Und seine Tochter weckt ihn ein bisschen auf und bringt ihn dazu, sich selbst näher zu betrachten. Die Tochter repräsentiert einen Teil seines Lebens, der sich reiner und authentischer anfühlt als der Rest seiner Filmstar-Existenz.

Wie nahe fühlen Sie sich dieser Tochterfigur?

Coppola: Die Figur ist an eine Tochter von Freunden angelehnt, die gerade in diesem Alter ist und genau in dieser Welt aufgewachsen ist. Meine Kindheit war zwar vollkommen anders, aber ich bin auch mit meinem Vater auf Reisen gegangen und habe einen Einblick in die Welt der Erwachsenen gehabt, der Kindern normalerweise verwährt bleibt.

Während die Welt um uns herum und im Kino immer schneller wird, scheinen Sie Ihre Filme konsequent zu entschleunigen…

Coppola: Unser modernes Leben ist voller Ablenkungen und rast mit einer solchen Geschwindigkeit vorbei Da möchte ich mit meinen Filmen einfach innehalten und genau hinsehen.

Die Dialoge sind in Ihren Filmen sehr sparsam dosiert. Misstrauen Sie den Worten?

Coppola: Für mich ist es interessanter, eine Geschichte über die Bilder als über die Dialoge zu erzählen. Bei anderen Regisseuren weiß ich gute Dialoge durchaus zu schätzen, aber mich interessiert eher, was die Menschen nicht sagen.
Während im Kino die Gefühle oft verbal ganz genau ausformuliert werden, können sich die Leute im wahren Leben meistens nicht so gut in Worten auszudrücken.