"Integration ist eine soziale Problematik"

"Integration ist eine soziale Problematik"
Wer als Zuwanderer in Deutschland lebt, sollte Deutsch können. Darin sind sich Politiker, Lehrer und Forscher weitgehend einig. Auch auf dem Integrationsgipfel in Berlin sind heute wieder Forderungen nach mehr Bildung und Sprachförderung laut geworden. Wolf von Siebert ist beim Goethe-Institut in München Leiter des Projektes "Sprache und Integration". Er meint: Wer gut Deutsch kann, hat es zwar leichter in Deutschland. Aber Sprachkenntnisse sind nicht das einzige Mittel, um hier Fuß zu fassen.
03.11.2010
Die Fragen stellte Anne Kampf

Inwiefern hängt Integration vom Beherrschen der deutschen Sprache ab?

Wolf von Siebert: Sprachkenntnisse werden als grundlegende Voraussetzung für Integration definiert. Das ist gerade bei Kindern sehr einleuchtend, sei es im Kindergarten, sei es in der Grundschule oder in weiterführenden Schulen, weil die deutsche Sprache Voraussetzung ist, um an allen Fächern und einfach am Geschehen teil zu nehmen. Wenn man das nicht kann, wird der Schulerfolg entsprechend schlecht ausfallen, und darüber ist dann die weitere Bildungskarriere sehr beeinträchtigt. In diesem Sinne gibt es auf jeden Fall einen sehr engen Zusammenhang zwischen Sprachkenntnissen, Bildungserwerb und Integration, wenn man Integration als Teilhabe am gesellschaftlichen Geschehen auf allen Ebenen definiert.

Bedeutet, das, dass Menschen mit schlechten Deutschkenntnissen grundsätzlich schlecht integriert sind?

von Siebert: Nein, das wäre eine unzulässige Pauschalisierung. Es ist sicher sehr hilfreich, Deutsch zu können, aber daraus kann man nicht folgern, dass jemand, der nur wenig Deutsch kann, automatisch schlecht integriert ist. In der Süddeutschen Zeitung war vor kurzem ein interessanter Artikel über italienische Restaurantbesitzer und Pizzabäcker, bei denen die Integration nicht über die Sprache, sondern gerade darüber läuft, dass sie italienisch sprechen, dass das Produkt, das sie verkaufen, sehr beliebt ist, dass wir mit Italien bestimmte Sachen verbinden. Also: Integration hängt ab von der Aufnahmebereitschaft des Umfeldes, von der Bereitschaft des Zugewanderten, sich zu integrieren, von wirtschaftlichen Faktoren, von der sozialen Position und so weiter. Gute deutsche Sprachkenntnisse sind ein sehr wichtiges Element, reichen aber für sich nicht aus. Und im Einzelfall geht Integration vielleicht auch mal ohne gute Deutschkenntnisse. In Schule und Ausbildung geht es allerdings sicher nicht ohne sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache.

Welche Faktoren tragen noch zur Integration bei?

von Siebert: Wenn Sie eine gute berufliche Position, einen Arbeitplatz haben, wenn Sie in der Nachbarschaft gut vernetzt sind, wenn Sie in einem Sportverein, einer Theatergruppe oder Bürgerinitiative mitmachen, wenn Sie wirtschaftlich gut dastehen, dann können Sie auch integriert sein. In der Regel ist das aber verbunden mit einer gemeinsamen Sprache, also dass Sie sich irgendwie mit Ihrem Umfeld verständigen können. Es gibt aber genau dieselben Phänomene, die Sie bei Kindern aus nicht integrierten Zuwandererfamilien sehen, auch bei deutschen so genannten bildungsfernen Familien. Was als Integrationsproblematik angesprochen wird, ist häufig eine soziale Problematik! Davon sind wir überzeugt. Wenn wir als Goethe-Institut in der Sprachförderung mit Kindergärtnerinnen arbeiten, beziehen wir uns nciht nur auf Kinder mit Migrationshintergrund, sondern auch auf Kinder aus anderen Familien, die vielleicht auch Sprachdefizite haben. Der beste Ansatz ist, nicht zu unterscheiden zwischen beiden Zielgruppen, sondern einen ganzheitlichen Ansatz zu wählen und Sprachförderung als Aufgabe insgesamt für den Kindergarten zu sehen. Und sicherlich ist es in Kindergarten und Schule auch unsere Aufgabe, die Herkunftssprachen der Kinder und Jugendlichen zu fördern und in das Geschehen mit einzubeziehen. Auch das kann zur Integration beitragen.

Kinder sind doch gut in der Lage, zwei Sprachen gleichzeitig zu lernen: die Muttersprache und die Zweitsprache Deutsch. Das wäre doch eine Chance für Einwandererfamilien…

von Siebert: Der beste Moment im Leben, Sprachen zu lernen, ist in der sehr frühen Kindheit. Ich weiß aus eigener Erfahrung von meiner Tochter, die zweisprachig aufgewachsen ist: In dem Alter, in dem man die erste Sprache lernt, kann man das auch schon zweisprachig tun. In der Frühförderung wird das Alter vor dem dritten Lebensjahr zunehmend als wichtiger Zeitraum angesehen, in dem sich Sprachförderung sehr lohnt. Man kann schon wunderbar vor dem dritten Lebensjahr beginnen, zwei Sprachen zu lernen.

Warum gelingt das vielen Migranten-Familien in Deutschland nicht?

von Siebert: Das gelingt ja auch in deutschen Familien bisweilen nicht. Das hängt mit Bildungsferne zusammen, mit sozialer Position, mit der Situation zuhause, mit dem Klima in der Familie. Wenn es in Migrantenfamilien nicht funktioniert, kommt vielleicht zusätzlich dazu, dass in der zweiten oder dritten Generation weder deutsch noch die eigentliche Muttersprache nicht richtig beherrscht wird. Man kann beide Sprachen nicht fließend. Hier müssten Strukturen geschaffen werden, die es möglich machen, die Muttersprache und die Zielsprache zu fördern. In der Zielsprache ist das natürlich leichter, weil es in der Muttersprache, je nachdem um welche Sprache es sich handelt, vielleicht nur sehr wenige Sprecher in einer Stadt gibt.

Schauen wir mal zu den älteren Kindern, den Jugendlichen: Dient eine gemeinsame nicht-deutsche Sprache Jugendlichen mit Migrationshintergrund dazu, sich abzugrenzen?

von Siebert: Das ist eine Frage, die ich so nicht stellen würde. Wir sind uns einig, dass Mehrsprachigkeit gut ist. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch für die Persönlichkeitsentwicklung, für die Findung der eigenen Identität ist es wichtig, dass man auch die Muttersprache gut spricht. Ich halte es nicht für produktiv, so was auch in der Öffentlichkeit, zum Beispiel auf Schulhöfen, zu verbieten. Da kommen bei mir ungute Assoziationen. Es ist durchaus sinnvoll, wenn Jugendliche dieselbe Muttersprache haben, dass sie Gelegenheit haben, sich in dieser Sprache zu unterhalten. Das kann natürlich auch der Abgrenzung dienen, das ist vielleicht in manchen Stadtteilen in Berlin oder Duisburg oder anderen Städten der Fall, aber im Vordergrund steht für mich, dass Jugendliche sich in ihrer eigenen Sprache unterhalten können, wenn sie diese Sprachkompetenz ausgebildet haben. Es ist sicherlich kein Weg, es einfach zu verbieten, sich in der eigenen Sprache zu unterhalten.

Welche Ansätze sehen Sie in der Bildungspolitik?

von Siebert: Wir tun noch nicht genügend in der Förderung der deutschen Sprache. Ich glaube, das da noch sehr viel mehr passieren kann, vor allem an den Übergängen vom Kindergarten zur Schule, dann zu den einzelnen Schultypen und zur Ausbildung, man spricht von "durchgängiger Sprachförderung". In diese Richtung sollten wir in Deutschland insgesamt noch weiter gehen. Im Moment gibt es in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Systeme. Wir kommen eigentlich gerade dazu, dass eine einheitliche Sprachförderung erforderlich ist, die den ganzen Bildungs- und Ausbildungsweg sieht. Da stehen wir noch ziemlich am Anfang, glaube ich. Das bezieht sich auch auf die Qualifizierung von Erzieherinnen und Lehrern, und da sehen wird als Goethe-Institut einen Beitrag, den wir dazu leisten können.


 

Wolf von Siebert ist beim Goethe-Institut in München Leiter des Projektes "Sprache und Integration".