US-Demokraten deprimiert: "Das ist doch verrückt"

US-Demokraten deprimiert: "Das ist doch verrückt"
Da half auch ein letzter Kraftakt demokratischer Superstars nichts: Obamas Partei ging als absehbarer "Loser" in die Kongresswahlen vom Dienstag. Nach der Hochstimmung vor zwei Jahren herrschen Depression und Unverständnis. Die ersten Ergebnisse werden für Mitternacht deutscher Zeit erwartet.
02.11.2010
Von Gabriele Chwallek

Die Demokraten schickten noch einmal ihre Stars vor - Bill Clinton und Michelle Obama. In den beiden Schlüsselstaaten West Virginia und Nevada versuchten sie es wenige Stunden vor der Öffnung der ersten Wahllokale ein letztes Mal: zumindest ein bisschen von der Aufbruchstimmung neu zu entfachen, die 2008 das Land überrollt hatte. Präsident Barack Obama versuchte am Wahltag noch mit vier Radiointerviews doch noch ein paar Stimmen locker zu machen.

Derweil bestätigten letzte Umfragen erneut, dass der Zug für die Demokraten bei dieser Wahl wohl abgefahren war. "Die Unabhängigen verlassen die Demokraten in Scharen", verkündete die konservative "Washington Times" in dicken Lettern. Experten der diversen Kabfelfernsehsender blickten bereits über den Wahltag hinaus, und rätselten, wie schwer nach dem 2. November für Obama das Regieren wird. Die "USA Today" titelte mit Blick auf die Wahlnacht: "Fünf Stunden, die den Kongress umformen werden".

Niemand hätte am Dienstagmorgen auch nur einen Penny darauf verwettet, dass es den Demokraten noch gelingen könnte, das drohende Debakel bei der Kongresswahl abzuwenden. Sie waren bereits die "Loser" (Verlierer), bevor um fünf Uhr in der Früh als erste die Bürger in Vermont zur Abstimmung gingen.

Politische Landschaft umgewälzt

Welch ein Stimmungswandel. "Vor zwei Jahren konnte ich es nicht abwarten zu wählen", beschrieb der 52-jährige Demokrat Bill Nichols in Washington stellvertretend für viele andere jenen Tag, an dem Obama mit seinen Demokraten abräumte. "Ich habe mich gefühlt wie als Kind vor Weihnachten, voller Erwartung und Vorfreude. Heute fühle ich mich deprimiert. Wenn ich morgen aufwache, sieht die politische Landschaft anders aus."

Nun ist es durchaus üblich, dass der regierenden Partei bei den Zwischenwahlen zwei Jahre nach der Machtübernahme ein Denkzettel verpasst wird. "Relax" - entspanne dich - empfahl deshalb auch Ex- Präsident Clinton Obama. Ihm war so etwas 1994 selbst passiert und anschließend ein Comeback gelungen. Aber damals gab es keine "Tea Party", keine ultrakonservative Basisbewegung mit radikalen und exotischen Kandidaten - und der Chance, Dutzende etablierte Kongress- Demokraten in die Wüste zu schicken.

Der Gegner ist einfach gegen alles

Das macht die Sache für viele besonders bitter. "Sie haben kein Programm. Sie sind nur einfach gegen alles", klagt Jeffrey Creek vor einem Wahllokal in Washington über die Rechtspopulisten von der Tea Party. "Schaut doch nur einfach nach Nevada. Das ist doch verrückt."

In Nevada kämpfte ausgerechnet der bisherige Fraktionschef der Demokraten im Senat, Harry Reid, um sein politisches Überleben. Seine Gegnerin Sharron Angle ist eine der radikalsten "Tea Party"-Kandidaten. Der Zweikampf zwischen Reid und Angle hatte auch etwas Symbolisches: alt gegen neu, Establishment gegen Revoluzzer, eine der möglichen größten Trophäen für die Republikaner bei dieser Wahl, einer der möglichen schmerzlichsten Verluste für die Demokraten.

"Liberale Hexe von San Francisco"

Und auf etwas anderes freuten sich die Republikaner am Dienstag besonders: Die sich abzeichnende Entthronung von Nancy Pelosi. Die Parlamentspräsidentin ist bei den Konservativen als "liberale Hexe von San Francisco" verhasst. So ging John Boehner, der designierte Nachfolger der Kalifornierin, auch gleich am Morgen wählen - als könne er es nicht abwarten. Mit federndem Schritt und selbstbewusstem Lächeln betrat er das Wahllokal. Vor der Tür erhob ein Boehner-Fan die Hand zum V-Zeichen - V für Victory, Sieg.

Pelosi, so hatten die Republikaner immer wieder beklagt, sei extrem polarisierend, mit ihr könne man keine Kompromisse schließen. Aber nichts, so stellten Medien heraus, deutete nach einem der erbittertsten Kongresswahlkämpfe in der US-Geschichte darauf hin, dass es unter konservativer Führung im Abgeordnetenhaus weniger konfrontativ zugehen wird.

Einen Vorgeschmack darauf gab Boehner selbst, der bei einem letzten Vorwahlauftritt behauptete, die Demokraten hätten kein Recht, sich als Patrioten zu bezeichnen. Das stehe den Wählern zu, sagte er und meinte natürlich damit die republikanischen, jene, "die es wagen, die Freiheit zu verteidigen, die Verfassung und die Werte einer Regierung mit begrenzter Macht". So oder so wird der mutmaßliche Verlierer Obama am Tag danach wohl den Olivenzweig schwingen: Für Mittwochmittag plant er eine Pressekonferenz und dürfte dabei für Zusammenarbeit werben.

dpa