Wenn "Onkel Hartz" mal wieder Briefe schickt

Wenn "Onkel Hartz" mal wieder Briefe schickt
Sind fünf Euro mehr für Hartz-IV-Empfänger zu viel? Oder zu wenig? Oder geht die Erhöhung am Problem vorbei? Ein Betroffener berichtet von unsinnigen Fortbildungen und dem alltäglichen Bürokratie-Wahnsinn mit Hartz IV.
04.10.2010
Von Georg Klein

Abitur gemacht, studiert, Praktika, befristete Stellen hier, ausbildungsferne Zwischenjobs da, und trotzdem immer wieder: "Onkel Hartz." So zumindest nennt das Harald Zimmerer (Name geändert) und meint, dass es das Verhältnis zum Amt recht gut beschreibt. "Wie ein naher Verwandter, den man mit seinen nervigen Marotten und Ansprüchen so nehmen muss, wie er ist."

Seit etwa einem Jahr betreibt Zimmerer selbstständig ein kleines Sozialprojekt mit Nachhilfekursen und Workshops für Jugendliche aus sozial schwachen Familien. Nach einer Anlaufphase bringt ihm das immerhin schon um die 500 Euro netto im Monat ein. "Seitdem", sagt er, "bin ich nur noch halb auf Hartz, das macht es etwas leichter." Leichter, weil er, seit sein Status sich geändert hat, nicht mehr ganz so tief in dem steckt, was für ihn "eine ewige Tretmühle" ist. Denn als Tretmühle, nicht als "soziale Hängematte", empfindet er den beinahe täglichem Kampf mit dem Amt.

Papierkrieg ohne Ende

Im Bezug zu sein sei - abgesehen vom knappen Geld - ein ständiges, äußerst aufwendiges "verwaltet werden", sagt Zimmerer. Manchmal nehme der Papierkrieg um Leistungskürzungen oder Erhöhungen mehr Zeit in Anspruch, als echte Arbeit oder die Suche nach einem Arbeitsplatz. Dazu kämen die Maßnahmen und Termine, durch die man geschleust werde. Ob und was davon für die Verbesserung der eigenen Chancen am Arbeitsmarkt tatsächlich Sinn mache, sei insgesamt weniger wichtig. Es komme vor allem darauf an, das fragile Gleichgewicht an Leistungen und Einnahmen aus Ein Euro-Jobs und kurzfristigen oder Zusatzbeschäftigungen aufrecht zu erhalten.

Zimmerer hat noch im letzten Jahr drei Monate auf Teilzeit-Basis für eine Immobilienfirma Gewerbeobjekte registriert und fotografiert. Je nachdem, wie viel er pro Woche von seinen Bezirken abgearbeitet hatte, gab es mehr oder weniger Geld. Seine Gehälter mussten monatlich mit seinen Sozialbezügen verrechnet werden. Zeitweise gab es dreimal die Woche Post vom Arbeitsamt. Neuberechnungen, Formulare die ausgefüllt, Unterlagen die vorgelegt werden mussten. Andere Abteilungen, die Rückzahlungen forderten, Ansprüche überprüften, zur Teilnahme an Kursen aufforderten - oder gleich die Behauptung aufstellten, er würde unrechtmäßig Leistungen beziehen.

Ärger mit dem "Onkel"

In diesem Jahr habe er relativ viel selbst verdient, es sei aber auch das Jahr gewesen, in dem er am meisten Ärger mit "Onkel Hartz" hatte. Zu Anfang beschwerte er sich noch, wenn er Briefe erhielt, die ihm Sozialbetrug unterstellten, obwohl er regelmäßig Rückzahlungen von zu viel erhaltenen Geldern leistete. Das seien die Abläufe in den Abteilungen, hatte seine Beraterin ihm geschrieben. Inzwischen sortiert er solche Mitteilungen gleich aus dem ständig wachsenden Papierberg aus und wirft sie weg. "Es ist so schon schwer genug den Überblick zu behalten, vor allem seit ich selbstständig bin und mich auch mit anderen Ämtern beschäftigen muss." 

Dabei will Zimmerer gar nicht jammern. Er sei insgesamt immer halbwegs mit dem Geld klargekommen, sogar die Ein Euro-Jobs haben ihm etwas gebracht. Nicht immer die schönsten Erfahrungen, wie zum Beispiel, als er für sechs Monate als Hilfskraft auf dem städtischen Friedhof eingesetzt wurde. Die Arbeit an sich wäre okay gewesen, einige der mit eingesetzten "Kollegen" vom "ziemlich rechten Rand" nicht so. Immerhin habe er dabei verstanden, wie "so eine Art zu denken", also Rechtsradikalismus, entstehe. Einerseits sei das natürlich fehlende Bildung. Andererseits sei es kein Wunder wenn Menschen, deren Leben von der Schule bis zur Bahre verwaltet würde, nur noch in Kategorien von "Die da oben" oder "Die anderen, die uns die Jobs wegnehmen" dächten. "Wer dauernd damit beschäftigt ist Verwaltungsauflagen zu erfüllen, um über die Runden zu kommen, der denkt nicht mehr viel daran, was er selbst tun könnte", sagt Zimmerer.

Kaum Platz für reale Veränderungen

Zimmerer weiß, dass es ihm vergleichsweise leicht gefallen ist. Er hat keine Kinder, keine kranken Angehörigen. Wenn ihm eine Kürzung oder eine Aussetzung angedroht wurde, weil er selbst Entscheidungen traf, kam er trotzdem über die Runden. Für andere wäre das aber längst nicht so. Ihm seien in Kursen der Arbeitsagentur Leute begegnet, die zum dritten oder vierten mal "durch dieselbe Maßnahme eiern". "Die wissen, dass das vollkommen sinnlos ist, was sie da tun, aber sie können es gar nicht mehr riskieren, etwas anders zu machen." Etwas anders machen zu können, auch wenn es gerade nicht das Intelligenteste oder Vorgeschriebene ist, sei aber wichtig. Wenn man nicht aufpasse, wolle man dann irgendwann gar nichts mehr, man gewöhne sich daran.

Auch Zimmerer hatte so eine Phase. Manchmal wisse man ganz genau, für diese Kürzung, die Betriebskostennachzahlung oder die kaputte Waschmaschine, stünde einem eigentlich etwas zu. Aber man sei froh überhaupt durchzukommen, ohne weitere Papierkriege und Feststellungsverfahren. Fördern und fordern heiße hier oft, notdürftig bezahlt zu werden für sinnloses auf der Stelle treten. Die ewige Tretmühle, die einen ständig beschäftigt hält und kaum Platz lässt für reale Veränderungen.

Raus aus der Statistik

Ganz sinnlos war es dann wohl trotzdem nicht. In einer Maßnahme im letzten Jahr arbeitete Zimmerer mit Jugendlichen, sah den Bedarf, diesen Förderungen anzubieten, die mögliche Finanzierung und seine Chance. Ob es mit seinem Kleinstunternehmen irgendwann reichen wird komplett ohne Unterstützung auszukommen, weiß er noch nicht. Wichtig für ihn ist es, zumindest teilweise, aus dem fremd verwalteten Leben entlassen zu sein. Seine Arbeitszeiten sind viel länger geworden, ohne dass er tatsächlich wesentlich mehr Geld zur Verfügung hätte als vorher. "Aber immerhin bin ich damit wohl aus der Statistik raus und kann nicht mehr so einfach von einer Maßnahme zur nächsten verschoben werden."

Wieder betont er, dass er Glück gehabt habe. Eine Freundin von ihm wurde einige Zeit in eine öffentliche Bücherei gesteckt und hatte sich dort sehr gut eingearbeitet. Die Mitarbeiter hätten sie gerne gehalten, sie wäre gerne geblieben, aber es ging nicht, weil die Maßnahme auslief und der Platz für den Nächsten freigemacht werden musste.

Schlechter Witz

Die fünf Euro Erhöhung, die jetzt anstehen, hält Zimmerer für einen schlechten Witz. "Damit man wirklich spürbar etwas mehr Luft hat, müssten es mindestens 50 Euro mehr sein." Mit wenig Geld auszukommen, sei eine Herausforderung, die auch ohne ständige Auflagenerfüllung schwer genug sei. Helfen würde seiner Meinung nach vor allem ein wesentlich erleichterter Zugang zu einer ausreichenden sozialen Grundsicherung. Und ein Anstieg der Gehälter für Niedriglohnbeschäftigte. "Es kann ja wohl nicht sein," sagt Zimmerer, der selbst in einer Arbeitsloseninitiative aktiv ist, "dass schlecht bezahlte Arbeitnehmer gegen schlecht versorgte Ein Euro-Jobber ausgespielt werden."


Georg Klein arbeitet als freier Journalist in Offenbach