Steinbach verteidigt umstrittene Vertriebenen-Funktionäre

Steinbach verteidigt umstrittene Vertriebenen-Funktionäre
In ihrer mit Spannung erwarteten Rede beim "Tag der Heimat" hat sich Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach deutlich hinter ihre umstrittenen Verbandsfunktionäre gestellt. Die Vorwürfe gegen Arnold Tölg und Hartmut Saenger als Mitglieder im Rat der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" seien ein "platter Versuch", den Bund der Vertriebenen "in eine Reihe mit Geschichtsfälschern zu stellen", sagte die Präsidentin des Verbandes am Samstag in Berlin. Unterstützung erhielt Steinbach vom bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU).

Die Debatte um Steinbach war durch einen Eklat bei der Fraktionsklausur von CDU und CSU am Mittwoch in Berlin ausgelöst worden, indem Steinbach Saenger und Tölg verteidigt und auf die Mobilmachung Polens im März 1939 hingewiesen hatte. Die beiden Vertriebenen-Funktionäre stehen wegen revisionistischer Äußerungen in der Kritik.

Als Folge der Äußerungen Steinbachs zog sich am Freitag der Vertreter der Sinti und Roma aus dem wissenschaftlichen Beirat der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" zurück. Die Stiftung soll in Berlin eine Ausstellung und Dokumentationsstätte über das Schicksal der deutschen Vertriebenen am Ende des Zweiten Weltkriegs aufbauen.

Westerwelle distanziert sich

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) distanzierte sich von Steinbach. "Es kann keine Relativierung der deutschen Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geben", sagte er am Samstag in Brüssel. "Wenn solche Diskussionen geführt werden, muss man sich in aller Klarheit davon distanzieren." Er fügte hinzu: "Wir können nicht zulassen, dass dadurch auch ein Schaden für Deutschland im Ausland entsteht."

Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte eine klare Haltung der CDU zu Steinbach. Die polnischen Nachbarn dürften nicht weiter durch Geschichtsklitterung verunsichert werden, warnte der Generalsekretär des Rates, Stephan Kramer, der "Rheinpfalz am Sonntag".

Mehr Mitgefühl gefordert

Die Kritik habe sich nie gegen die Personen gewandt, sondern in Wirklichkeit gegen die Stiftung, die verhindert werden solle, sagte Steinbach in ihrer Ansprache. Ihrem Verband solle ein revisionistisches Geschichtsbild unterstellt und der Wille zur Versöhnung abgesprochen werden. Diese "Stigmatisierung" lehnte Steinbach ab. Die Mitglieder des Vertriebenen-Bundes seien Demokraten.

Die Vertriebenen-Chefin äußerte sich auch zur Kriegsschuldfrage. Jeder wisse, wer den Zweiten Weltkrieg begonnen habe. "Hitler hat die Büchse der Pandora geöffnet", sagte Steinbach. Doch es dürfe nicht eine Barbarei durch eine andere entschuldigt oder rechtfertigt werden.

Seehofer verteidigt Vertriebene

Seehofer stellte sich an die Seite des Vertriebenen-Bundes. "Wir lassen Sie nicht alleine", sagte er in seiner Festansprache. Die bayerische Landesregierung werde alles dafür tun, damit das berechtigte Anliegen der Heimatvertriebenen auf eine Gedenkstätte in Berlin umgesetzt werde. Diese Gedenkstätte gehöre zum Lebenswerk Steinbachs. "Lassen Sie sich diese große Arbeit nicht entwerten", betonte Seehofer.

Auf den Streit in der Union ging der CSU-Chef nicht direkt ein, solidarisierte sich aber indirekt mit Steinbach. Er respektiere Politiker, "die in den großen Fragen unseres Landes nicht in der Strömung schwimmen, sondern selbst Strömung machen".

Der bayerische Ministerpräsident bescheinigte den Vertriebenen, in der großen Mehrheit Demokraten zu sein. "Sie sind keine Revanchisten", sagte er und betonte zugleich, dass das Bekenntnis zur deutschen Kriegsschuld und den schrecklichen NS-Verbrechen Grundlage deutscher Politik bleibe.
 

"Tag der Heimat"

Der "Tag der Heimat", den die Vertriebenen jährlich begehen, erinnert an eine Kundgebung vor dem Stuttgarter Schloss am 6. August 1950. Dabei wurde die Charta der deutschen Heimatvertriebenen verkündet, die sie ausdrücklich als ihr Grundgesetz verstehen. Darin werden ihre Rechte und Pflichten festgehalten.

Die Verkündung der Charta erfolgte bewusst in zeitlicher Nähe zum Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945, bei dem die Alliierten die Westverschiebung Polens nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossen. In der Folge waren weitere Tausende Deutsche, aber auch Polen, vertrieben worden oder geflüchtet.

In diesem Jahr hat der Bund der Vertriebenen den 60. Jahrestag der Verkündung mit einem Festakt am 5. August in Stuttgart begangen. Die zentrale Veranstaltung zum "Tag der Heimat" in Berlin fand deshalb erst an diesem Samstag (11. September) statt.

Verzicht auf Rache

In der Charta der deutschen Heimatvertriebenen wird in feierlicher Sprache der Verzicht auf Rache und Vergeltung festgehalten. Der Entschluss werde im Gedenken "an das unendliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat", gefasst, heißt es in dem Text. Die Verbrechen der Nationalsozialisten, vor allem der Holocaust, werden nicht erwähnt.

Die Vertriebenen bekennen sich in der Charta zu einem vereinten Europa. Außerdem versprechen sie, sich am Wiederaufbau Deutschlands und Europas zu beteiligen. Sie fordern ein "Recht auf Heimat" und "die gerechte ... Verteilung der Lasten des letzten Krieges auf das ganze deutsche Volk".

Diese Forderung mündete 1952 in das Lastenausgleichsgesetz. Insgesamt erhielten die Vertriebenen rund 70 Milliarden Euro. Forderungen der Vertriebenen, den 5. August zum nationalen Gedenktag für die Vertriebenen zu bestimmen, wurden von der Politik bislang abgelehnt.

epd