IFA: 3D-Fernsehen bitte nur ohne Stress!

IFA: 3D-Fernsehen bitte nur ohne Stress!
Kaum ein Thema hat Deutschland in den vergangenen Tagen mehr beschäftigt als Thilo Sarrazin und die Integrationsdebatte. Aber warum wird es sofort emotional? Fast am Rand spielen da nur noch die neuen Friedensgespräche in Nahost mit. Und die IFA in Berlin.
03.09.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

evangelisch.de: Die Debatte um Thilo Sarrazin und sein Buch ist längst aus dem Ruder gelaufen. Warum werden die Deutschen sofort emotional, wenn es um Muslime und Integration geht?

Ernst Elitz: Aus drei Gründen. Das Fremde hat jeder gern, wenn er es auf Reisen besichtigen und darüber staunen kann. Als Tourist bestimmt er selber, wie nahe das Fremde ihm kommt. Diese Distanz ist daheim nicht mehr gegeben. Da kommt das Fremde ihm näher als auf der Ansichtskarte. Und weil weder der Fremde noch der deutsche Ureinwohner auf dieses komplizierte Zusammenleben vorbereitet wurden, reagiert er erschreckt. - Zweitens: Er sieht in den Fremden ein Konkurrenz; weniger um den Arbeitsplatz als um den Anteil am Bruttosozialprodukt. Wenn Zahlen bekannt werden, die einen hohen Anteil an Fürsorgeempfängern im Migranten-Milieu ausweisen, dann wird das als Verteilungskampf empfunden. Da reagiert der Durchschnittsdeutsche nicht gerade entspannt. - Und drittens ist es die nicht unbegründete Furcht, dass Ghettos entstehen, in denen nicht Deutsch gesprochen wird und in denen der demokratische Staat nicht mehr akzeptiert wird. - Das alles sind Sorgen, die viele Bürger ausländischer Herkunft mit uns teilen, weil sie Deutschland als ihre Heimat betrachten. Hätte die Politik sich nur halb so eifrig um die Integration der Migranten gekümmert wie sie jetzt den gentechnisch verwirrten Sarrazin verfolgt, wären uns viele dieser Sorgen und mithin auch die hohe Emotionalisierung in dieser Debatte erspart geblieben.

evangelisch.de: Israel und die Palästinenser verhandeln wieder über Frieden in Nahost. Haben die Gespräche eine ernsthafte Chance, zu einer dauerhaften Lösung zu führen?

Ernst Elitz: Da gilt das Prinzip Hoffnung. Die Chancen auf eine dauerhafte Lösung sind jetzt etwas besser, weil die militante Hamas außenpolitisch isoliert ist und der einzige mit ihr verbündete Staat, Ahmadinejads Iran, ein Schrecken für Ägypten und die übrigen Nahost-Staaten ist. Doch ein Massaker von Hamas-Getreuen, militante israelische Siedler oder eine politische Schwächung Netanjahus könnten die zarte Pflanze Hoffnung schnell wieder verdorren lassen. Mit Blick auf Afghanistan, den Atombomben-Staat Pakistan oder den Irak ist Israel fast ein Hort des Friedens. Es wäre beglückend, wenn in diesem Landstrich Juden, Muslime und Christen auf Dauer friedlich zusammenleben könnten. Ob das passiert, liegt nicht am lieben Gott, sondern an den Menschen.

evangelisch.de: Am Freitag startet in Berlin die Internationale Funkausstellung (IFA), die Zukunft des Fernsehens ist das große Thema. Sitzen wir bald alle vor unseren 3D-Geräten?

Ernst Elitz: Die Menschen, die schon in den Vorberichten von der IFA mit schwarzen Brillen über den Bildschirm geisterten, haben mich eher erheitert. Ich möchte mich zum Fernsehen weder umziehen noch Kopfhörer überstülpen noch eine Brille aufsetzen, mit der ich während der Werbepausen durch die Wohnung stolpere und vielleicht den Kühlschrank nicht finde. Das Schöne am Fernsehen ist, man guckt einfach hin – ohne besondere Vorkehrungen. Wenn ich Stress haben will, setze ich mich vor den Computer. Ob alle so über das 3D-Fernsehen denken, weiß ich nicht. Aber alle, die ich kenne.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete. Alle seine Drei-Fragen-Kolumnen finden Sie hier auf einen Blick.