Sprecher: Bürgerbeteiligung bei Stuttgart 21 kommt zu spät

Sprecher: Bürgerbeteiligung bei Stuttgart 21 kommt zu spät
Der Sprecher des umstrittenen Megaprojekts Stuttgart 21 hält einen Ausstieg aus dem Vorhaben für unrealistisch. Auch für eine Bürgerbeteiligung sei es jetzt zu spät, so Wolfgang Drexler. Dessen ungeachtet läuft der Protest weiter.

Der Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart 21, Wolfgang Drexler, hält einen Ausstieg auch nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2011 für unrealistisch. "Es gibt keine Ausstiegsklausel in den Verträgen. Im Dezember 2009 hätte man das noch machen können, jetzt nicht mehr", sagte der SPD-Politiker dem Berliner "Tagesspiegel", der das Interview am Samstag im Internet veröffentlichte. Die Einstellung des Baus würde weit über eine Milliarde Euro kosten, ohne dass für den Verkehr etwas erreicht wäre. "Die SPD steht zu dem Projekt seit 1992. Ich bin zwar nicht der Spitzenkandidat bei der nächsten Landtagswahl, kann mir aber nicht vorstellen, dass die Sozialdemokraten so etwas tun würden."

Drexler sagte, auch für eine Bürgerbeteiligung sei es zu spät: "Seit 17 Jahren reden wir über Stuttgart 21, vor 2001 gab es die Grundsatzbeschlüsse. Eine Bürgerbeteiligung hätte bis dahin jeder beantragen können, auch die Grünen. Haben sie aber nicht. Jetzt geht das rechtlich nicht mehr."

Drexler äußerte Verständnis für die Gegner des Projekts. "Wir sind in einer schwierigen Situation. Bis 2007/2008 waren die Bürger mehrheitlich für Stuttgart 21. Nach der Bürgerbeteiligung zur städtebaulichen Entwicklung 1997, die eine Vergrößerung des Schlossparks erreicht hat, hat man aber nichts mehr unternommen, um die Menschen von dem Vorhaben zu überzeugen. Das Ergebnis haben wir jetzt." Er habe Widerstand einkalkuliert, allerdings nicht in dem jetzt offenbar gewordenen Ausmaß: "Ich habe mit Protesten gerechnet, aber quasireligiöse Veranstaltungen wie Gelöbnisse oder Reden unter der Bluteiche habe ich nicht erwartet."

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Am Freitagabend hatten wieder einige zehntausend Menschen gegen das Großprojekt demonstriert. Stuttgarter Gemeinderäte von CDU, SPD, Freien Wählern und FDP haben den Schauspieler Walter Sittler und den Grünen-Fraktionsvorsitzenden Werner Wölfle zu Gesprächen eingeladen. "Dialog ist besser als eine Konfrontation" hieß es in dem am Freitag veröffentlichten Brief. "Nun ist es an der Zeit, ideologische Sackbahnhöfe zu verlassen und zu einer Kultur der Vernunft und des Dialogs zurückzukehren". Eine Eskalation müsse vermieden werden.

50.000 Gegner waren nach Angaben der Veranstalter zu ihrer bisher größten Demonstration gegen das Milliarden-Projekt auf die Straße gegangen. Die Polizei sprach von 30.000 Menschen. Bei einer Kundgebung und einer anschließenden Menschenkette um den Landtag erneuerten diese ihre Forderung nach einem Baustopp und einem Moratorium.

Bei dem 4,1 Milliarden Euro teuren Vorhaben soll der Kopfbahnhof in eine unterirdische Durchgangsstation umgewandelt und an die künftige Schnellbahntrasse nach Ulm angeschlossen werden. Kritiker halten es für zu teuer und bezweifeln auch den verkehrspolitischen Nutzen. Am vergangenen Mittwoch hatten Bagger mit dem Abriss des Nordflügels des Bahnhofs begonnen. Seither hat der Protest an Schärfe zugenommen.

Architekt fordert Nachdenken über Freiflächen

Die FDP-Landesvorsitzende Birgit Homburger forderte eine verstärkte Offensive der schwarz-gelben Landesregierung unter Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU), um der Bewegung gegen Stuttgart 21 Paroli zu bieten. In einem Interview der "Pforzheimer Zeitung" (Samstag) sagte Homburger, dazu gehöre "Argumentieren. Sich auseinandersetzen mit den Argumenten und zu dem stehen, was man beschlossen hat."

Nach Ansicht des Architekten Tobias Wallisser muss über den Umbau des Hauptbahnhofs und die Neugestaltung der gewonnenen Freiflächen neu nachgedacht werden. "Wer für wirklichen Fortschritt ist, für die wirklich nachhaltige Entwicklung der Stadt, der muss als erstes innehalten", sagte er den "Stuttgarter Nachrichten" (Samstag). Der Architektenwettbewerb habe vor 13 Jahren stattgefunden. "Inzwischen sind wir aber 13 Jahre weiter", betonte der Professor der Kunstakademie Stuttgart.

Die Kundgebung hatte mit dem lautstarken "Schwabenstreich" begonnen, bei dem die Teilnehmer eine Minute lang mit Trillerpfeifen und Tröten so viel Lärm wie möglich machen. Anschließend hatte sich der Protestzug durch die Innenstadt zum Landtag bewegt, wo eine Menschenkette gebildet wurde. Dort verletzten einige Demonstranten die Bannmeile. "Sie haben sich nicht an die Auflagen gehalten", sagte eine Polizeisprecher. Zwischenfälle gab es jedoch nicht.

Bahnchef will Projekt durchziehen

Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz, hielt sich aber zurück. Am späten Abend gingen nach Polizeiangaben knapp 2.000 Demonstranten zurück zum Bahnhof, dort harrten am frühen Samstagmorgen noch rund 50 von ihnen aus. Auch bis zu diesem Zeitpunkt blieb es friedlich.

Bahnchef Rüdiger Grube ließ keinen Zweifel daran, dass das Projekt durchgezogen werde. In einem Brief an seine Mitarbeiter, aus dem die "Wirtschaftswoche" zitierte, hieß es unter anderem, er sei "zutiefst davon überzeugt, dass Stuttgart 21 richtig ist."

Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) warb in einem offenen Brief an seine Mitbürger für das Projekt. Es trage zur Zukunftsfähigkeit der Stadt, der Region und des Landes bei, betonte er. "Stuttgart 21 dient unseren Kindern und Enkelkindern." Den Demonstranten schrieb er ins Stammbuch, er habe kein Verständnis für Scharfmacher, die zur Radikalisierung beitrügen.

dpa