Gabriel legt Sarrazin Parteiaustritt nahe

Gabriel legt Sarrazin Parteiaustritt nahe
Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin hat wieder mit Äußerungen zum Thema Migration provoziert. SPD-Chef Gabriel fragt sich, warum der Ex-Senator noch in der Partei ist. Auch die Kanzlerin distanziert sich. Unterstützung erhält Sarrazin dagegen aus der FDP.

Die Bundesregierung hat Äußerungen von Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin über mangelnde Integrationsbereitschaft von Ausländern ungewöhnlich scharf kritisiert. Die Äußerungen, die "für viele Menschen in diesem Land nur verletzend sein können", hätten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "nicht ganz kalt gelassen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. SPD-Chef Sigmar Gabriel distanzierte sich von Sarrazin und legte ihm den Parteiaustritt nahe. Kritik kam am Mittwoch auch vom Zentralrat der Juden in Deutschland, Unterstützung aus der FDP.

Anlass sind vorab veröffentliche Passagen aus einem neuen Buch des früheren Berliner Finanzsenators. Darin geht es auch um Ausländer und ihr Integrationsverhalten in Deutschland. Gabriel sagte auf seiner Sommerreise nahe Worms: "Wenn Sie mich fragen, warum der noch bei uns Mitglied sein will - das weiß ich auch nicht." Er wolle genau prüfen, ob Sarrazins Ausführungen rassistisch seien. Seibert sagte, Sarrazin habe "sehr, sehr polemisch" zugespitzt. Diese Äußerungen seien auch überhaupt nicht hilfreich, um bei der Integration voranzukommen.

In vorab veröffentlichten Auszügen aus seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" warnt Sarrazin vor Überfremdung. Der Ökonom bewertet auch den Beitrag von Gastarbeitern zum Wohlstand in Deutschland und unterscheidet nach Herkunftsländern. "Aufgrund der üppigen Zahlungen des deutschen Sozialstaats ziehen wir eine negative Auslese von Zuwanderern an", formuliert Sarrazin und fordert eine strengere Auswahl sowie höhere Anforderungen an hier lebende Menschen mit ausländischen Wurzeln.

Unterstützung aus der FDP

Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner sagte der "taz" (Donnerstag): "Ich würde es begrüßen, wenn Thilo Sarrazin die Partei verlässt." Der SPD sei Toleranz sehr wichtig. Gabriel sagte, Sarrazin agiere mit "sprachlich gewalttätigen Aussagen". Ein mögliches Parteiausschlussverfahren müsse aber im Zweifelsfall vor einem Gericht auch klar begründbar sein.

Im März war Sarrazin beinahe aus der SPD geflogen. Er hatte in einem Interview Arabern und Türken unterstellt, leistungs- und integrationsunwillig zu sein. Eine Landesschiedskommission urteilte, Sarrazin habe sich zwar "radikal und bis zum Tabubruch" geäußert, allerdings nicht rassistisch, weil er auch Deutsche kritisiert habe.

Der Zentralrat der Juden empfahl Sarrazin am Mittwoch den Eintritt in die rechtsextreme NPD. "Das macht die Gefechtslage wenigstens klarer und befreit die SPD", sagte der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer, dem "Handelsblatt Online". Er forderte eine ernsthafte Debatte über Defizite bei der Integrations- und Zuwanderungspolitik.

Der Finanzexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Frank Schäffler, nahm Sarrazin dagegen in Schutz. Der frühere Finanzsenator spreche die Integrationsprobleme in Deutschland zwar überspitzt an. Das müsse aber nicht falsch sein, um eine Diskussion über den richtigen Weg zu führen.

Sarrazin fordert Integrationsdruck auf muslimische Migranten

Man dürfe nicht zulassen, dass 40 Prozent der muslimischen Migranten von Transferleistungen lebten und ihnen jede Form von Integration "erspart" werde, sagte Sarrazin am Dienstag im Deutschlandradio Kultur. Integration müsse eine Bringschuld von Migranten sein.

"Wir müssen den Menschen, die bei uns leben, alle Chancen geben, sich zu integrieren, wir müssen diese Chancen aber auch mit einem kräftigen Aufforderungscharakter verbinden", so Sarrazin. Wenn es um die Gestaltung der Zukunft Deutschlands gehe, müsse man auch darüber reden, welche Einwanderungsgruppen ökonomischen Nutzen oder ökonomische Belastungen mit sich bringen.

"Für die Gesamtheit der muslimischen Einwanderung in Deutschland gilt die statistische Wahrheit: In der Summe haben sie uns sozial und auch finanziell wesentlich mehr gekostet, als sie uns wirtschaftlich gebracht haben", erklärte das Bundesbank-Vorstandsmitglied.

Bei künftigen Migranten müsse man daher wesentlich schärfere Maßnahmen anlegen. Niemand habe etwas dagegen, dass etwa ein marokkanischer Ingenieur oder Arzt mit seiner Familie nach Deutschland ziehe. "Aber die unqualifizierte Migration, die wir gegenwärtig haben, und die Migration des ungebildeten, unqualifizierten Familiennachzugs, das kann in dieser Form nicht weitergehen", betonte Sarrazin.

Deutschland sei dabei, sich abzuschaffen, indem jede Generation etwa ein Drittel kleiner sei als die vorhergehende. Muslimische Migranten bekämen im Durchschnitt doppelt so viele Kinder wie die übrige Bevölkerung. "Man kann ganz einfach eine Modellrechnung anstellen, wie eine maßvolle weitere Zuwanderung von 100.000 im Jahr plus die Fortsetzung dieses Trends dazu führt, dass die Mehrheit in einzelnen deutschen Städten oder Regionen, möglicherweise irgendwann aber auch in Deutschland insgesamt kippt", warnte Sarrazin.

dpa / epd