Guttenberg: 165.000 Soldaten sind genug

Guttenberg: 165.000 Soldaten sind genug
Die jetzige Wehrpflicht könnte schon bald der Vergangenheit angehören. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat eine Verkleinerung der Bundeswehr auf 165.000 bis 170.000 Soldaten im Visier. Er favorisiert ein Modell, bei dem die Zahl der Berufs- und Zeitsoldaten von rund 190.000 auf 156.000 sinken würde. Völlig neu wäre, dass 7500 freiwillige Soldaten im Jahr hinzukämen. Bei diesem Modell würde die Wehrpflicht praktisch ausgesetzt und durch eine Art freiwilligen Wehrdienst ersetzt.
13.08.2010
Von Marc-Oliver von Riegen

Bundespräsident Christian Wulff warnte vor zu großen Einsparungen bei der Bundeswehr. Die Soldaten müssten sich darauf verlassen können, "dass die Streitkräfte auch künftig das erhalten, was sie zu einer erfolgreichen Erfüllung ihrer Aufträge benötigen", sagte er bei der Vereidigung von 250 Marine-Offiziersanwärtern in Flensburg.

Milliardeneinsparungen

Das Kabinett hatte im Juni Einsparungen im Verteidigungsbereich in Höhe von 8,3 Milliarden Euro bis 2014 beschlossen - die Truppenstärke soll bis um 40.000 Berufs- und Zeitsoldaten sinken. Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus (FDP), hatte die Ausrüstung der Bundeswehr in Afghanistan als "Drama" bezeichnet.

Die Details eines möglichen freiwilligen Wehrdienstes sind offen. Mit diesem Modell würde es keine zwangsweise Einberufung mehr geben. Denkbar wäre, dass die Erfassung junger Männer beibehalten wird. Für einen freiwilligen Dienst ist eine Zeitspanne von mehr als einem halben Jahr bis unter zwei Jahren im Gespräch. Auch eine Zeit von 18 Monaten soll geprüft werden. Wer freiwilligen Wehrdienst absolviert, soll auch im Ausland eingesetzt werden können. Die Wehrpflicht soll aber nicht aus dem Grundgesetz gestrichen werden. Das Verteidigungsministerium wollte sich zu den Überlegungen nicht äußern. "Zu Einzelheiten von verschiedenen Optionen, die gerade untersucht werden, nehmen wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Stellung", sagte ein Sprecher. Eine Entscheidung sei noch nicht gefallen.

Guttenberg prüft mehrere Modelle. Vom Tisch ist die Variante mit nur noch 150.000 Berufs- und Zeitsoldaten. Eine andere Option sieht die Beibehaltung der Wehrpflicht vor bei einer Gesamtzahl von 205.000 Soldaten. Die Bundeswehr hat nach eigenen Angaben derzeit insgesamt knapp 250.000 Soldaten. Darunter sind rund 190.000 Berufs- und Zeitsoldaten; mehr als 26.000 Soldaten leisten freiwillig länger Wehrdienst. Dazu kommen knapp 33.000 Grundwehrdienstleistende.

Folgen für den Zivildienst noch unklar

Welche Auswirkungen die Änderungen für den Zivildienst hätten, blieb offen. Auf der Basis der Personalmodelle des Verteidigungsministeriums prüfe das Bundesfamilienministerium die möglichen Folgen für den Zivildienst. Der Prüfauftrag sei noch nicht abgeschlossen, sagte ein Ministeriumssprecher. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) will die Ergebnisse im September im Kabinett vorstellen.

Die Diakonie in Niedersachsen sieht gravierende Auswirkungen auf weite Teile der sozialen Arbeit, falls die Wehrpflicht ausgesetzt wird und damit auch der Zivildienst wegfällt. Es sei nicht davon auszugehen, dass alle Angebote durch Freiwillige oder Honorarkräfte übernommen werden könnten, sagte Zivildienst-Referent Bernd Heimberg vom Diakonischen Werk der hannoverschen Landeskirche. Einige soziale Einrichtungen stünden vor finanziellen und personellen Engpässen, wenn nicht genügend Freiwillige gefunden würden.

Die Diakonie setzte damit einen deutlich anderen Akzent als die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer. Diese hatte jüngst erklärt, eine Aussetzung der Wehrpflicht und des Zivildienstes werde die soziale Infrastruktur in Deutschland nicht beeinträchtigen.

Kritik von der Opposition und der CSU

Die Opposition begrüßte die Pläne weitgehend. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte der "Bild"-Zeitung (Samstag): "Der Verteidigungsminister übernimmt einen Plan, den die SPD entworfen hat." Er sei gespannt, ob Guttenberg die Kraft habe, das Konzept in den eigenen Reihen durchzusetzen. In der Union gibt es große Skepsis gegenüber einer Aussetzung der Wehrpflicht. CSU-Chef Horst Seehofer sieht darin eine faktische Abschaffung.

Auch die Grünen reklamierten für sich, dass Guttenberg auf ihre Vorschläge zurückgegriffen habe. Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Malczak kritisierte aber: "Konsequenter wäre es, die Wehrpflicht abzuschaffen, statt sie nur halbherzig auszusetzen."

Kritik kam aus Bayern. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) warnte vor einer Kostenexplosion der Sozialfürsorge bei einer Aussetzung der Wehrpflicht. "Es geht nicht nur um die Truppenstärke der Bundeswehr, sondern auch um gigantische Mehrkosten, die im Sozialbereich entstehen, wenn der Zivildienst wegfällt." Die Bayern-SPD fürchtet, dass Standorte und Verbände bei der Reform der Bundeswehrstruktur geschlossen oder aufgelöst werden könnten.

Wehrpflicht ist ein Auslaufmodell in der Nato

Nur in fünf von 28 Mitgliedstaaten werden noch junge Leute zum Dienst an der Waffe eingezogen. Neben Deutschland sind das Griechenland, die Türkei, Estland und Norwegen. In den meisten Mitgliedstaaten ist die Wehrpflicht abgeschafft oder ausgesetzt worden.

Die Vereinigten Staaten haben seit 1973 eine Berufsarmee. Hintergrund für die Abschaffung der Wehrpflicht war die Unpopularität des Vietnamkriegs. Ende 2009 gab es gut 1 400.000 aktive Soldaten und rund 850.000 Reservisten. Die hohe Opferzahl beim Irak-Einsatz hat vorübergehend dazu geführt, dass bei einzelnen Teilstreitkräften die jährlichen Rekrutierungsziele nicht erreicht wurden. Problematisch ist, dass viele junge Leute zur Truppe wollen, die wegen mangelnder Bildung oder wegen eines schwierigen sozialen Umfelds woanders nicht unterkommen.

Franzosen und Briten bevorzugen Berufsarmee

Ungerecht, zu teuer und nicht vereinbar mit den neuen strategischen Herausforderungen - mit dieser Begründung hat Frankreich bereits vor mehr als einem Jahrzehnt das Ende der Wehrpflicht eingeläutet. 1997 beschloss das Parlament die unbefristete Aussetzung des Militärdienstes. Seit 2002 gibt es keine Wehrdienstleistenden mehr. Der Übergang zur Berufsarmee gestaltete sich relativ problemlos. Bewerber für den Dienst mit der Waffe gab und gibt es genügend. Allerdings ist die Armee seit Mitte der 90er Jahre von 500.000 auf 350.000 Soldaten verkleinert worden.

Großbritannien hat bereits 1963 nach einem halben Jahrhundert die Wehrpflicht abgeschafft und war damit Vorreiter bei der Professionalisierung des Streitkräfte in Europa. Der heutigen Berufsarmee gehören 178.000 Soldaten an - eine Größe, auf die auch die Bundeswehr im Zuge der geplanten Reform ungefähr schrumpfen könnte. Wegen des allgemeinen Ausbildungsplatzmangels im Zuge der Finanzkrise zieht es wieder mehr junge Leute zum Militär, obwohl Großbritannien der zweitgrößte Truppensteller in Afghanistan ist und dort große Verluste zu verzeichnen hat.

dpa/epd