Neue Textfunde sollen Lutherbibel modernisieren

Neue Textfunde sollen Lutherbibel modernisieren
Gut Ding will Weile haben, auch und vor allem bei Bibelforschern. Sorgfalt ist schließlich geboten, geht es doch um nicht weniger als eine behutsame Neufassung wichtiger Abschnitte im "Buch der Bücher": Nach 26 Jahren haben sich Theologen, Historiker und Sprachwissenschaftler wieder zusammengesetzt, um die Lutherbibel einer vorsichtigen "Frischzellenkur" zu unterziehen.
02.08.2010
Von Jan-Henrik Petermann

"Es geht uns nicht um eine komplette Revision wie 1984", erklärt Martin Rösel. Der Alttestamentler an der theologischen Fakultät der Universität Rostock, der eine von bundesweit drei Arbeitsgruppen zu dem Thema koordiniert, stellt sich dennoch auf ein Mammutprojekt ein: "Wir prüfen, ob Luthers Bibel noch die gleiche Texttreue hat wie bei der letzten Durchsicht." Viele neu aufgetauchte Fragmente hätten zu neuen Einsichten bei der Auslegung zentraler Passagen geführt.

Im Kern geht es diesmal um das Neue Testament, dessen "Neuausgabe" 1975 heftige Meinungsverschiedenheiten ausgelöst hatte. Die vorige Revision des Alten Testaments im deutschen Sprachraum geht sogar auf das Jahr 1964 zurück, diejenige seiner Apokryphen (Spätschriften) auf 1970. Letztere sind auch das Spezialgebiet von Rösels Team. Der Chef selbst hat sich seit seiner Doktorarbeit mit den oft umstrittenen Bibelübersetzungen beschäftigt, vor allem mit Übertragungen vom Hebräischen ins Griechische wie in der klassischen "Septuaginta".

Was ist wirklich neu? - EKD gab Anstoß

Der Anstoß zur abermaligen Durchsicht der Texte kam von höchster Stelle. Im Frühjahr diskutierte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die Rahmenbedingungen des Projekts. Ein Ausschuss mit dem thüringischen Altbischof Christoph Kähler an der Spitze wurde eingesetzt. Neben Rösels Rostocker Gruppe schauen seit Anfang Juni nun auch zwei Teams um die Professoren Jens Schröter von der Humboldt-Universität Berlin und Christoph Levin von der Ludwig-Maximilians-Universität München die neuen Fundstellen durch. Bayerns Landesbischof Johannes Friedrich, eine Theologin und ein Germanist sind ebenfalls mit im Boot. Ihr Ziel: Lücken in den Bibel- Geschichten zu schließen und hier und da neue Lesarten einzufügen.

Die Puzzlearbeit soll möglichst 2015 abgeschlossen sein, zwei Jahre vor dem 500. Reformationsjubiläum. "Innerhalb jeder Gruppe wird debattiert: Was ist wirklich neu?", erklärt Rösel. Interessant seien insbesondere hebräische Fragmente, die in einer Synagoge in der ägyptischen Hauptstadt Kairo gefunden wurden und einen anderen Blick auf das Buch Jesus Sirach erlauben. Ähnlich sei die Lage bei Schriften aus Masada und Qumran am Toten Meer. "Seit Ende der 1980er Jahre gab es Kontroversen um den Einschluss dieser Funde", sagt Rösel.

Kain und Abel: "Da fehlt noch was"

Zu entscheiden sei in jedem Fall die knifflige Frage, ob derlei Texte tatsächlich "älter sind und neue erzählerische Zusammenhänge erschließen", oder ob sie lediglich spätere Ergänzungen zu den bisherigen Überlieferungen darstellen. "Auch bei der Geschichte um Kain und Abel vermuten wir: Da fehlt noch was", meint Rösel.

Kollege Schröter, der mit der Berliner Gruppe das Neue Testament durchsieht, rechnet auch mit Änderungsbedarf bei Matthäus-, Markus- und Lukasevangelium und den Paulus-Briefen: "Verglichen mit Luthers Zeiten sind heute ungleich mehr Manuskripte bekannt." Nicht zuletzt könnten "seine" Apokryphen zu einer Baustelle werden, glaubt Rösel. "Da werden die Leute das am ehesten merken. Wir haben nämlich hebräische und aramäische Originaltexte, die es früher nicht gab." Am Ende muss der Rat der EKD alle Anpassungen absegnen.

Im Oktober soll es ein Treffen der drei Arbeitsgruppen geben, überarbeitete Kapitel sollen dort schon vorgelegt werden. Die große Verantwortung ist den Forschern dabei stets bewusst - denn die letztlich genehmigte Fassung ist laut Rösel für die Deutsche Bibelgesellschaft verbindlich: "Das gilt dann für den gesamten Bereich des deutschsprachigen Luthertums."

dpa