The End: Hollywoods Löwe hört auf zu brüllen

The End: Hollywoods Löwe hört auf zu brüllen
MGM, eine der traditionsreichsten Filmproduktionsfirmen überhaupt, steht vor der Pleite. Was früher für großformatige Kultur und Unterhaltung stand, erzählt heute eine Geschichte über unfähige Manager, gierige Finanzjongleure - und chronische Ideenlosigkeit. Hoffnung ist nicht in Sicht, dafür ein Schriftzug wie ein Menetekel: "The End".
28.06.2010
Von Thomas Östreicher

"Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) ist eine US-amerikanische Filmproduktions- und Filmverleihgesellschaft, die 1924 durch Marcus Loew gegründet wurde und ihren Höhepunkt in den späten 1940er-Jahren hatte." So knapp das Internetlexikon Wikipedia das traditionsreiche Unternehmen beschreibt, so treffend wird damit dessen aktuelle Krise auf den Punkt gebracht.

Es ist nicht die erste. Der Konzern mit dem gemütlichen Image hat schon öfter stürmische Zeiten erlebt. Doch nun klingt in der Feststellung, sein Höhepunkt liege schon 60 Jahre zurück, die durchaus realistische Prognose an: Einen weiteren wird es nicht geben.

James Bond: nicht mehr zu finanzieren

Bereits im April 2010 nahm die Fachwelt geschockt die Meldung zur Kenntnis, dass die Dreharbeiten zum 23. James-Bond-Abenteuer auf Eis gelegt werden - Ende offen. Von der Notbremse ebenfalls betroffen ist die geplante "Herr der Ringe"-Fortsetzung "Der kleine Hobbit", von der sich nicht zuletzt die Bilanzbuchhalter viel versprochen hatten.

Der vorläufige Schlusspunkt: Der Internet-Informationsdienst "Deadline Hollywood Daily" berichtete über die drohende Insolvenz des Traditionsunternehmens. Ex-Geschäftsführer Harry Sloan habe nach seinem unfreiwilligen Abgang vor einem Jahr umgerechnet drei Milliarden Euro Schulden hinterlassen. In einer Telefonkonferenz mit den Gläubigern habe MGM dringend um Stundung ausstehender Forderungen gebeten.

Was war geschehen? Wie konnte es mit einem der ruhmreichsten Studios der USA, das immerhin mehr als 50 Oscars einheimste, so weit kommen? Das "Handelsblatt" gab unlängst eine griffige Antwort: Die Investoren sind schuld. "Sie kauften MGM, verdienten eine Zeitlang gut und verkauften wieder. In der Regel machten sie damit ordentlich Gewinn. Nur einer hat davon nicht profitiert: MGM."

Ein Denkmal der Branche

Die aktuell größten Eigner - zwei Finanzinvestoren mit zusammen 50 Prozent Anteilen sowie Sony und das Kabelunternehmen Comcast mit je 20 Prozent - "wollen nur noch eins: raus aus dem Milliardengrab", so das "Handelsblatt". Bis Mitte Juli muss sich, heißt es, ein Bieter finden, sonst drohe MGM die Insolvenz. Undenkbar zu Zeiten, als Namen wie Greta Garbo und Clark Gable nicht nur Glamour, sondern auch Rekordumsätze garantierten. Das Unternehmen genoss den Ruf einer Ikone, eines Denkmals der Branche.

Die Unbeweglichkeit eines Denkmals war es allerdings auch, die dem Haus immer wieder Probleme bescherte; es handelte sich in erster Linie um die Unbeweglichkeit seiner Chefs. Die Zeichen der Zeit zu erkennen, zählte nämlich nie zu deren Stärken.

So führte MGM den Tonfilm erst 1928 ein, ein Jahr nach der Konkurrenz. In den 1930er-Jahren zum größten Kinofilmproduzenten avanciert, setzte Louis B. Mayer, der die Geschicke des Studios von 1924 bis 1951 bestimmte, auf familienfreundliche, konservative Produktionen und erwirtschaftete nebenbei Gewinne über den Vertrieb von Hearsts Wochenschauen.

Bieder ins Aus manövriert

Aber die Geschichten voll einfacher, oft rührseliger Moral à la "Lassie" aus dem Jahr 1943 mit der damals zehnjährigen Elizabeth Taylor als Star genügten dem Publikum irgendwann nicht mehr. Mayers Nachfolger, der ehemalige Autor und Produzent Dore Schary, beantwortete die Bedürfnisse des Publikums nicht etwa mit spannenderen oder wenigstens realistischeren Filmen, sondern mit noch mehr Glamour. Anfangs klappte das: Farbfilme im Cinemascope-Breitwandformat hielten den Ereignischarakter eines Kinoabends am Leben.

1957 schrieb MGM gleichwohl erstmals rote Zahlen, und seit dieser Zeit hat sich das Studio nicht mehr dauerhaft von der Krise erholt - trotz des Erwerbs von United Artists (und damit beispielsweise den lukrativen James-Bond-Rechten) in den 1980er-Jahren und Meilensteinen des Kinos wie "Das Schweigen der Lämmer". Wie alle Rechteinhaber suhlte sich auch MGM nach Einführung der DVD im warmen Geldregen durch den Verkauf der Altbestände: Endlich gab es die Lieblingsfilme für alle zu kaufen, erschwinglich und zum ewigen, verschleißfreien Besitz.

Und plötzlich war auch der DVD-Markt gesättigt

Was absehbar war, ignorierte MGM allerdings einmal mehr: Irgendwann ist solch ein Markt gesättigt. Weder die Zahl der Kultfilme noch die ihrer Liebhaber ist unbegrenzt. Zwar finden aktuelle Filme ein halbes Jahr nach der Kinoauswertung noch immer DVD-Käufer und -Verleihkunden, doch längst nicht mehr im erforderlichen Ausmaß, um Projekte zu finanzieren, deren Herstellung Hunderte von Millionen verschlingt.

Der DVD-Umsatz insgesamt ging seit 2006 um ein Sechstel zurück; vor nicht allzu langer Zeit verdiente MGM mit DVDs noch fast 300 Millionen Euro jährlich, zuletzt waren es gerade mal 50 Millionen. Selbst die Markteinführung des hochauflösenden DVD-Nachfolgers Blu-ray, die das mit Archivmaterial generierte Umsatzwunder wiederholen sollte, blieb weit hinter den Erwartungen zurück - bis heute will den wenigsten Kunden der Mehrwert einer Blue-ray einleuchten, erst recht, wenn der Film bereits als DVD im Regal steht.

Besonders bitter für MGM: Die einst heiß geliebten Schwarz-Weiß-Klassiker haben fatal an Zugkraft eingebüßt. Fernsehsender zahlen für deren Abspiellizenzen nur noch einen Bruchteil des früher Üblichen. Sie wissen, dass der anfangs allseits begrüßte Trend zum üppig ausgestatteten Heimkino mit Dolby-Surround-Anlage und Großbildschirm einen Cary Grant in Hitchcocks grobkörnigem "Der unsichtbare Dritte" blass aussehen lässt. Die mehr als 4.000 Kinofilme und gut 10.000 TV-Sendungen im MGM-Archiv: Ladenhüter für Konzernableger wie hierzulande Kabel1 und SuperRTL, zu oft gesehen oder längst erstanden. Aus Hollywoods Schätzen wurden Quotenkiller.

Es braucht Geld, vor allem aber Mut und Ideen

MGM mag kurzfristig ein Investor fehlen. Aber "allein Kerk Kerkorian hat MGM dreimal gekauft und wieder verkauft", rechnet das "Handelsblatt" vor. Wegweisende Impulse brachten weder er noch die vielen anderen Geldjongleure und Medienmultis in der Firmengeschichte. Sie griffen sich über Jahrzehnte hinweg die Gewinne und überließen Verluste dem Unternehmen und seiner Belegschaft - inzwischen ist MGM auf die vergleichsweise lächerliche Zahl von 400 Mitarbeitern geschrumpft. Auch das hat nicht geholfen.

Langfristig braucht es bei MGM wie bei allen Inhaltsproduzenten ein Inhalts- und Geschäftsmodell, das im Zeitalter des Downloads und der praktisch verlustfreien Kopiermöglichkeiten Wege zu Umsatz und Gewinn zeigt. Denkbar wären etwa vermehrte Autorenfilme für ein junges Publikum im Programm und innovative Online-Verleihangebote, für die es gälte, technische Standards und neue Vertriebswege zu entwickeln, für den Stock ebenso wie für neue Produkte.

Beim Schielen des offenbar ewig-gestrigen MGM-Managements auf Quartalszahlen bleibt die Perspektive freilich auf der Strecke. Und auch wenn man es sich in Los Angeles derzeit noch nicht vorstellen mag: Mit MGM legt sich in diesen Tagen ein müder, alter Löwe schlafen, der wohl nie wieder in alter Stärke erwachen wird. Ende, Abspann, Vorhang.


Thomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.