Reich-Ranicki mit Börne-Medaille ausgezeichnet

Reich-Ranicki mit Börne-Medaille ausgezeichnet
Der Literaturkritiker und Schriftsteller Marcel Reich-Ranicki ist in der Frankfurter Paulskirche mit der Ludwig-Börne-Ehrenmedaille ausgezeichnet worden. Der Publizist, der am Mittwoch 90 Jahre alt geworden war, bekam die erstmals verliehene, undotierte Medaille zur Würdigung seines Lebenswerks. Frank Schirrmacher, Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", bezeichnete Reich-Ranicki als "einflussreichsten Kritiker in der Geschichte der deutschen Literatur und weit darüber hinaus".

Die Ehrenmedaille ersetzt in diesem Jahr den Ludwig-Börne-Preis, der sonst alljährlich von der gleichnamigen Frankfurter Stiftung im Juni verliehen wird. Diese Auszeichnung hatte Reich-Ranicki bereits 1995 erhalten. Der Preis erinnert an den jüdischen Schriftsteller Ludwig Börne (1786-1837), der aus Frankfurt stammte.

Schirrmacher sagte in seiner Lobrede, für den von den Nationalsozialisten Verfolgten Reich-Ranicki sei die Literatur zu einem "Überlebensmittel" geworden. Nach dem Krieg habe er sie wie Börne und Heine zu seinem "Vaterland" erklärt.

"Börne unserer Zeit"

Der Publizist und "Spiegel"-Autor Henryk M. Broder nannte Reich-Ranicki einen "Börne unserer Zeit", der seine Prominenz allerdings zu wenig gegen den wiederauflebenden Antisemitismus in Deutschland einsetze. "Wir leben in einem Land, in dem die toten Juden über alles geliebt werden, die lebenden aber nicht", sagte Broder. So sei es für ihn beispielsweise unerträglich, dass die Lebensumstände in Gaza vielfach mit denen im Warschauer Ghetto gleichgesetzt würden.

Der Fernsehmoderator Thomas Gottschalk nannte Reich-Ranicki einen "begnadeten Entertainer". Seine Ungeduld, seine Spontaneität und sein "heiliger Zorn" seien äußerst unterhaltsam. Der Kritiker und Autor sei kein Außenseiter, wie er immer von sich behaupte, sondern eine Ausnahmeerscheinung. Die große Öffentlichkeit nehme ihn als "dringend benötigten Mahner und Lehrer" wahr.

Ein Leben als Außenseiter

Reich-Ranicki beharrte in seiner Dankesrede jedoch darauf, ein Leben lang Außenseiter gewesen zu sein. Schon während seiner Schulzeit in Polen sei er als ein solcher aufgefallen, weil er mit großer Freude Schiller und Goethe gelesen habe. Er habe nach der Übersiedlung nach Deutschland 1958 nichts anderes gewollt, als die Literatur für ein großes Publikum lesbar zu machen: "Ich hatten großen Spaß daran und auch zuletzt auch Erfolg."

Marcel Reich wurde 1920 im polnischen Wloclawek an der Weichsel geboren. Seine Jugend verbrachte er in Berlin, wo er auch Abitur machte. 1938 wurde er verhaftet und nach Polen ausgewiesen. Von 1940 bis 1943 lebte er im Warschauer Ghetto, wo er seine spätere Ehefrau Teofila "Tosia" Langnas kennenlernte. Am 3. Februar 1943 flohen die beiden aus dem Ghetto. Bis Ende 1944 wurden sie von einem polnischen Arbeiter und seiner Frau versteckt.

Literaturkritiker bei "Zeit" und FAZ

Nach dem Krieg kehrte Marcel Reich nach Polen zurück. Dort arbeitete er unter anderem für den Geheimdienst, das Außenministerium und für einem Verlag. In dieser Zeit legte er sich auch den Namen Ranicki zu. Ab 1958 arbeitete er unter anderem als Literaturkritiker für die "Zeit" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Von 1988 bis 2001 leitete er die Literatursendung "Das Literarische Quartett" im ZDF.

epd