Ende des "Kriegs" zwischen Glaube und Wissenschaft?

Ende des "Kriegs" zwischen Glaube und Wissenschaft?

"Friede bricht aus im Krieg zwischen Religion und Naturwissenschaft", titelt der US-Biologe Dean Michael Zimmermann reißerisch in der "Huffington Post". Aber vermutlich hat er recht – ein bisschen.

In den USA, wo die Debatte um Glaube und Wissenschaft wesentlich lebendiger ist als hierzulande und Kreationisten und Anti-Kreationisten immer wieder medienwirksam aufeinanderprallen, gibt es immer mehr Brückenbau-Initiativen. Das ist jedenfalls der Eindruck von Zimmermann, der selbst eine dieser Initiativen ins Leben gerufen hat: das Clergy Letter Project, mit dem Gemeindeleiter sich für die Evolutionstheorie stark machen und das propagiert, in den Kirchen jährlich ein "Evolution Weekend" zu begehen.

Zimmermann führt in seinem Blogpost aber auch eine Reihe weiterer Anstrengungen der letzten Jahre als Beleg an, welche die – für viele ja auch gar nicht neue oder überraschende – Botschaft, dass Glaube und Wissenschaft durchaus zusammenpassen, in fruchtbarem Dialog stehen und auch von ein und derselben Person ohne Gefahr von Schizophrenie gelebt werden können, unters Volk zu tragen versuchen. Etwa einen von der wichtigen US-Wissenschaftsorganisation AAAS ins Leben gerufenen Dialog, ein von der US-Akademie der Wissenschaften herausgegebenes Buch und eine ganze Reihe von Stiftungen, Instituten und Vereinen, die sich das Thema Glaube und Wissenschaft auf die Fahnen geschrieben haben.

Das legt natürlich die Gretchenfrage in Richtung der deutschen Fachwelt nahe. Der Befund ist, scheint mir, durchwachsen. Dass prominente Organisationen aus dem Bereich der Naturwissenschaft Kontakt zu Religionsvertretern suchen und den Dialog forcieren, Fehlanzeige. (Ich würde mich gern eines Besseren belehren lassen!) Wobei man zugestehen natürlich muss, dass das Thema im deutschsprachigen Raum auch vergleichsweise wenig polarisiert und bei den meisten Menschen wohl (leider!) nicht auf die Liste der spannendsten und wichtigsten Fragen steht …

Andererseits gibt es doch, nicht zuletzt dank Internet, einige Anlaufstellen für alle, die sich für eine differenzierte, aber nicht gleich in lebensferne (Geistes-)Wissenschaftlichkeit abhebende Auseinandersetzung interessieren. Die wichtigsten Adressen (außer diesem Blog natürlich): Evangelischerseits die noch gar nicht so alte Website www.theologie-naturwissenschaften.de, die vor allem auf die in diesem Themenkreis engagierte Evangelische Akademie im Rheinland zurückgeht. Katholischerseits das Forum Grenzfragen der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Beide Stellen kooperieren auch fleißig – jüngstes Kind ist die Facebook-Seite Forum Naturwissenschaft Theologie mit einer in den letzten Tagen und Wochen sprunghaft anschwellenden, vielstimmigen Debatte (DISCLAIMER: Ich gehöre, wenn auch unter ferner liefen, zum Administratoren-/Redaktionskreis dieser Seite). Organisatorisch selbstständig, aber seit langem einschlägig ist außerdem die Karl-Heim-Gesellschaft (noch ein DISCLAIMER: Ich bin Mitglied). Und sicher ist diese Liste unvollständig – wer sich übergangen fühlt, bitte melden!

Gemessen an der Mariginalität Bedeutung des Themas hierzulande sind das ganz ordentliche Schritte auf dem Weg zu aktiver Versöhnung. Man könnte also durchaus zu Recht von einem "Friedensausbruch" sprechen – wenn es denn jemals einen Krieg gegeben hätte. Denn wie Zimmermann am Ende seines Beitrags noch klarstellt: Einiges spricht dafür, dass dieser "Krieg" nur ein Mythos ist. Zimmermann beruft sich dabei auf den Historiker Ronald Numbers, Autor von "Galileo Goes to Jail and Other Myths About Science and Religion" – der sehe die Ansicht, es gäbe einen langandauernden und tiefen Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft, als "mehr Propaganda denn geschichtlicher Fakt". Ungefähr dieselbe These hat übrigens der einschlägig bewanderte Theologe Andreas Losch kürzlich auf dem erwähnten Facebook-Forum zur Diskussion gestellt.

Nur: Wozu das Kriegsgeheul? Befeuert werde der Konfliktmythos jedenfalls von interessierter Seite, so Zimmermann: den Fundamentalisten und blindwütigen Dogmatikern, egal ob sie sich nun auf die Fahnen schreiben, für die Religion zu kämpfen oder für die Wissenschaft. Letztlich erweisen sie damit aber, bin ich überzeugt, beiden einen Bärendienst – am meisten aber "ihrer" jeweiligen Seite. Denn ich vermute, dass Kreationisten vor allem eins erreichen: nämlich Religionsverächter und -hasser in ihrem Standpunkt zu bestärken. Und umgekehrt mag ich auch nicht glauben, dass die Anti-Glaubens-Polemik eines Richard Dawkins viele Zweifler zu überzeugen vermag – ganz sicher aber hilft er damit religiösen Fundamentalisten, die Wissenschaft in Bausch und Bogen als gottesfeindlich zu verteufeln.

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