TV-Tipp: "Plan A"

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25. August, Arte, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Plan A"
Stell’ dir vor, heißt es zu Beginn dieses Films, sie hätten deine gesamte Familie ermordet. Eltern, Geschwister, Kinder; völlig grundlos. Der Monolog endet mit einer Frage: "Was würdest du tun?" In den folgenden gut hundert Minuten gibt "Plan A" eine mögliche Antwort.

Am Ende des Films wird Max, die Hauptfigur, die Frage erneut stellen, aber zumindest für ihn selbst fällt die Antwort nun anders aus. Das Drehbuch zu der israelisch-deutschen Koproduktion beruht auf wahren Begebenheiten.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wollten sich einige Juden nicht auf die Justiz der Alliierten verlassen; sie nahmen als Richter und Henker die Gerechtigkeit selbst in die Hand. Zu diesen Männern und Frauen gehört auch Max (August Diehl). Er hat Auschwitz-Birkenau überlebt und sucht nun nach Frau und Kind. Als ihm eine davongekommene Augenzeugin schildert, wie die beiden von den Deutschen ermordet worden sind, sinnt er auf Rache.

Zunächst wird er Mitglied der Jüdischen Brigade in der britischen Armee: Die Soldaten spüren auf eigene Faust Täter auf und liquidieren sie. Als die Truppe nach Belgien versetzt wird, schließt sich Max der jüdischen Organisation Nakam an, die in ganz anderen Maßstäben denkt. Gemäß der biblischen Devise "Auge um Auge, Zahn um Zahn" wollen sie Vergeltung: Die Deutschen haben sechs Millionen Juden umgebracht, also sollen auch sechs Millionen Deutsche sterben. Es gelingt einigen Nakam-Mitgliedern, darunter auch Max, als Arbeiter bei der Reparatur der Nürnberger Trinkwasserversorgung mitzuwirken. Auf diese Weise sitzen sie buchstäblich an der Quelle, um ein höchst sinistres Szenario umzusetzen.

In düsteren Farben und freudlosen Bildern erzählt das israelische Brüderduo Doron und Yoav Paz, wie sich Max wandelt: In seinem Haus lebt jetzt ein anderer (Eckhard Preuß), der ihn mit einem Gewehrkolben niederschlägt und ihn davonjagt. Unterwegs trifft er einen alten Mann, der ihm vom gelobten Land erzählt: Die Briten wollen den Juden helfen, in Palästina ein eigenes Land zu gründen. Endlich hätten sie eine Heimat und müssten nicht mehr in ständiger Furcht vor Verfolgung leben. Max kann sich mit dem Gedanken durchaus anfreunden; aber nicht ohne seine Familie. Als sich rausstellt, dass die beiden nicht mehr leben, wird sein Ansporn, die Täter zu bestrafen, größer als die Sehnsucht nach Frieden. 

Die Idee, die Geschichte von Nakam anhand eines Mannes zu erzählen, der Frau und Kind verloren hat, erweist sich als äußerst geschickt. Zumal August Diehl, vom Maskenbild wie ein Toter auf Urlaub zurechtgemacht, eine formidable Besetzung ist: Im Grunde ist Max ein Feingeist, was seine Entwicklung umso interessanter macht. Dass er während seiner Zeit im Konzentrationslager eine Schuld auf sich geladen hat, an der er nun deutlich schwerer trägt als die Deutschen an ihrer Kollektivschuld, macht die Rolle noch faszinierender.

Ähnlich klug war es, den Film mit jener Frage zu beginnen, die dem Publikum fortan nicht mehr aus dem Kopf gehen wird. Am Anfang, als die Jüdische Brigade Kriegsverbrecher hinrichtet, lassen sich die Beweggründe noch nachvollziehen. Der Nakam-Plan hätte jedoch den gleichen Effekt wie ein Bombenabwurf auf eine Großstadt: Es würden unzählige Unschuldige sterben; und Max ist es schließlich, der zum Herrn über Leben und Tod wird. Aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte; es folgt ein verblüffender Epilog. 

Nicht minder faszinierend sind die authentischen historischen Hintergründe. Die Nakam hat es in der Tat gegeben, ebenso das furchtbare Vorhaben, in gleich mehreren deutschen Großstädten das Trinkwasser zu vergiften. Unter den Juden hatte die Organisation allerdings nicht viele Freunde. Die einen argumentierten moralisch, die anderen politisch: Sie fürchteten, ein derartiger Massenmord werde die Gründung eines eigenen Staats gefährden.

Beide Positionen, auch das ein kluger Schachzug, werden im Film von unterschiedlichen Personen repräsentiert: Michael (Michael Aloni) hat Max zu den Jüdischen Brigaden geholt und bittet ihn herauszufinden, was Nakam vorhat. Anna, gespielt von der Holländerin Sylvia Hoeks, hat Max das Leben gerettet, als ihn ein ehemaliger SS-Mann umbringen wollte. Sie gehört zu Nakam, zieht sich aber schließlich zurück, weil das Töten irgendwann ein Ende haben muss.

Basis des Drehbuchs war Dina Porats Buch "Nakam". In Gesprächen mit der Chefhistorikerin der jüdischen Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem haben einige Mitglieder der Organisation vor einigen Jahren erstmals ihr Schweigen gebrochen und die Details ihrer Aktion enthüllt.