Ukrainerinnen beraten geflüchtete Frauen

Psychologinnen Maryna Kuznetsova, Nelya Dusheiko, Olena Ilina und Yana Lukyanyuk
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Die ukrainischen Psychologinnen Maryna Kuznetsova (v.l.), Nelya Dusheiko, Olena Ilina und Yana Lukyanyuk bieten auf Initiative der württembergischen Landeskirche Online-Beratungen für geflüchtete Frauen an.
Therapie online
Ukrainerinnen beraten geflüchtete Frauen
Auf Initiative der württembergischen Landeskirche bieten vier ukrainische Psychologinnen Online-Beratungen für geflüchtete Frauen an. Im Interview berichten sie von ihren Erfahrungen, den Ängsten der Frauen, aber auch von Gemeinsamkeit und Hoffnung auf die Zukunft.

Wie unterstützen Sie mit Ihren Online-Selbsthilfegruppen geflüchtete Ukrainerinnen?

Maryna Kuznetsova: In unseren psychologischen Selbsthilfegruppen schaffen wir einen Ort, an dem Frauen über schwierige Gefühle und Ängste sprechen können, über die sie sich mit niemandem aus ihrem Umfeld austauschen können. Wir wollen sie durch eine schwierige Zeit des Geflüchteten-Daseins begleiten und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Erfahrungen mit anderen zu teilen. Wir wollen ihnen auch wieder das Gefühl geben, dass sie dazugehören und verstanden werden. Die Frauen sollen wieder Kraft tanken, damit sie die schwierige Zeit der Anpassung an die neuen Lebensumstände überstehen.

Was ist bei der psychologischen Beratung der Frauen besonders wichtig?

Yana Lukyanyuk: Wichtig sind Unterstützung und Akzeptanz und dass die Frauen mit den verschiedenen Gefühlen ihrer schrecklichen Realität in Kontakt kommen. Bei den ersten Treffen sollen sie Vertrauen erlernen, damit sie sich wieder für Beziehungen zur Familie, Freunden und sich selbst öffnen können. Danach sollen die Frauen dabei unterstützt werden, ihre Gefühle zu bewältigen. Es ist wichtig, dass sie sich über ihre inneren Erfahrungen bewusst werden und ihren eigenen Weg finden, um zu Kräften zu kommen.

Was bedeutet es für die Frauen, in dieser Situation trotzdem für ihre Kinder da zu sein?

Lukyanyuk: Es ist nicht leicht. Aber egal, was passiert: Kinder brauchen ein Elternteil, das sie unterstützt, versteht und alle schwierigen Gefühle und Erfahrungen akzeptiert. Besonders wichtig ist, dass die Frauen ihren Kindern dabei helfen, ihre Gefühle zu zeigen und den Verlust zu verarbeiten, ohne dass sie einen körperlichen oder psychischen Schaden davontragen.

"Die Frauen schlafen mit einem Handy. Im Minutentakt erhalten sie darüber neue schreckliche Informationen."

Von welchen belastenden Erfahrungen berichten die Frauen? Worunter leiden sie?

Olena Ilina: Sie leiden unter Heimweh nach geliebten Menschen und Angst um diese. Sie verspüren unendliche Angst und erfahren erschöpfenden Stress. Die meisten der Familien sind getrennt. Die Frauen haben ihre Ehemänner, Eltern und erwachsene Kinder zurückgelassen. Sie haben Verwandte und Freunde, die kämpfen oder sich in Städten befinden, die bombardiert werden. Die Frauen schlafen mit einem Handy in der Hand ein und wachen damit auf. Im Minutentakt erhalten sie darüber neue schreckliche Informationen. Sie sind ständig in Alarmbereitschaft. Obwohl sie die Nachrichten und Anrufe nutzen, um Ängste abzubauen, erreichen sie eine Menge neuer traumatischer Mitteilungen.

Mit welchen Sorgen kamen die Frauen am Anfang? Und mit welchen Sorgen kommen sie jetzt?

Ilina: Zuerst haben die Frauen Gemeinschaft gesucht, um "ihre Leute" zu finden und Erfahrungen unter "ihresgleichen" zu teilen. Jede neue Runde von Treffen hat mit dem Austausch von "Horrorgeschichten" über die Erfahrung des Kriegs und das Verlassen der Ukraine begonnen. Die Zeit vergeht, aber die neuen Teilnehmerinnen haben immer noch ein großes Bedürfnis, darüber zu sprechen. Sie müssen ihre Schockgefühle verarbeiten.

Wenn wir uns vorstellen, zeigen wir als erstes unsere eigene neue Identität – die von Geflüchteten. In allen Gruppen gibt es eine Sehnsucht nach der Ukraine und einem friedlichen, vertrauten Leben. Vor diesem Hintergrund werden die Probleme der Anpassung an das Leben in Deutschland, vor denen die Frauen stehen, noch verschärft. Aber alle Frauen sind Deutschland auch sehr dankbar und erstaunt über die Herzlichkeit, Freundlichkeit und Großzügigkeit der Deutschen.

"Im Frühjahr haben alle erwartet, dass sich die Lage an der Front verbessert. Das ist bisher nicht geschehen - und das Warten ist anstrengend."

Wie haben sich die Bedürfnisse der Frauen verändert, seitdem die Gruppen begonnen haben?

Ilina: Die ersten Gruppen haben im Frühherbst 2022 angefangen. Damals war die Stimmung aufgeladen, zum Beispiel, was das Thema der russischen Sprache in der Kommunikation anging. Die Frauen haben zum Beispiel häufig gesagt: "Ich lehne alles Russische ab." Auch darüber, wie es den Frauen in Deutschland geht und ob sie bleiben oder zurückgehen wollen, waren die Teilnehmerinnen gespalten. Es ging auch um die Eingewöhnung in die neue Umgebung und Probleme des täglichen Lebens. Zu dieser Zeit hat sich die Ukraine auf einen harten Winter vorbereitet – und die Frauen haben sich mit ihr vorbereitet.

Die zweite Sitzungsrunde hat pünktlich zum neuen Jahr geendet. Diese Zeit ist eigentlich eine der Bestandsaufnahme und des Planens. Deshalb hat sie sich für die Frauen sehr schwer angefühlt und sie haben sich viele Gedanken gemacht wie: "Das Ergebnis des letzten Jahres ist ein zerbrochenes Leben. Und Pläne? Welche Pläne gibt es? Wir warten. Überleben."

Als die dritte Runde der Gruppenberatung anfing, war der Jahrestag des Kriegsbeginns. Damals haben die Frauen viel über das Warten auf den Frühling, den Sieg, Frieden und die Heimkehr gesprochen.

"Die vierte Gruppe fand im Frühjahr dieses Jahres statt. Sie war von Sehnsucht und Depression geprägt."

Und die vierte Gruppe fand im Frühjahr dieses Jahres statt. Sie war von Sehnsucht und Depression geprägt. Das schmerzlichste Thema war die Rückkehr in die Heimat: Ein Teil hatte bereits die Koffer gepackt, anderen ist die Entscheidung schwergefallen und wieder andere hatten keinen Ort, an den sie hätten gehen können. Im Frühjahr dann haben alle erwartet, dass sich die Lage an der Front verbessern würde. Aber das ist bisher nicht geschehen – und das Warten ist anstrengend.

Sind die Frauen bereit, Ihre Erfahrungen mitzuteilen? Oder ziehen sie sich zurück?

Nelya Dusheiko: Die meisten Frauen haben keine Erfahrung mit der Teilnahme an solchen Gruppen und mit psychologischer Unterstützung. Normalerweise gibt es in jeder Gruppe ein oder zwei Frauen, die sich von den ersten Treffen an leicht öffnen. Die meisten Frauen öffnen sich allmählich und fühlen sich dann erleichtert. In fast jeder Gruppe gab es auch wenige Frauen, die schweigsamer waren. Aber sie haben trotzdem an den Sitzungen teilgenommen. Sie schienen durch die Geschichten der anderen etwas miterleben zu können. Sie haben oft geweint.

"Wichtig ist, dass wir die gleiche Sprache sprechen und die gleiche Mentalität haben."

Wie wichtig ist es für die Unterstützung der Frauen, dass Sie, die Leiterinnen, sich in der gleichen Situation befinden?

Ilina: Das spielt eine entscheidende Rolle dabei, dass sich die Frauen für diese Gruppen entscheiden. Wir können die psychologische Barriere des "Ihr versteht nicht, wie schlecht es mir geht" umgehen. Und es gibt den Frauen Hoffnung, dass ihre Belastungen bewältigt werden können. Denn wir, die Gruppenleiterinnen, werden von den Teilnehmerinnen von vornherein als Personen wahrgenommen, an die sie sich anlehnen können und als Menschen, "die damit umgehen können". Wichtig ist auch, dass wir die gleiche Sprache sprechen und die gleiche Mentalität haben.

Was macht es mit Ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, die Frauen psychologisch zu begleiten?

Dusheiko: Wir sind Frauen, wie die Gruppenteilnehmerinnen. Wenn sie von ihren Erlebnissen erzählen, berührt das auch unsere Gefühle. Wir können nicht ruhig bleiben. Wir erleben sie mit ihnen, es ist die Realität. Diese Gruppen sind eine Ansammlung verschiedener Emotionen: Angst, Unruhe, Trauer und Sehnsucht. Aber es ist sehr wichtig, dass wir in der Gruppe die Rolle der Leitenden behalten.

Was sollten die Frauen mitnehmen, wenn die Beratung beendet ist?

Lukyanyuk: Trotz der Intensität und Fülle schwieriger Geschichten und Erfahrungen können die Frauen Veränderungen bei den Teilnehmerinnen und in ihren eigenen Seelen beobachten. Für viele der Frauen ist es wichtig, zu erfahren, dass die Bandbreite an Gefühlen und Erfahrungen normal ist und dass es wichtig ist, in einer sicheren Umgebung darüber zu sprechen. Nach Abschluss des Kurses bilden die Frauen häufig eigene Gruppen, um sich gegenseitig zu unterstützen, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass Unterstützung und Verständnis weiterhelfen.

Die Frauen in den Beratungsgruppen erleben auch, dass ihre Gefühle nicht abgewertet werden und dass ihre Emotionen und Geschichten die Welt anderer Personen nicht zerstören. Vielleicht ist ein Gefühl der Verbundenheit und dass sie nicht allein sind, das Wichtigste, das die Frauen mitnehmen können.