Sag zum Abschied leise „Empört Euch!“

Sag zum Abschied leise „Empört Euch!“
Den BND interessiert die Pressefreiheit nicht. Die taz-Kriegsreporterin verabschiedet sich. Funkes tragen Bauhelme, aber lassen bauen. Deutsche Lokalchefs sind reif für die Insel. Boris Johnsons langer Weg zum Brexit. Wie Benjamin Netanjahu einmal die Baupläne für Auschwitz aus dem Land schmuggelte.

Auf dem Gelände des einstigen Stadions der Weltjugend entsteht in Berlin-Mitte der neue Sitz des BND, der sich bislang durch groteske Stahlpalmen vor dem Eingang, einen Vorgarten mit Gefängnishof-Charme und die Tatsache auszeichnet, dass dort auch sommersonntagnachmittags Licht brennt, obwohl die Mitarbeiter erst 2017 von Pullach herziehen sollen. Allein der Anblick des Baus macht es unmöglich, diesen Laden ernst zu nehmen. Was natürlich der größte Fehler ist, den man machen kann.

Bereits am Freitag stand im Altpapier, dass der Entwurf des neuen BND-Gesetzes, über den übermorgen im Bundestag erstmals beraten werden soll, vorsieht, alles zu legalisieren, was Edward Snowden und der NSA-Untersuchungssausschuss einst als illegal enttarnten. Nun legen die Reporter ohne Grenzen nach. Deren Geschäftsführer Christian Mihr erklärt in einer Pressemitteilung (und insgesamt ziemlich wortgleich bei Meedia):

„Bisher findet sich in jedem deutschen Überwachungsgesetz eine Ausnahmeregel für Journalisten. Im neuen BND-Gesetz aber ist an keiner einzigen Stelle ein Hinweis darauf zu finden, dass Journalisten nicht ausgespäht werden dürfen. Besonders Journalisten aus Nicht-EU-Ländern geraten damit in das Visier des Nachrichtendienstes. Offenbar betrachtet die Bundesregierung Pressefreiheit als ein deutsches Exklusivrecht, um das sie sich im Ausland nicht zu scheren braucht“.

Nun gibt es wahrlich schöner anmutende Themen für einen Texteinstieg als irgendwas mit BND und Gesetzentwurf. Aber da wir hier sonst immer so stark die mangelnde Pressefreiheit in anderen Ländern beklagen, kann man das schon mal an den Anfang stellen.

[+++] Um bei unschönen Themen zu bleiben: Die taz-Kriegsreporterin hängt ihren Helm an den Nagel, nach sieben Jahren, einer Beziehungspause zuletzt und zu einem Zeitpunkt, an dem man damit rechnen muss, dass jeden Moment jemand den „Kriegsreportexit“ erklärt.  

„Als ich die Pause ausrief und sagte, ich müsse mal sehen, ob das mit Dir und mir Zukunft habe, sagten einige Leute – und das waren zum Teil sehr respektierte Medienmenschen –, ich dürfe nicht aufhören, denn wenn ich die Dinge nicht benennen würde, täte es niemand. Das ist nicht ganz richtig, zwei, drei KollegInnen gibt es schon, die unsere Branche mit ihrer Selbstverliebtheit nicht durchkommen lassen.

Aber das ist nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, was mich an diesem Satz ärgert: Dass es nicht zum Selbstverständnis von Journalisten gehört, sich mit Kollegen anzulegen. Und schon gar nicht mit den Bossen. Wir sind eine Branche der Schisser und Anpasser, die zwar groß darin ist, Fehler bei anderen zu suchen, aber sich heulend in der Ecke verkriecht, wenn sie ihre Arbeitsbedingungen benennen soll“,

schreibt sie heute.

Das hat nicht nur gesessen, das stimmt auch noch.

Dass ich von dieser Aussage nun zu unseren Funkes (leider nicht verwandt mit Tobias Fünke. Obwohl...) komme, liegt sicher nur an meinem Faible für schlechte Überleitungen und kein Stück an dem mies bezahlten Ausbeutungs Volontariat, das ich einst in deren edlen Hallen absolvieren durfte. In Essen haben diese gestern den Grundstein für ihre neue Unternehmenszentrale gelegt und dazu nicht nur ein wunderbares Bauhelmfoto mit allen wichtigen Playern, sondern auch ein Gratulationszitat des Essener Oberbürgermeisters veröffentlicht. Wobei ich als Lokaljournalistin mir ja lieber die Hände bügeln würde, als mich von einem Honoratioren der Stadt beglückwünschen zu lassen. Aber das bin wohl nur ich.

Wer die alten Gebäude der WAZ in Essen kennt, weiß, dass das mit dem Neubau für die noch nicht wegrationalisierten Mitarbeiter sicher eine schöne Sache wird. Die Journalistenschule mit dem klingenden Namen Ruhr, die ich dort einst besuchen durfte, ließ optisch schon die Frage aufkommen, ob der Namensgeber wirklich der Fluss oder nicht doch eher die Krankheit war.

Fast noch wichtiger scheint aber zu sein, dass der Neubau eine Unsicherheit aus der Welt zu schaffen versucht, die sich angesichts der wachsenden Großmannssucht des Unternehmens aufdrängt, auf dem großen Funke-Lokalportal Der Westen aber nun entkräftet wird:

„,Wir investieren in Essen, im Herzen dieser Stadt, in der auch unsere Wurzeln sind’, betonte Michael Wüller, neben Manfred Braun Geschäftsführer der Funke-Mediengruppe, in seiner Ansprache. Klarer könne das Bekenntnis zum Standort Essen und zur Region Ruhrgebiet nicht sein.“

Dass das Gebäude, wie dann später noch eingeräumt wird, nicht Funkes gehören wird, sondern einem Investor, von dem dann zurückgemietet wird, stört dieses Bekenntnis sicher in keiner Weise, weil der Mietvertrag in 50 und auch in 100 Jahre noch bestehen bleibt. Oder zumindest so lange, wie Print noch lebt.

An anderen Orten treiben anderen Lokalchefs derweil ganz andere Dinge um.

„Es geht uns aber nicht darum zu zeigen, dass wir die besseren Lokal-Journalisten sind. Wir haben einfach alle mal wieder Lust, raus auf die Straße – oder genauer – den Strand zu gehen und zu berichten“,

zitiert Alexander Becker bei Meedia Wolfram Kiwit, Chefredakteur der mal nicht zu Funke, sondern Lensing gehörenden Ruhr Nachrichten. Gemeinsam mit Chefkollegen von Rheinischer Post, Westfalenpost oder NOZ wird er Mitte des Monat für eine Woche den Föhrer Insel-Boten übernehmen.

Das wird die daheimgebliebenen Redakteure sicher freuen, dass ihre Chefs ihre Schreibwut an der Nordsee ausleben, und nicht etwa zu Hause, wo diese mit zusätzlicher Hilfe vielleicht mal nach elf und nicht erst nach zwölf Stunden die Redaktion verlassen dürften.

[+++] Eine größere, bekanntlich an einem dauerhaften Ausstieg interessierte Gruppe von Inselbewohnern lebt in Großbritannien. Warum diese von dannen ziehen wollen, und ob dabei nicht gar Journalisten die Hand im Spiel hatten, damit beschäftigt sich Sascha Zastiral bei Zeit Online, wo er aus einer Studie des Reuters Institute for the Study of Journalism der Universität Oxford mit eindeutigen Tendenzen zitiert:

„Von 928 untersuchten Artikeln aus den ersten beiden Monaten, nachdem Premierminister David Cameron im Februar das Referendum ausgerufen hat, sprachen sich demnach 45 Prozent für ein Verlassen der EU aus, nur 27 Prozent riefen zum Verbleib auf. 19 Prozent wurden als ,gemischt oder unentschlossen’ eingestuft, in nur neun Prozent nahmen die Autoren keine Haltung ein.“

Zudem verweist Zastiral auf einen Kommentar von Martin Fletcher aus der New York Times, der bereits im Vorfeld des Referendums einen früheren Brüssel-Korrespondenten des Telegraphs als schlimmen Stimmungsmacher gegen die EU ausgemacht hatte: 

„Mr. [Boris] Johnson, fired from The Times in 1988 for fabricating a quotation, made his name in Brussels not with honest reporting but with extreme euroskepticism, tirelessly attacking, mocking and denigrating the European Union. He wrote about European Union plans to take over Europe, ban Britain’s favorite potato chips, standardize condom sizes and blow up its own asbestos-filled headquarters. These articles were undoubtedly colorful but they bore scant relation to the truth.“

Boris Johnson, Brexit-Befürworter seit 1988, und 2016 doch nicht Profiteur. Man könnte fast Mitleid haben, hätte er sich nicht in letzter Sekunde von einem Mann aus der Erfolgsbahn werfen lassen, der nicht einmal in der Lage ist, ein Glas Wasser zu trinken.

Wer hingegen durchaus noch davon profitieren könnte, mit seinen Zeitungen für den Ausstieg getrommelt zu haben, steht ebenfalls bei Zeit Online:

„Einige Medien spekulieren bereits, dass [Rupert] Murdoch die niedrigen Börsenkurse, die das Ergebnis des Referendums sind, dazu nutzen könnte, sein Imperium auszubauen. So könnte er die Mehrheit am Pay-TV-Anbieter Sky übernehmen, von dem ihm derzeit nur 39 Prozent gehören.“

Weitere Menschen, die sich auch heute noch freuen, dass „Leave!“ wirklich zu leaving führt:

„Kontrolle über britische Fischgründe!, ruft der Chef des Schottischen Fischereiverbands. Ein Metzger aus Barnstaple schreibt, endlich dürfe er demnächst wieder in Pfund und Unzen wiegen. Und eine Wollfarmerin ist froh, dass bald die von ,Brüssel’ diktierten Gesetze zum Tiertransport fallen und Britannien wieder tiergerechte Gesetze verabschieden könne.“

So zitiert Paul Ingendaay heute auf der Medienseite der FAZ aus dem konservativen, britischen Magazin Spectator, das ihm bei einer Wanderung durch Nordengland in die Hände gefallen ist. Herausgeber war dort übrigens einst Boris Johnson, der offenbar eine Spur von EU-Skepsis von der Tiefe des Ärmelkanals hinter sich herzieht.

[+++] Zum Abschluss noch ein Blick auf ein Projekt, das seinen Ausstieg vor den Einstieg gesetzt hat: der Sender (Ältere werden sich erinnern).

„Woran ist das Ganze gescheitert? Letztlich daran, dass wir uns nicht getraut haben, zu ,springen’. Also wirklich zu starten. Ursächlich dürfte dafür gewesen sein, dass wir als Team nicht in der Lage waren, unsere Vision auf einen Nenner zu bringen. Sie blieb zu diffus. Wir wollten mit einem Crowdfunding bzw. bei einem Mischfinanzierungskonzept (etwa mit gesponserten Sendungsformaten) erst an den Start gehen, wenn wir konkret unser Produkt beschreiben konnten — Unterstützer/innen sollten also zumindest eine deutliche Idee von der Katze im Sack bekommen“,

erklärt sich Lorenz Matzat das schleichende Dahinsiechen der ambitionierten Idee.

Vor einem Jahr war ich mal auf Einladung bei einem Workshop dieses Projektes und hatte einen ähnlichen Eindruck: Dass alles anders werden sollte, war klar. Aber was das bedeutet, eben nicht.

Die Debatte über die Journalismus-Zukunft in a nutshell. Mehr davor übrigens im... später


Altpapierkorb.

+++ Wie Kai Diekmann einst Benjamin Netanjahu die Baupläne für das Konzentrationslager Auschwitz schenkte, steht heute, zitiert aus einem Interview mit einem hebräischen Online-Magazin, auf der Medienseite der SZ. „,Bundesarchiv und Bundesinnenministerium haben uns gesagt, diese Dokumente gehören der Bundesregierung. Wenn Sie versuchen, sie aus Deutschland herauszubringen, dann bekommen Sie ein Problem. Wir werden Sie an der Grenze stoppen.’ Die sanfte Drohung ließ Diekmann unbeeindruckt, wie er jetzt zugibt. ,Die Baupläne waren eine Sensation. Ich war überzeugt, dass sie nach Yad Vaschem, in Israels Holocaustgedenkstätte, gehören.’ Nur wie ließ sich das am geschicktesten einfädeln? ,Ich hatte dann die Idee’, sagt Diekmann, ,.dass jemand die Baupläne über die Grenze bringen muss, den sie nicht stoppen werden, und zu dieser Zeit war das Premierminister Benjamin Netanjahu. Ich habe ihn gefragt, ob er zu unserer Ausstellung kommt, wo wir ihm die Dokumente aushändigen würden.’ Der Rest ist Geschichte.“ +++

+++ Die Sächsische Zeitung hat sich am Wochenende von Richtlinie 12.1 des Pressekodex verabschiedet (Altpapier) und nennt urdeutsche Taschendiebe und ihre Kollegen anderen Herkunft nun bei genau dieser. Wie man das finden soll? Verschiedene Reaktionen hat zum einen Paul-Josef Raue in seiner Kolumne bei kress.de, zum anderen das mit den Flurfunk Dresden verbandelte Blog Asylfakten zusammengetragen. +++

+++ „Es ist kein Geheimnis, dass viele Zeitschriftenredakteure dazu neigen, über Themen und Entwicklungen zu schreiben, die sie für wichtig oder berichtenswert erachten“ und weitere Knallergeheimnisse sowie Job-Aussichten, die einem Journalisten die Haare zu Berge stehen lassen, gibt es von Gerrit Klein, Geschäftsführer beim Ebner-Fachverlag, bei Xing. Eine journalistischere Sicht auf die Zukunft des Journalismus bietet Christoph Kappes bei Carta, wo nun eine ganze Reihe über den „Beruf im Umbruch“ anläuft. (So langsam wünscht man sich dann doch, dass jemand den Journalismus der Zukunft einfach macht, statt immer nur darüber zu schreiben.) +++

+++ „Gestern ist ein schlimmer Populist, der schlimme populistische Sachen gemacht hat, als Chef seiner schlimmen populistischen Partei zurückgetreten. Schlimm.“ Stefan Niggemeier über den „Tagesthemen“-Beitrag zum Rücktritt Nigel Farages bei Übermedien. +++

+++ Ha, alte, verknarzte Menschen, die ihr auf die Jugend von heute schimpft, nehmt das! „Aber der Grad der Informiertheit hat deutlich zugenommen. Und, damit einhergehend, der Wunsch nach Einmischung.“ Sagt der Geolino-Chefredakteur Martin Verg im Interview mit Johanna Schmid auf der Medienseite der FAZ. +++

+++ Warum sich aus einer Befragung von 2000 Menschen keine Marktanteile von Video-on-Demand-Diensten rückschließen lassen, erklärt Thomas Lückerath bei DWDL. Bei Spiegel Online steht derweil, dass VoD-Anbieter Maxdome jetzt auch eine eigene Serie dreht, mit Christian Ulmen und Fahri Yardim. +++

+++ „Legt den Algorithmus offen“ – zumindest in einer Art Leseraum wie bei TTIP für Experten, fordert Volker Lilienthal auf der Suche nach etwas mehr Transparenz in der Facebook-Welt auf der Seite des European Journalism Observatory. +++

+++ Alle, die Nachhilfe im Erkennen von Sexismus benötigen, bekommen diese im Schweizer Blog Medienpranger, das sexistische Berichterstattung nicht nur anprangert, sondern auch erklärt, warum sie sexistisch ist. +++

+++ Woher junge Moderatorentalente nehmen, wenn nicht beim Musikfernsehen stehlen? Vor diesem Problem stehen mangels Musikfernsehens deutsche Sender, und Alexander Krei hat für DWDL gefragt, wie diese damit umgehen. +++

+++ Revolutionär, Politiker, Blumenzüchter, das alles zu sein kann Uruguays ehemaliger Staatspräsident Pepe Mujica von sich behaupten. Arte zeigt heute Abend einen Dokumentarfilm über ihn, den Thomas Gehringer wohlwollend im Tagesspiegel bespricht. Wo zudem Joachim Huber alle über Anntenne Fernsehenden darauf vorbereitet, dass das ab kommendem Sommer zumindest für private Sender Geld kosten wird. +++

+++ Noch eine Meinung zu Mehmet Scholl (Altpapier Montag und Dienstag) gefällig? Voilà, Ingo Rentz bei Horizont und Dietrich Leder in der Medienkorrespondenz. +++

+++ Falls Sie jetzt noch 1 Stunde 17 übrig haben, können Sie Sascha Lobo und Stefan Niggemeier im Podcast bei Übermedien über den Umgang mit der AfD streiten hören. +++

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.

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