„Hope is a mistake“

„Hope is a mistake“
Neues aus der „Favela für verlorene Seelen“, in der möglicherweise Roland Tichy lebt. Stichwort: „Lügenwetter“. Außerdem geht es heute um „Proletkult-Gerichtsjournalismus“, einen zehnsekündigen Ausschnitt aus einem Unfallvideo, das in der „Tagesschau“ zu sehen war, und die Frage, was wir heute anfangen können mit Roger Willemsens früher harter Medienkritik.

Wovon verstehen Journalisten besonders wenig? Vom Wetter und vom Strafrecht. Diesen Eindruck kann man bekommen, wenn man die aktuellen Beiträge zweier wortmächtiger Journalismuskritiker liest. Die Texte Jörg Kachelmanns (Erstauftritt bei Übermedien) und Thomas Fischer (für seine bewährte Zeit-Online-Kolumne) sind, was den Tonfall (Sarkasmus galore) und die Detailliertheit der Kritik angeht, nicht unähnlich. 

Kachelmann beschäftigt sich mit Verschwörungstheoretikern, die diese oder jene Filterblase mit der Meinung anreicherten, die Absage einiger Rosenmontagsumzüge habe ja wohl gaaanz andere als wetterbedingte Gründe, und mit Journalisten, die den Tipp „Wenn bei Ihnen vor dem Redaktionsfenster blauer Himmel ist, kann zehn Kilometer weiter die Welt untergehen“ gut gebrauchen können. 

Ich als Meteorologie-Laie versuche es mal zusammenfassen: Es drohte ein verheerendes Gewitter, weshalb zur Sorge um ihre Mitmenschen befähigte Menschen besagte Veranstaltungen absagten. Dieses Gewitter kam dann auch, aber nicht dort, wo durchaus es auch hätte kommen können. Kachelmann schreibt:

„Es war vergebene Liebesmüh, da Medien und Öffentlichkeit einfach den ganzen Tag das erwarteten, wogegen wir vergeblich anschrieben: einen alles hinwegfegenden Sturm, einen dunklen schröcklichen Mahlstrom, der Pappnasen hinwegfegen würde und für alle sichtbar die Absage rechtfertigte (...) Viele Medien haben es bis zum Ende nicht gerafft, berichteten vom ‚Sturm, der ausblieb.‘ (...) All der Hagel, die Blitze, die Böen bis 100 km/h aus dem Ruhrgebiet konnten natürlich nicht helfen gegen die kollektive Macht der Handys, die dem blauen Himmel über dem Dom entgegengestreckt wurden: Lügenwetter! Und da Deutschland die weltweit führende Favela für verlorene Seelen in Sachen Verschwörungstheorien ist, war der Weg kurz, bis es durch die kalten Flure der rechten Runenfreunde raunte: Das Wetter war nur ein Vorwand!“ 

Die verlorenen Seelen, die in dieser „Favela“ zu Hause sind, stammten aus dem Milieu „zwischen Bachmann und Tichy“, und trotz dieser liebenswürdigen Differenzierung gefiel Letztgenanntem, dessen „geradezu wahnhaften Verve“ in einer anderen Angelegenheit Armin Nassehi am Montag in der Welt aufgegriffen hat, Kachelmanns Text ganz und gar nicht. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob „Favela“ als Metapher hier wirklich funktioniert, aber immerhin knallt sie gut.

[+++] Was Thomas Fischers aktuellen Text anbelangt, gibt es natürlich wieder viel zu viel Zitierenswertes (siehe Altpapier vom vergangenen Mittwoch). Deshalb sei nur am Rande erwähnt, dass hier die hiesigen Journalistenverbände einen mitbekommen (wegen ihres „kollektiven Einknickens vor ‚der Straße‘"), desgleichen die Drehbuchautoren und Redakteure der ZDF-Serie „Notruf Hafenkante“ sowie Journalisten, die auf den Seiten für Vermischtes „Proletkult-Gerichtsjournalismus“ („Gerichtsjournalismus von oben nach unten, also die unintelligenteste und verbreitetste Art“) betreiben. 

Konzentrieren wir uns aber auf etwas anderes. Fischer fragt:

„Welche Qualifikation benötigt ein Journalist, der die Seite ‚Natur und Technik‘ übernimmt? Was muss gelernt haben, wer über die Zinsentscheidung der EZB oder den Börsenwert von VW berichtet? Und was muss aufbieten, wer dem Volk das Strafrecht offenbart? (...) Nicht gemeint ist eine Fachkenntnis, die nur gelernten Chirurgen erlaubt, über Lebertransplantationen zu berichten, oder nur studierten Geologen über einen Vulkanausbruch in Peru.  Nein, ich meine etwas Diesseitigeres. Der Angeklagte, so lesen wir jede Woche hundertmal, hat gegen das Urteil des Amtsgerichts ‚Widerspruch‘ erhoben. Der wegen Mordes Verurteilte wird ‚in Berufung gehen‘. Was wir lesen ist: Einfach die pure, vollständige Unkenntnis des Gegenstands, über den man schreibt.“

Vielmehr gehe es  

„um ein Minimum an Sachkunde, das – jenseits der mehr oder minder künstlerischen Fiktion – als selbstverständlich angesehen werden müsste, um über Fragen, Prozesse, Inhalt und Folgen des wirklichen (!) Strafrechts öffentlich zu berichten und sich dabei ohne Scham ‚Journalist/in‘ zu nennen.“

Und wenn dieses Minimum nicht vorhanden sei, kümmere das auch kaum jemanden:

„Wer im Deutschen Fernsehen ‚Schalke Nullfünf‘ sagt, ist raus aus dem Rennen (...) Wer aber berichtet, der in Hannover verurteilte Mörder habe in Hamburg ‚Einspruch‘ gegen das Urteil eingelegt, diese ‚Berufung‘ aber sei – nach Ansicht des einzigen in Deutschland lebenden Kriminologen aus Niedersachsen, der wie immer zufällig gerade hierzu ‚eine Studie gemacht‘ hat – ohne Aussicht auf Erfolg …, wird zur Strafrechtsversteherin des Jahres gewählt.“ 

Wobei man auf die mediale Pfeiffer-Fixierung, die Fischer hier en passant kritisiert, vielleicht noch mal gesondert eingehen müsste.

[+++] Weitere Nachrufe auf Roger Willemsen (siehe Altpapier) sind erschienen: Eren Güvercin (Freitag) würdigt den Verstorbenen als „engagierten Intellektuellen, der auch ein offenes Ohr für die Muslime hatte“. Dietrich Leder (Medienkorrespondenz) geht in einem teilweise sehr persönlichen Text weiter zurück als die Autoren der meisten anderen Nachrufe, nämlich bis ins Jahr 1985, als er, Leder, vorschlug,

„Roger Willemsen zur Duisburger Filmwoche des Jahres einzuladen, auf der wir über die Ereignisse um die Gewaltszenen im Brüsseler Heysel-Park-Stadion beim Europapokal-Endspiel FC Liverpool gegen Juventus Turin vom 29. Mai 1985 diskutieren wollten, so wie sie damals in der Live-Übertragung des ZDF erschienen waren.“

Außerdem korrigiert Leder die aktuelle Geschichtsschreibung zur Frage, was Willemsen eigentlich direkt nach „0137“ machte:

„Die Sendung, die von 19.30 und 20.15 Uhr ausgestrahlt wurde, war damals ein Pflichttermin. Man wollte keine Ausgabe versäumen. 1993 wurde er für die Sendung mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Danach standen ihm alle Fernsehsender offen, doch er ging nicht – wie es jetzt in vielen Nachrufen steht – direkt von Premiere zum ZDF. Dazwischen gab es noch eine Episode im WDR, der ihn für eine wöchentliche Talkshow verpflichtet hatte. Diese Sendung war schon überaus groß angekündigt worden, als Willemsen nach einem Streit um Produktionsdetails die Reißleine zog (...) Das für den WDR entwickelte Konzept realisierte er dann wieder bei Premiere, wohin er zurückkehrte, ehe er dann 1994 zum ZDF ging und dort ‚Willemsens Woche‘ präsentierte.“

Die MK hat außerdem ein 2000 geführtes und 2004 erstmals gedrucktes Interview online gestellt, das Roger Willemsen mit Günter Gaus geführt hat. Es erschien anlässlich Gaus‘ Tod. Jemand, der heute als Solitär des 1990er-Jahre-Fernsehens gewürdigt wird, interviewt hier also einen Solitär des 1960er-Jahre-Fernsehens, und Willemsen stellt dabei Fragen, die man nach seinem Abschied vom Fernsehen auch ihm hätte stellen können (und vielleicht so ähnlich auch gestellt hat). Zum Beispiel diese: 

„Ich muss an dieser Stelle eine Frage einschieben, die im Grunde nach einer sehr langen Antwort verlangt, ohne dass Sie das vollkommen wagen können. Trotzdem, nehmen Sie sich die Zeit, die Sie dafür brauchen. Sie sind nicht nur ein Melancholiker, sondern ein Skeptiker und zum Teil ein sehr harter Kritiker des Fernsehens gewesen. Sie sind auch ein Moralist des Fernsehens. Wenn Sie versuchen können, in einer knapperen Version zu sagen, was es ist, was das Fernsehen oder was die Moral des Fernsehens, das Ethos des Fernsehens ausmachte zu einem Zeitpunkt als sie ihm, sagen wir mal, auf einer besser beobachteten Bühne angehörten, im Vergleich zu heute?“

Interessant im Zusammenhang mit Willemsen ist auch die Frage, wie man seine radikale Medienkritik von einst heute lesen muss. In dem 1990 erstmals erschienenen Buch „Kopf oder Adler. Ermittlungen gegen Deutschland“ (brillanter Titel, by the way) schrieb er, 

„dass die auflagenstarke deutsche Publizistik - von konkret und Titanic abgesehen - weitgehend harmoniebedürftig ist und sich in punkto Kritik nie viel hat zuschulden kommen lassen. Die veröffentlichte Meinung ist von einer Einförmigkeit, die politische Kritik von einer Ausgewogenheit, die populäre Satire von einer Harmlosigkeit, die in Europa kaum ihresgleichen finden."

Das ist im Kern immer noch richtig. Das Problem, das zumindest ich dabei sehe: Wenn man konkret und Titanic außen vor ließe (die i.Ü. mittlerweile niemand mehr „auflagenstark“ nennen würde) und die Passage schlechter formuliert wäre, könnte man sie heute auch jemanden aus der Gegend „zwischen Bachmann und Tichy“ (s.o.) zuordnen. Gleiches könnte zutreffen für folgenden Satz, den Willemsen 2001 am Ende eines von Stefan Niggemeier für die FAS geführten Interviews gesagt hat: 

„Man wundert sich, dass noch kein Musterprozess darüber geführt wurde, dass der Aufklärungsanspruch des Rundfunkstaatsvertrages jeden Tag falsifiziert wird.“

Weil „eine kleine Gruppe von Empörten die Medienkritik auf ihr Stammtischniveau herunterziehen konnte“ (Wolfgang Michal neulich, siehe Altpapier), ist es heute schwerer geworden, Medienkritik der allgemeineren Art so zu formulieren, dass sie nicht spinnert klingt - auch auf die Idee kann man also kommen, wenn man in alten Willemsen-Texten stöbert. 

Dass sich an der Lage mittelfristig etwas ändern könnte, ist ja leider nicht abzusehen. Bzw.:

„Hope is a mistake.“

Um es mal mit Dominik Graf zu sagen, der sich damit wiederum auf einen Satz aus „Mad Max: Fury Road“ bezieht, weil er zur Lage des hiesigen Drehbuchautorenwesens passt, die aus etwas anderen Gründen ähnlich ungut ist wie die des Medienkritikgewerbes. Graf schreibt darüber in einem Beitrag für ein Buch, den die FAS am Wochenende vorabgedruckt hat und der nun frei online steht. 

„Warum Drehbuchautoren und Regisseure mehr denn je zusammenhalten müssen“,

begründet der Filmemacher dort. Seine Erfahrung:

„Heute kann sich ein deutscher Produzent, der (in einem Drehbuch) eine rasante Szene liest, nicht mehr wirklich darüber freuen. Sein erster Impuls ist nicht: Großartig! Sondern: Was wird der/die RedakteurIn sagen? Und der/die RedakteurIn hat vielleicht wiederum Angst vor seinem/ihrem Fernsehspielleiter? Und der/die LeiterIn hat Angst vor der/dem ProgrammdirektorIn (einer der im öffentlich-rechtlichen TV immer mächtigeren Apparatschik-Positionen im Kontrollsystem). Und der/die ProgrammdirektorIn hat wiederum Angst vor den Zuschauern ... Keiner liest also mehr wirklich das, was er zu lesen kriegt in den Drehbüchern - er liest durch die Zeilen hindurch auf die Machbarkeit und die Beschränkungen hin. Darüber hinaus: ‚Autoren-Brillanz nervt‘ (Originalzitat). Liebe? Nada.“

Woran liegt es? Graf schreibt mit Bezug auf Günther Rohrbach:

„(An) den Programmdirektoren in den Sendern, die ab den 1990ern ihre selbständigsten Redakteure zu schwächen begannen, woraufhin die diese Schwächung ihrerseits automatisch an die Produzenten weitergeben mussten. Man könnte hinzufügen: Und die abhängigen Systemproduzenten halten sich dafür an den Autoren und allmählich auch an den Regisseuren schadlos, sie versuchen, die kreativen Positionen voneinander zu isolieren. Manche Großproduzenten blasen aktuell stolz ins Horn und verkünden, dass sie die Regisseure ihrer Filme nach den Dreharbeiten gar nicht mehr in den Schneideraum lassen."

[+++] Um beim Thema Fernsehen zu bleiben: Schon mal was von Recapping gehört? Soll richtig heiße Scheiße sein. Steht jedenfalls heute auf der SZ-Medienseite. Der Begriff steht für tendenziell nerdige Nachbetrachtungen zu aktuell gelaufenen Serienfolgen:

„In Großbritannien und den USA ist das Recap eines der erfolgreichsten neuen Genres, die der Journalismus in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat. New York Times, Guardian, Variety und Vulture, die Unterhaltungswebseite des New York Magazines – alle recappen“,

schreibt Kathleen Hildebrand - und ergänzt:

„Gute Recaps (...) sind persönlich, sagen auch mal ‚ich‘. Sie ziehen Parallelen zu Serien-Klassikern, zu Filmen und zu älteren Episoden. Die besten Recaps sind eigentlich Kritiken. Die Recaps zu der notorisch symbolbefrachteten Serie ‚Mad Men‘ etwa waren gern mal fünf bis sieben Seiten lang. Spezielle Kostüm-Recaps analysierten die Bedeutung von Don Drapers haifischgrauen Anzügen im Kontrast zu den Farben der Kleider seiner Frauen. Andere riefen lange zurückliegende Episoden wieder auf, ohne die die aktuelle offenbar nur unzureichend verstanden werden konnte. Diese Detailversessenheit fanden viele Medienjournalisten lange irgendwie unziemlich. Recaps wurden als Online-Spielwiese für Fans geschmäht, als journalistisches Fastfood von geringer Relevanz. Doch die Häme verkennt die Komplexität und den ästhetischen Anspruch vieler Serien.“ 

[+++] Was in den nächsten Tagen noch den einen oder anderen Medienwissenschaftler, Journalistenverbandsvertreter und andere Mitteilungsfreudige auf den Plan rufen könnte: ein „ca. zehnsekündiger Ausschnitt aus einem Handyvideo, das ein Passagier im Inneren des verunglückten Zugs in Bad Aibling aufgenommen hat“, den die „Tagesschau“ gestern in ihrer Hauptsendung zeigte, und über den turi2 nun berichtet, weil der bei den Kommentatoren eines Kai-Gniffke-Blogbeitrags mehrheitlich nicht auf Wohlgefallen stieß. Der Chefredakteur von „ARD aktuell“, kürzlich in diesem Altpapier verarztet, beendet seinen Beitrag mit folgenden Worten:

„Bleibt noch eine Frage. Wie kann jemand in einer solchen Situation mit so vielen Verletzten über mehrere Minuten mit dem Smartphone einfach ‚draufhalten‘. Dieses Verhalten ist doch eigentlich empörend. Aber auch dieser Mensch hat das Unglück im Zug miterlebt, ist möglicherweise traumatisiert und hätte sich anders verhalten, wenn er als Unbeteiligter an die Unglücksstelle gekommen wäre. Ich möchte mir über ihn kein Urteil erlauben.“


Altpapierkorb

+++ Über Whistleblower wird derzeit viel geschrieben im Zusammenhang mit der Plattform Football Leaks, die mittlerweile mehr als 100 Spieler-, Berater- und sonstige Verträge aus dem Fußball-Milieu zugänglich gemacht hat. Die SZ schreibt im heutigen Sportteil, diese gebe „Einblicke in einen weitgehend undurchsichtigen Geschäftsbereich namens Transfermarkt, in dem allein im vergangenen Jahr laut Fifa 3,7 Milliarden Euro umgesetzt wurden“. Außerdem aktuell: Mail-Interviews mit einem der Macher. Der sagt gegenüber Welt-Mann Lutz Wöckener, der sich vor zweieinhalb Wochen in der WamS bereits ausführlich mit der Sache befasst hat: „Die Komplexität einiger Verträge ist erstaunlich. Diese Dokumente zu prüfen und zu analysieren ist ein zehrender Vorgang. Aber es macht auch Spaß. Wir lernen jeden Tag eine Menge dazu.“ Bei Spiegel Online dient ein ähnliches Interview als Ergänzung zu einer Football-Leaks-Geschichte im gedruckten Heft. 

+++ Obwohl Linke derzeit überhaupt keine Schnitte mehr sehen: Als Pappkameraden taugen sie immer noch oder mehr denn je. Doris Akrap (taz) beömmelt sich aus aktuellem Anlass über einen Text aus der Zeit, in dem es viel um Blut, Gift und Energie geht. Die Wochenzeitung „konstatiert den ‚Verlust der Mitte‘ und macht für den Zuwachs der Rechten die Linken verantwortlich. Sie nennt sie (...) ‚kulturalistische Linke‘. ‚Wer da nicht mitmachen will (...) muss heute politisch mindestens bis zur AfD auswandern, um mit seinem Unbehagen kommunikativ wieder anschlussfähig zu werden, denn die Union unter Angela Merkel funktioniert nicht mehr als besonnener Katechon‘. Das reicht aber noch nicht. Die Linken greifen auch unseren Organismus an: ‚Was heute das Blut regelmäßig zur Wallung bringt, sind samt und sonders Fragen der Weltanschauung, der diskursiven Symbolpolitik, des ideologischen Lifestyles. Straßennamen, Geschlechtskategorien an Klokabinen.‘ Hieraus speise sich die ‚Verfeindungsenergie, die im Moment alles vergiftet.‘ Vergiftet. Alles ist vergiftet! Ach ja? Mir ist nicht bekannt, dass Angela Merkel jemals Weihnachten in einer Schwulenbar gefeiert hat. Mir ist auch nicht bekannt, dass der Bürgermeister von Dresden alle öffentliche Toiletten als All-Gender-Toiletten gekennzeichnet hat.“

+++ Eine dpa-Meldung über eine Einstweilige Verfügung, die Dunja Hayali beim Landgericht Hamburg gegen einen bei Facebook gegen sie hetzenden Menschen erwirkt hat, steht unter anderem im Tagesspiegel.

+++ Auf der Seite Drei der SZ heute: „Hausbesuche“ bei Lutz-Bachmann-Fans und PI-Lesern, aber auch einer Seniorin, die einen pegidistischen Leserbrief an die SZ geschrieben hat und sich als Abonnentin der Zeitung entpuppt.

+++ Wenn der sozialdemokratische Minister Sigmar Gabriel seine „Rolle als Vater ernst nimmt“, findet‘s Spiegel Online gut, wohingegen es der gedruckte Spiegel nicht gut findet, wenn die sozialdemokratische Manuela Schwesig ihre Rolle als Mutter ernst nimmt. Aufgefallen ist das Jürn Kruse (taz).

+++ Aus der heutigen „Zapp“-Sendung bereits online: Was sich Medienhäuser von Experimenten mit Snapchat versprechen. Dass uns Journalisten diese „Poser-Plattform“ gar nix bringt („wenn wir nicht gerade bei Bento arbeiten“), meint dagegen Christian Jakubetz, in dessen Text es aber hauptsächlich um was anderes geht.

+++ Die „Wintersport-Reality-Show“ „The Jump“ (Channel 4), in England gerade in der dritten Staffel zu sehen, sei die „gefährlichste“ TV-Show überhaupt, meint der New Statesman.

+++ Andreas Platthaus (FAZ) preist den in Leipzig lebenden Cartoonisten Beck anlässlich einer aktuellen Ausstellung im Frankfurter Caricatura-Museum: „Seine Produktivität ist gigantisch, er nutzt alle Inspirationsquellen und Publikationsforen, und so ist er auch einer der eifrigsten Nutzer von Twitter, dessen Kurzbotschaften ihm zuverlässig Texte ins Haus spülen, die er in Illustrationen umsetzt. Manche Kollegen, erzählt er, hielten das für wenig einfallsreich, doch was Beck hier vorführt, ist die hohe Kunst des Cartoons: aus einem fremden Geistesblitz ein Feuerwerk zu machen (...) Cartoons sind tiefer als andere Formen der bildenden Kunst in den jeweiligen Sprachkulturen verankert, weil ihr Prinzip die wechselseitige Unterminierung von Gewissheiten durch Bild und Wort ist. Deshalb ist es bemerkenswert, dass Beck regelmäßig britische Publikationen beliefert und einige der in Frankfurt gezeigten Witzzeichnungen somit englische Texte aufweisen.“ 

+++ Auf der FAZ-Medienseite lobt Heike Hupertz die dystopische französische Serie „Stadt ohne Namen“, die am Donnerstag bei arte startet. Sie verfüge „über kluge Anknüpfungspunkte zu Themen, die uns gesellschaftlich und politisch umtreiben – vom modischen Selbstoptimierungswahn bis zur Flüchtlingskrise. ‚Stadt ohne Namen‘ wirkt beklemmend, weil die Serie jeweils nur einen Schritt von der Vergangenheit und der Zukunft entfernt zu sein scheint. Und in Form eines dunklen Szenarios verhandelt, was nicht verhandelbar ist: die Würde des Menschen.“     

+++ Debatten zu den Hintergründen des Abschusses der malaysischen Passagiermaschine MH17 im Juli 2014 hätten „in vielen Ländern (...) nachgelassen“, konstatiert Telepolis. Aber: „In den Niederlanden (ist) weiterhin in den Medien und auch im Parlament eine Diskussion im Gang. So haben die Medien NOS News, RTL News und Volkskrant sich letztes Jahr zusammengeschlossen, um das Justizministerium gerichtlich dazu zu zwingen, geheim gehaltene oder großenteils eingeschwärzte Dokumente zum Fall MH17 freizugeben. Die Medien sagen, gerade in einem solchen hochpolitischen Fall sei Transparenz unabdingbar, doch sie haben nach einem Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz vor allem tiefgeschwärzte Seiten erhalten. Das Ministerium erklärte, die Freigabe der Informationen könnte die Beziehungen zu anderen Staaten und internationalen Organisationen beeinträchtigen. Und seltsamerweise würde mit der Freigabe der Dokumente der ‚freie Austausch von Argumenten‘ behindert.“

+++ Einen gerichtlichen Erfolg kann dagegen ein Journalist aus Bottrop vermelden. Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem jetzt bekannt gewordenen Urteil aus dem Dezember seinen Auskunftsanspruch gegenüber einem Unternehmen bejaht, „das im Bereich Trinkwasser-, Energie-, und Abwasserversorgung tätig ist“, berichtet Legal Tribune Online. Der Journalist begehrt „Einblicke in Verträge mit Dienstleistern sowie Informationen über dessen Abschlüsse (...) Es bestehe der Verdacht, dass das beklagte Unternehmen, welches zum größten Teil in öffentlicher Hand ist, jedoch als Aktiengesellschaft und privatrechtlich organisiert ist, durch Scheinaufträge verdeckte Wahlkampffinanzierung betrieben habe.“

+++ Die bisherigen Rechtsstreitigkeiten in Sachen Drittsendezeiten bei Sat 1 irrsinnig zu nennen, ist sicher keine Übertreibung. Die Medienkorrespondenz rekapituliert sie. Anlass des Textes: Die zuständige Landesmedienanstalt hat gerade eine neues Drittsendezeiten-Vergabeverfahren für die Zeit ab Juli 2016 gestartet.

+++ Noch mehr Rechtliches: Wo fehlen „rechtssichere Rahmenbedingungen für Freie“? Bei Gruner + Jahr. Das kritisieren die Freischreiber.

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