Affen Affen nennen

Affen Affen nennen
Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit am Beispiel Berthold Kohlers. Die öffentlich-rechtlichen Sender brauchen schon wieder Geld. Google scheint alternativlos. Die CSU ist empört, weil Volksmusik verdrängt wird. „The Day The Clown Cried“ feiert nach über 40 Jahren Premiere in einer ARD-Dokumentation.

Man weiß nicht, was Bundesrichter Thomas Fischer frühstückt. Seine aktuelle Kolumne bei Zeit Online unter dem schönen Titel „Die Lügenpresse“ legt nahe, dass es eine Mischung aus Clown und kleinen Kindern ist, unter die sich in diesem Fall noch ein Stückchen des FAZ-Herausgebers Berthold Kohler gemischt hat.

In der vergangenen Woche forderte dieser in einem Kommentar, der Staat müsse sein Gewaltmonopol für und gegen Flüchtlinge verteidigen. „Sie werden sagen: Ein FAZ-Text, wie er im Buche steht. Nicht die geringste Unkorrektheit zu erkennen“, schreibt Fischer, um ihn dann genüsslich auseinander zu nehmen.

„Ein (missglückter) Handgranatenanschlag soll ,Höhepunkt von Brandstiftungen und anderen Anschlägen’ sein. Wie das? Ist ein Weißbrot der Höhepunkt einer Reihe von Schwarzbroten? Sterben Menschen in gesprengten Häusern schöner als in brennenden? [...] Jetzt noch das ,zunehmend’. Wenn Sie, liebe Leserin, abends das Bad blockieren: Tragen Sie darin dann zunehmend die Züge von Angelina Jolie? [...] Hat also, anders gesagt, irgendeiner jemals Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt vorgeworfen, sie hätten sich in Dinge eingemischt, die sie nichts angehen und für deren Erledigung eher der Staat zuständig sei? Darf man ernstlich schreiben, der rechtsradikale Terrorismus verletze, wenn er Migranten wegen ihres So-Seins ermordet, das ,Gewaltmonopol des Staates’?“

So geht es über drei Seiten (außer, man klickt „Auf einer Seite lesen“) - genauso wie damals, im Deutschunterricht, inklusive des Gefühls, dass sich der Autor unmöglich all das gedacht haben kann, das wir heute aus den Zeilen herauslesen. Für Fischer wird daraus eine Lektion in Wahrheit.

„Damit sind wir am Ende unserer kleinen Deutschstunde angekommen. Was hat sie uns gezeigt? Sprache ist eine komplizierte Sache. Wahrheit ist nicht immer das, was sie zu sein scheint. Sprache formt, gestaltet, interpretiert und erzwingt Wahrheiten. Und manchmal sind die bedeutsamen Windungen der vorgeblichen Meinung nicht mehr als deren schlichtes Gegenteil.“

In anderen Worten: Es ist kompliziert. Das wusste man zwar schon vorher, aber so schön wortgewaltig lässt sich das nicht aller Tage nachlesen. Das ist eine Empfehlung. Zumal der Text noch Schmankerl wie dieses enthält: „Nur Orang-Utans können die Mundwinkel kräuseln“. Vier Seiten später: „Zusätzlich kräuselt  [Frauke Petry] die Mundwinkel, aus Verachtung.“

Kudos, Herr Fischer. Der Preis für die subtilste Verachtung in einem Text voller offensiver Kritik geht an Sie.

[+++] Jetzt nur so mittel überraschend:

"Der Medienpolitik muss bewusst sein, dass jegliche Einschränkungen bei Werbemöglichkeiten nach dem Verfassungsgrundsatz der bedarfsgerechten Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei der Berechnung des Rundfunkbeitrags vollständig ausgeglichen werden müssen."

Das ließ gestern ARD-Vorsitzende und MDR-Intendantin Karola Wille per Pressemitteilung als Erkenntnis der ARD-Intendantentagung verbreiten, die Anfang der Woche in Leipzig stattfand.

Veranlassung zu dieser Demonstration in Verwaltungsdeutsch bot natürlich die Änderung des WDR-Gesetzes in der vergangenen Woche (u.a. dieses und dieses Altpapier). Bei Gelegenheit hätte man diese Passage auch gerne mal von Thomas Fischer auseinandergenommen („Für einen Löwen ist das Töten und Zerlegen eines Zebras ,bedarfsgerecht’, und wenn der sogenannte IS historische Stätten sprengt, sieht er dafür ebenso Bedarf.“) Heute übernimmt das jedoch, ebenfalls nur so mittel überraschend, Michael Hanfeld in der FAZ.

„Der Sprachraum von ARD und ZDF ist ein ganz eigener. Das wird immer dann besonders deutlich, wenn es ums Geld geht, erst recht, wenn es ihnen ans Geld geht“,

schreibt er, um die Wortungetüme dann doch nur zu wiederholen und sich über die Erwartungshaltung aufzuregen, die Printredakteure natürlich in den Wahnsinn treiben muss, gleicht ihnen doch die seit Jahren schrumpfenden Werbeeinnahmen niemand aus.

Tatsächlich muss man sich fragen, ob jetzt ein guter Zeitpunkt ist, nach der Erhöhung des Rundfunkbeitrags zu rufen. Schließlich scheint die Akzeptanz der Medien auch so schon ziemlich angekratzt. Doch bei der ARD sieht man das anders, wie Kurt Sagatz beim Tagesspiegel ebenfalls von den Intendantentagung zu berichten weiß:

„Wenn es um die Glaubwürdigkeit der ARD und dabei speziell um die des Informationsangebotes geht, sehen sich die Senderverantwortlichen im Prinzip auf der sicheren Seite. ,Immer wenn es ernst wird, kommen die Zuschauer zum Ersten’, sagt Programmchef Volker Herres und verweist auf die hohen Werte bei der politischen Glaubwürdigkeit des Senders."

Aber:

"Man werde die Diskussion über die ,Lügenpresse’ ernst nehmen. ,Nicht alle, die beim alles überragenden Thema Flüchtlinge vehemente Sorgen wegen der hohen Zahlen äußerten, sind ausländerfeindlich oder Rassisten’, sagte [ARD-Chefredakteur Thomas] Baumann. ,Wir sehen es als verstärkte Pflicht an, der Politik Fragen zur inneren Sicherheit, den Kosten des Flüchtlingszuzugs und zum Zusammenleben zu stellen.’“

Nun könnte man kurz dazwischengrätschen und sich erkundigen, mit welchen Pflichten sich die ARD bisher die Zeit vertrieben hat, wenn nicht mit dem Hinterfragen der Politik, für die wir sie so eifrig bezahlen? Aber stattdessen werfen wir lieber noch einen Blick in das Interview, das Svenja Siegert für die neueste Ausgabe des Fachmagazins Journalist mit dem ARD-aktuell-Chef Kai Gniffke geführt hat (Blendle-Link).

Auch Gniffke glaubt: „Wir haben kein Glaubwürdigkeitsproblem“. Handlungsbedarf sieht er dennoch:

„Es muss nicht jeder in der Bevölkerung der gleichen Meinung sein, aber man muss verhindern, dass die Gesellschaft so sehr auseinanderdriftet, dass Menschen nicht mehr kommunizieren. Dafür ist öffentlich-rechtlicher Rundfunk da, und die Tagesschau im Besonderen. Sie soll die Basis für gesellschaftlichen Diskurs schaffen. Ich kann Ihnen versprechen, die Menschen, die hier arbeiten, sind in hohem Maße Überzeugungstäter, die genau für diese Idee eines gesellschaftlichen Diskurses eintreten.“

Diskurs, Gesellschaft, prima, das klingt doch nach Demokratie und öffentlichem Auftrag. Nur zu anstrengend darf das nicht werden:

„[Siegert:] Ich habe auch nach dem Terror in Paris nichts im Tagesschau- Blog gelesen, obwohl Sie auch da Kritik einstecken mussten. Mein Eindruck: Sie sind es ein bisschen müde geworden, die Arbeit der Tagesschau zu erklären.

[Gniffke:] Nein, so ist es nicht. Wir schreiben im Blog seit 2007. Und ja, unter dem Druck der Ereignisse ist der Blog in letzter Zeit leider etwas zu kurz gekommen. Das gebe ich ganz offen zu. Irgendwann wiederholen sich auch manche Argumentationen, und dann lässt in manchen Fällen der Impuls vielleicht ein bisschen nach. Leider habe ich zudem zur Kenntnis nehmen müssen, wie oft solche Einträge als Vorlage für die Skandalisierung unserer Arbeit missbraucht werden.“

Bei jedem privaten Blog könnte man das gut verstehen. Ein Hobby, für das man nur auf den Deckel bekommt, hängt man gerne mal an den Nagel. Aber im Jahr 2016 ist eine Plattform, auf der Medien ihre Arbeit erklären und sich Kritik stellen, eher Pflicht als Kür. Es muss ja nicht der Chef persönlich sein. Aber vielleicht findet sich ja ein anderer Überzeugungstäter, der den öffentlichen Diskurs nicht nur ermöglichst, sondern sich ihm auch stellt.

[+++] Zum Schluss vor dem Korb lohnt sich noch ein Blick in das bezaubernd-freundliche sowie jungendliche Zett (das Bento der Zeit, wer sich erinnert).  

Dort berichtet Hanna Fecht, wie es ihr ergangen ist, als sie eine Woche ohne Google zu leben versuchte, oder, wie es aktiv ansprechend formuliert im Original heißt: „Was eine Woche ohne Google mit Dir macht.“

Nun ist es derzeit keine schlechte Idee, mal über das Leben ohne US-amerikanische Großkonzerne nachzudenken, zumal der gestern angedeutete Nachfolger des gekippten Safe-Harbor-Abkommens keine ernsthafte Verbesserung verspricht, wenn man der Einschätzung Markus Beckedahls bei Netzpolitik.org folgen möchte:

„Dazu gehört laut Justizkommissarin Vera Jourová eine jährliche Evaluierung und die USA versprechen uns schriftlich, dass der Datenschutz auch durch NSA & Co besser gewährleistet werden soll. Wie das letzte auch gewährleistet und durchgesetzt werden soll, ist bisher nicht im Detail bekannt. Das erinnert mich an den Brief der USA an Ronald Pofalla aus dem Sommer 2013, dass es keine Massenüberwachung durch NSA & Co geben würde. Im Gespräch war bisher ein Ombudsmann auf Seiten der USA, da fühlen wir uns gleich ganz sicher und geschützt. Allerdings möchte man die kommenden drei Monate noch damit verbringen, Details zu verhandeln. Mit anderen Worten: Das Logo ist schon fertig, die Einigung nicht.“

Doch Fecht kommt nach einer Woche zu dem Fazit:

„Es ist schwer, ohne etwas zu leben, das in der Gesellschaft schon so tief verankert ist wie Google. Ganz darauf zu verzichten, kommt aber auch gar nicht mehr in Frage“.

Das liest sich wie eine Kapitulation, ist aber durch die Tatsache zu erklären, dass die Autorin Google Maps durch eine veraltete Karte und Google Mail durch einen Musikstreamingdienst (fragen Sie nicht) zu ersetzen versucht.

Open Street Map? Duck Duck Go? Posteo? Nö. Dass alternativ zu Google auch andere, digitale Strukturen entstanden sind, bleibt unerwähnt. Zwar muss man kein Anhänger dieses konstruktiven Journalismus sein, von dem gerade alle sprechen. Aber wenn Artikel nicht mehr bieten als ein in Worte gegossenes Shrug-Männchen, ist das auch nicht die Zukunft.


Altpapierkorb

+++ Das große Thema der gedruckten Medienseiten heute ist die Dokumentation „Der Clown“, die um 22.45 Uhr in der ARD läuft. „,The Day the Clown Cried’ (Der Tag, an dem der Clown weinte) ist ein Mythos. Seit mehr als 40 Jahren fragen sich Fachleute und Fans, was aus dem Projekt geworden ist, das Jerry Lewis, verehrter Pionier des Klamauk-Films, einst selbst angekündigt hatte. Denn zur Premiere kam es nie. Man kennt die Handlung: Lewis spielt den deutschen Clown Helmut Doork, der im Suff Hitler beleidigt, ins KZ kommt, dort die jüdischen Kinder bespaßt, zum Nazi-Gehilfen werden soll und am Ende mit den Kindern in die Gaskammer geht. Aber sonst? Kaum einer hat The Day the Clown Cried je gesehen. [...] Dieses Rätsel weckte die Neugier des Kino-Liebhabers und preisgekrönten Dokumentarfilmemachers Eric Friedler“, erklärt Thomas Hahn in der SZ. Michael Hanfeld meint in der FAZ: „Eric Friedler hebt nicht nur den Schatz, er löst nicht nur das Rätsel. Er erweckt vielmehr einen Kino-Mythos zum Leben und zeigt, dass Jerry Lewis’ Scheitern, das Roberto Benigni fünfundzwanzig Jahre später mit seinem gleichartigen Film ,Das Leben ist schön’ mitnichten ausglich, auch wenn er dafür den Oscar bekam, nicht das letzte Wort bleiben muss. Denn Eric Friedler führt ,The Day The Clown Cried’ förmlich auf. Was für ein Film.“ Weitere Rezensionen gibt es im Tagesspiegel, beim Standard und von der dpa/Hamburger Abendblatt. +++

+++ Die FAZ hat darüber hinaus eine Cyberpsychologin nach unserem Verhalten im Netz befragt. „Wo sind wir zuerst so? Wir haben früher vielfach oft übersehen, dass das Netz ein richtiger Lebensraum und damit auch ein Lernmedium ist, in dem Verhalten ausprobiert wird, in dem Vorbilder entstehen, Werte, Normen, Verhaltensweisen. Wenn wir in Gruppen eintreten, in denen wir uns wohl fühlen, nehmen wir diese Verhaltensweisen an und mit zurück ins normale Leben.“ +++

+++ Einen der wenigen Momente, in dem eine Autorisierung auch für Journalisten praktisch ist, hat gerade der Chefredakteur des Mannheimer Morgens, Dirk Lübke, erlebt. „Was ist daran nötigend, wenn Frauke Petry uns selber das Interview angeboten hat, sie und ihr Sprecher jedes Wort zur Autorisierung vorgelegt bekommen haben, jedes Wort und jeden Satz mehrmals gelesen und schließlich zur Veröffentlichung freigegeben haben? Die perfide Tabu-Brecherin Petry stilisiert sich gerade zum kleinen, ahnungslosen Mädchen, was nicht wusste, was es gesagt hat“. So begegnet er bei kress.de dem Vorwurf der AfD-Chefin, sie sei in die Forderung nach Grenzschutz mit Waffengewalt hineingedrängt worden. +++

+++ Die neue FAZ-App kommt in der Rezension von Franz Sommerfeld bei Carta nicht gerade gut, aber immer noch besser weg als unlängst bei Jens Twiehaus von Turi2. „Haben sich die Macher von ,FAZ Plus’ die Konkurrenz-Produkte angeschaut? Falls ja: Warum haben sie aus ihnen nichts gelernt?“, meinte dieser. Sommerfeld hingegen findet „die App der FAZ deutlich eleganter als die besonders starr wirkende der SZ, aber das Problem der fehlenden Übersichtlichkeit bleibt.“ +++

+++ Entführungen sind in manchem Krisengebiet für Terroristen eine willkommene Einnahmequelle. Wie gut die Idee ist, im Einzelfall darüber zu berichten, mit dieser Frage beschäftigt sich Marvin Schade bei Meedia. „Im Dienste des öffentlichen Interesses liegt eine Berichterstattung nah. Doch gerade dadurch können Journalisten bisherige Verhandlungen ungewollt torpedieren, zudem erhöht mediale Öffentlichkeit den Preis, den Terroristen für die Freilassung verlangen.“ +++

+++ „Vor allem im Netz gibt es viele Beschimpfungen, Anschuldigungen bis hin zu der konkreten Androhung von Gewalt. Wir werden allen juristisch relevanten Vorfällen strafrechtlich begegnen. Das tun wir im Übrigen nicht das erste Mal“, erklärt Brigitte Fehrle, Chefredakteurin der Berliner Zeitung, im Interview mit Bülend Ürük bei kress.de. +++

+++ Weil RTL in diesem Jahr jeden abstrafte, der „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!“ online mit Adblocker schauen wollte, wurden „leichte Einbußen bei Online-Zuschauern“ verzeichnet (Meedia). Ein Erfolg im Netz sei die Staffel trotzdem gewesen, meint der Tagesspiegel. +++

+++ „Bayern 1 verabschiedet sich von der Volksmusik. CSU empört“, vermeldet die Hannoversche Allgemeine. +++

+++ Wie die ARD an die Rechte für die Handball-WM im nächsten Jahr kommen möchte, steht bei DWDL und Meedia. +++

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag. 

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