Alles wird gut (Nina Ruge kann uns schließlich nicht all die Jahre belogen haben)

Alles wird gut (Nina Ruge kann uns schließlich nicht all die Jahre belogen haben)
Zum Jahresende gibt es endlich positive Nachrichten, zumindest im Politikteil der Zeit. Wolf Schneider rät angehenden Journalisten zu Schauspielunterricht. Der Rundfunk feiert Geburtstag, weshalb wir auf Zeiten zurückblicken, als das gleichzeitige, weihnachtliche Musizieren von Geige, Cello und Klarinette die Technik überforderte. Außerdem gibt es zahlreiche Rück- und Ausblicke und die New York Times leiht sich ein Honecker-Zitat.

„Und, wo bleibt das Positive? Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt“, hätte man, Erich Kästner zitierend, im nun zu Ende gehenden Jahr unter so ziemlich jedes Altpapier schreiben können. Nur unter dieses nicht. Denn das Positive findet sich dieses Mal im Politikteil der aktuellen Zeit, die weihnachtsbedingt schon heute erschienen ist.

„Es gab auch gute Nachrichten“, lautet die Kopfzeile über jedem Artikel.

„Gute Laune ist eine unterschätzte historische Kraft. (...) Was man in der Krise braucht, ist so etwas wie Geschichtsmunterkeit“,

erklärt Jan Ross im großen Aufmacher, der mit „Fürchtet Euch nicht“ überschrieben ist.

Ulrik Haagerup, Nachrichtenchef des dänischen Rundfunks und Autor des Buches „Constructive News“ (siehe Altpapier), wäre sicher stolz. 

Was es Positives zu vermelden gibt? Steigende Geburtenraten. Das Liebes-Comeback der Wulffs. Weniger Verkehrstote. Ein britischer Diplomat verpflichtet sich der Wahrheit, nachdem er in den späten 90er Jahren mit fragwürdigen Sanktionen die irakische Wirtschaft in die Knie zwang, was zu verheerenden Zuständen im Land und dem Tod von allein 500.000 Kindern führte. Was bedeutet, dass er seinen Job an den Nagel hängen muss. Denn was gibt es Positiveres, als wenn man als Diplomat nur ein ehrliches Leben führen kann, indem man nicht länger als Diplomat arbeitet?

Das Positive und der Journalismus, sie wollen so gerne zusammenkommen. Nur das Wasser ist viel zu tief.

Ein weiteres Beispiel für diese These liefert in der taz Peter Weissenburger, indem er zwei Artikel von Spiegel Online und welt.de auseinandernimmt, die jeweils mit „Muslime retten Christen das Leben“ überschrieben sind. Darin geht es um einen Vorfall in Kenia: Islamisten griffen einen Reisebus an und forderten dessen Insassen auf, die Christen unter ihnen zu identifizieren. Doch diese weigerten sich und retteten ihren christlichen Mitreisenden so vermutlich das Leben.

„Dass das ein beispielhafter Akt von Solidarität und Zivilcourage ist, steht außer Frage. Dass hier die Widerspenstigkeit der einfachen Leute über eine paramilitärische Terrororganisation siegt, ist inspirierend. Dass deutsche Leitmedien daraus die Nachricht ,Muslime retten Christen’ stricken, zeigt hingegen, was hierzulande von Muslimen erwartet wird. Und was nicht“,

so Weissenburger. Und weiter:

„Wir wollen Urlaub vom Elend, wollen in der Zeitung und im Netz lesen, dass es einen Ausweg gibt aus den Kriegen, wollen auf Besseres hoffen, das Gute im Menschen sehen. Tragt in die Welt nun ein Licht. Die Medien bedienen das nur zu gern. Haben zum Jahresende selber keine Lust mehr auf die Kalamitäten, die sie täglich verwalten. Und sind letztlich auch von ganz pragmatischen Überlegungen geleitet. Denn an Weihnachten klickt sich am besten das, was friedliche Unterhaltung verspricht, und nicht das, was schlechte Laune macht. Da dürfen dann auch Muslime mal gute Menschen sein.“

Der Wille, sich von der alten Weisheit zu verabschieden, dass nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind, ist 2015 deutlich erkennbar. Doch die Fähigkeit, das glaubwürdig rüberzubringen, ist 2016 noch ausbaufähig.  

[+++] Bento. Ist eines dieser flippigen, jungen Portale, dem wir hier nach ihrem Auftauchen im Verlauf des Jahres nicht mehr allzu viel Beachtung geschenkt haben.

Nun steht dort aber zwischen dem Quiz „Wie sehr hasst Du Weihnachten wirklich“ und einem Erlebnisbericht, wie es ist, Weihnachten nach Hause zu fahren (denn wer kann schon selbst auf diese Erfahrung zurückgreifen?) ein Text über Journalistenschulen. Zehn aktuelle und ehemalige Mitarbeiter oder Schüler solcher Institutionen geben Tipps, wie man die hohen Zugangshürden meistert, und ausnahmsweise möchte ich mich an dieser Stelle gar nicht darüber aufregen, dass unter diesen nur zwei Frauen sind, und eine davon über Handtaschen spricht („Ich habe oft bemerkt, dass es Kandidaten irritiert, wenn sie ins Zimmer gehen, sich hinsetzen und dann nicht recht wissen, wohin mit dem Ding.“). Sondern stattdessen kurz darauf hinweisen, dass sich diese Tipps lesen, als schrieben wir das Jahr 1987 und im Journalismus sei alles in bester Ordnung.

„Sollten Sie eine leicht verknödelte Stimme haben, dann empfiehlt es sich, so ein Auswahlgespräch zu Hause zu simulieren und notfalls mal eine Stunde Schauspielunterricht zu nehmen“,

wird etwa Wolf Schneider zitiert. Als seien das die Probleme, denen sich zukünftige Journalisten stellen müssen.

Nun arbeitet der Autor Takis Würger als Reporter beim Spiegel, wo der harte Wind des Medienwandels erst langsam durch die Ritzen zieht. Aber ein klitzekleiner Hinweis, dass die Berufswahl Journalist derzeit in etwa so zukunftssicher ist wie Zeppelinkapitän oder Zylinderfabrikantin, hätte es schon sein können. Schließlich bereitet einen eine Journalistenschule auf einen Job vor, mit dem aktuell nicht ausreichend Geld zu verdienen ist, um sich Sperenzchen wie Schauspielunterricht für ein Bewerbungsgespräch leisten zu können. Schreibt zumindest der freie Autor Wolfgang Kiesel bei Newsroom (in Bezug auf die „Verlagsschurkerei der Stunde“ von M. DuMont Schauberg, von der gestern hier die Rede war).

„Der Verlag M. DuMont Schauberg (MDS) befindet sich mit seinem möglichen Ausstieg aus den Pauschalisten-Verträgen für junge Journalisten sehr im Gerede (...) Ich finde, zu Unrecht. Denn in Wahrheit befindet sich der Verlag in bester Gesellschaft. (...) Bisher wurden zwischen Rhein und Weser zumeist zwischen 1.800 und 2.200 Euro Honorar an Jungredakteure gezahlt – Monatspauschalen genannt. Im Vertrag standen immer schön nur 18 Arbeitstage, weil ansonsten die 5/6-Scheinselbstständigkeitsgrenze überschritten wäre. Je nach tatsächlich gearbeiteten Tagen in der Redaktion ergab dies Tagessätze zwischen 80 und 120 Euro. Bei genauer Berechnung der tatsächlichen geleisteten Arbeitszeit wird derzeit in vielen Redaktionen die Mindestlohngrenze unterschritten – würden nur die Arbeitszeiten erfasst.“

Von dieser Tageszeitungsrealität ist bei Bento aber keine Rede. Vielleicht auch, weil man davon ausgeht, dass Absolventen der Nannen-Schule immer noch direkt beim Spiegel einsteigen können und nicht die Eselsroute über die Westfalenpost, die Magdeburger Volksstimme oder die Gifhorner Rundschau einzulegen haben. Dabei steht die große Stellenstreichung aka „Agenda 2018“ dort auch bevor.

Eine Gruppe, für die derartige Warnungen zu spät kommen (sorry!) besucht gerade die Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Dieser Tage hat sie ihr Projekt ausgestrahlt.tv online gestellt.

„Das Fernsehen ist tot. Lang lebe Youtube. Doch ist das so? Erleben wir gerade eine Revolution? Hier versuchen wir Antworten zu geben. Ein Projekt, das zwischen den Generationen vermittelt und den Wandel auf den deutschen Bildschirmen begleitet“,

lautet die Selbstbeschreibung. Zumindest ihnen scheint bewusst zu sein, dass sich etwas tut in der Medienwelt.

[+++] Wer hat gestern nicht daran gedacht? Der deutsche Rundfunk feierte Geburtstag, 95 Jahre wurde er alt. In der noch aktuellen epd medien-Ausgabe erinnert Christian Bartels an dieses Ereignis, das gerade einmal 150 Zuhörer gefunden haben soll – aber die Quote war damals natürlich noch kein Thema.

„1920 aber befand sich die Reichspost noch in den Vorbereitungen. Am 22. Dezember saßen Beamte wie der Geige spielende leitende Techniker Erich Schwarzkopf wohl recht beengt neben einem Fünf-Kilowatt-Lichtbogensender. Zur Schalldämmung wurde der Raum mit Schlafdecken aus dem Militärbestand ausgelegt. Cello und Klarinette spielende Postbeamte hätten ebenfalls bereitgestanden, doch ein Zusammenspiel vieler Instrumente zu übertragen, bereitete wegen akustischer Kopplungen in der Frühphase des Rundfunks Schwierigkeiten. Insofern erklangen wohl nur die von Schwarzkopf gespielte Geige, ein Harmonium und Ge- sangstimmen, die ,Stille Nacht, heilige Nach’ und weitere Weihnachtslieder vortrugen. Auch Gedichte wurden vorgetragen und wahrscheinlich Grüße ausgesprochen. Die Mischung, aus der Radio noch in der Gegenwart besteht, dürfte auch am Anfang gestanden haben.“

Wer sich ein Bild von diesen Anfangstagen machen möchte, kann selbst zum Museum auf dem Funkerberg nach Königs Wusterhausen (ja, das ist das mit „Newtopia“) reisen oder einen Blick auf die schöne Homepage funkerberg.de werfen, die zeigt, dass man dort auch schon sehr früh das Internet für sich entdeckt hat, eine Adaption an neuere Moden aber nicht für nötig hielt.


Altpapierkorb

+++ Manfred Krupp soll beim HR vom Fernsehdirektor zum Intendanten aufsteigen und damit Helmut Reitze nachfolgen. „In der ersten Sitzung der Findungskommission hatte sich das Gremium zunächst auf ein Anforderungsprofil für den Posten verständigt. (...) Allzu viele geeignete Kandidaten scheint man aber nicht gefunden zu haben, denn Krupp wurde nun einstimmig als alleiniger Kandidat zur Wahl vorgeschlagen, die am 5. Februar bei der Versammlung des Rundfunkrats erfolgen soll“, schreibt Alexander Krei bei DWDL. Auf der FAZ-Medienseite erklärt derweil Michael Hanfeld, wer dieser Herr Krupp eigentlich ist. „Den Sender kennt er aus dem Effeff, sämtliche politischen Kräfte im Land kennen ihn, und die Zuschauer kennen Krupp aus den politischen Sendungen ebenfalls, die er mit der ihm eigenen Gelassenheit moderiert. Als Chefredakteur war er ein denkbar großer Kontrast zu seiner Vorgängerin Luc Jochimsen, die aus ihrer politischen Verortung nie ein Hehl gemacht und das Programm des ,Rotfunks’ ideologisch geprägt hatte. Unter Krupp, der an leitender Stelle beim HR schon wirkte, bevor der zum konservativen Spektrum gerechnete Reitze 2003 Intendant wurde, fand der Sender zu einer besseren politischen Balance.“ +++

+++ Rückblick I: Fünf Symptome des Fernsehjahres 2015 und die Erkenntnis, dass das Fernsehen noch nicht tot ist, liefert im Hamburger Abendblatt Aaron Clamann. +++

+++ Rückblick II: Die schönsten Grafiken und aufwändig in Storrytelling-Szene gesetzen Geschichten des Jahres hat die New York Times zusammengetragen. +++

+++ Rückblick III: Den medienethischen Jahresrückblick absolviert für das Netzwerk Medienethik Alexander Filipovic. +++

+++ Rückblick IV: Die schlimmsten Medien-Beschimpfungen nur des vergangenen Wochenendes hat Ralf Jüngermann bei der Rheinischen Post gesammelt. „Wir fühlen uns weder persönlich noch als Berufsstand substanziell angegriffen. Wir stellen uns nur irritiert und besorgt ein paar Fragen: Woher kommt diese Aggressivität, diese ungefilterte Lust zum Pöbeln? Und was ist die nächste Stufe davon? Warum ist es für viele Menschen so schwer, andere Meinungen als ihre eigene zu ertragen? Was bedeutet das perspektivisch für unsere Gesellschaft?“ +++

+++ Vorschau I: Wer sich für die „7 größten TV-Trends 2016“ interessiert – oder was Thomas Weiß bei Meedia dafür hält -, sollte diesem Link folgen. +++

+++ Vorschau II: Zudem blickt der Standard auf das Fernsehjahr 2016 voraus. +++

+++ Vorschau III: Was für den gleichen Zeitraum Social-Media-Experten an neuen Herausforderungen erwartet, steht im Blog von Jörgen Camrath, selbst Head of Social Media bei der Berliner Morgenpost. +++

+++ Vorschau IV: Gleich der kompletten Zukunft des gesamten Journalismus hat sich der einstige Stern-Chef Dominik Wichmann in einer Gastvorlesung an der Uni Tübingen gewidmet. Was er dort zu sagen hatte, ist in deren Medien-Blog dokumentiert. +++

+++ „Die Print-Zeitung bleibt noch 10 Jahre profitabel“, so zitiert Meedia den CEO der New York Times. Ähnlichkeiten mit legendären Honecker-Zitaten sind sicher rein zufällig. +++

+++ Warum sind da überall Berge, also auf diesen Zeitschriften, am Kiosk? Dieser Frage geht heute Viola Schenz für die SZ nach. „Je stressiger der Beruf, je durchgetakteter der Alltag, je digitalisierter das Leben, desto größer das Verlangen, ein paar Stunden offline zu sein – und eins mit der Natur. Diese neue Sehnsucht will bedient und begleitet sein von den entsprechenden Medien. Sie hoffen dabei vom Boom der vielen ,Land’-Zeitschriften zu profitieren – das einfache Landleben am Gipfel statt in der Ebene sozusagen.“ +++

+++ Das russische Staatsfernsehen wirft dem ZDF vor, Teile seiner Doku „Machtmensch Putin“ aus der vergangenen Woche inszeniert zu haben, ließ sich schon gestern im Tagesspiegel lesen. „Aufgehängt ist die Story an einem angeblichen Freiwilligen aus Russland, der angeblich aufseiten der Separatisten kämpft und angeblich Igor heißt. (...) Er habe, so Igor, in dem ZDF-Film gelogen und ein Drehbuch der Autoren abgearbeitet. Dafür habe ihm der Producer eine Gage von 50 000 Rubel – das sind 650 Euro – versprochen. Der Producer ,Bob“'(es handelt sich um den Exilrussen Waleri Bobkow) und der Autor, ZDF-Journalist Dietmar Schumann, hätten das Drehbuch mit ihm abgesprochen.“ Das ZDF dementiert das, natürlich. +++

+++ Heute rezensiert dort Kurt Sagatz die letzten drei „Wallander“-Verfilmungen, die die ARD über Weihnachten zeigt. +++

+++ Die FAZ bespricht die beiden „Tatorte“, die am Zweiten Weihnachtsfeiertag und am Sonntag aus Wiesbaden und Köln kommen werden. (Service-Teil: Nicht davon irritieren lassen, dass die Zeitung beide für den Feiertag ankündigt. „Wer bin ich“ läuft am Sonntag.) +++

+++ Falls Sie noch nicht wissen, was Sie Silvester machen sollen: Die Silvesterausgabe der „Stadlshow“ freut sich über jeden Zuschauer. Andernfalls könnte das neue Konzept gleich wieder begraben werden, steht im Standard. +++

Das Altpapier verabschiedet sich hiermit in die Weihnachtspause und wünscht frohe Feiertage und einen guten Start ins neue Jahr. Die nächste Ausgabe erscheint dann am 4. Januar 2016. 

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