Die Zukunft in unseren Köpfen

Die Zukunft in unseren Köpfen
Ist der Spiegel-Verlag am Ende auch nur eine Art "zwangsoptimistische" Funke-Mediengruppe? Oder bringen "kuratierte Nachrichtenangebote" bezahltem Onlinejournalismus endlich den Durchbruch? Außerdem: "Tatorte" auf Youtube und Kritik an der Online-Strategie der ARD; Neues zur digitalen Adipositas.

Zwei Wochen Geschenkpapier, in denen das Altpapier so bewegt war wie noch nie, mit GIFs und am Ende sogar eigenem Video, sind vorüber. Herzlichen Dank nochmals an alle, die mitgemacht haben. (Und sollte Alan Poseners Gastbeitrag Sie besonders bewegt haben, klicken Sie hier.)

Jetzt ist wieder grauer Alltag, und fast könnte es scheinen, als hätte der Spiegel-Verlag mit seinem "Spar-Hammer", wie meedia.de heute mal nicht titelt (bloß "große" sowie "historische Reform") es abgewartet. Weitere Überschriften-Adjektive zur gestrigen Ankündigung, "voraussichtlich rund 150 von derzeit 727 Stellen" zu streichen, lauten "drastisch" (EPD/ evangelisch.de), "radikal" (FAZ), "größt" (Tagesspiegel), "anspruchsvoll" (nun ja, kress.de, dafür mit starkem Pressekonferenzfoto), "nicht nur außergewöhnlich sondern einmalig" (TAZ).

Angesichts der Pressemitteilung twitterte Petra Sorge vom Cicero:

"Diesen PR-Sprech zur '#Spiegel-Agenda 2018' hätte @SPIEGEL_Medien vor seiner Auflösung in der Luft zerrissen",

Das mag im Rückblick leicht verklärt sein. Solch scharfe Semantiker haben im ehemaligen Spiegel-Medienressort schließlich nicht gearbeitet (oder nicht lange). Aber es springt natürlich ins Auge, dass, um noch einen Tweet, von Bernd Ziesemer nun, zu zitieren:

"Die Sparagenda beim @DerSPIEGEL ... sich sehr konkret ..., die Wachstumsagenda nebulös"

anhört bzw. liest, wenn im Anschluss an die einleitende Dachphrase "Grünes Licht für die SPIEGEL-Agenda 2018" erst mal vom "langfristigen wirtschaftlichen Erfolg", "Stärken" der "Heimat des investigativen politischen Journalismus", einem "innovativen multimedialen Unternehmen" usw. usf. die Rede ist, so dass jeder flüchtige Leser schon wieder weg ist, bevor dann zwei Absätze "zum Thema Wachsen" mit ca. elf konkreten Projekten (darunter, wow, "ein digitales tägliches und kuratiertes Nachrichtenangebot (Arbeitstitel SPIEGEL daily)"!) folgen, bevor vier Absätze "zum Thema Sparen", in deren vorletztem die magische Zahl "voraussichtlich rund 150" auftaucht, die Pressemitteilung endlich abschließen.

In so außergewöhnlich einmaligen Zeiten wie diesen ist eben jeder Verlag, der vor allem mit Printprodukten lange sehr viel Geld verdient hat und oft auch noch verdient, am Ende eine Art Funke-Mediengruppe.

Immerhin, den Inhalt der locker zerreißbaren Pressemitteilung hat Geschäftsführer Thomas Hass in der Mitarbeiterversammlung gestern eindrucksvoller vorgetragen. Unklar, ob Christian Meier von Springers Welt die in der TAZ erwähnte Forderung aus der Pressekonferenz, "wörtliche Zitate ... vor Abdruck" der Presseabteilung vorzulegen, beherzigt hat. Jedenfalls druckt er in seinem Blog "die komplette Rede von Hass" von "Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen" bis "Die Zukunft des Spiegel liegt in unseren Händen" ab. Nicht nur dort liegt sie aber, sondern auch, so heißt es mittendrin:

"Nie war es wahrer als jetzt: Die Zukunft des Spiegel liegt in unseren Händen. Und in unseren Köpfen."

Ein weiterer Unterschied zwischen Pressemitteilung und Mitarbeiterversammlungs-Rede besteht im Satz:

"Die besten Journalisten arbeiten beim Spiegel. Das soll so bleiben".

Wie sehr den jene "Kolleginnen und Kollegen", die "das Haus verlassen müssen", auf sich beziehen müssen, muss man abwarten. Erst einmal werden Kündigungen bloß nicht ausgeschlossen. Wenn dann welche ausgesprochen werden, wird die Zahl 150 längst ein älterer Hut sein. Und da ein "zweistelliger Millionenbetrag" an Rückstellungen bereitsteht, wie der EPD berichtet, wird sich gewiss eine größere Anzahl von Spiegel-Mitarbeitern, die über Jahrzehnte ebenfalls gut verdient haben, vorzeitig verabschieden, so dass die Zahl der Kündigungen dann vielleicht sogar eher klein erscheinen wird.

Der wohl wichtigste Hass-Satz, der ebenfalls nicht in der PM steht:

"Das Einsparvolumen von 15 Millionen Euro ist das Ergebnis einer seriösen, tiefgehenden Betrachtung und Berechnung, es ist nicht verhandelbar".

Es wurde eben auch schon ewig verhandelt im Spiegel-Verlag. Im Zuge solcher Verhandlungen, die immer unter großer, von internen Infos vieler Spiegel-Recken befeuerter Anteilnahme der Medienmedien-Nische abliefen, sind Chefredakteur Büchner und Geschäftsführer Saffe gegangen. Im Vergleich damit fällt heute "die Diskretion der Beteiligten" auf, wie Claudia Tieschky, die für die Süddeutsche nach Hamburg reiste, berichtet. Sie schöpft auch das Adjektiv "zwangsoptimistisch", das keineswegs unter den Tisch fallen darf, weil es alle Arten von Funke-Mediengruppen prägnant beschreibt.

Jetzt sind wir also im analytischen Teil. Ulrike Simon (Madsacks HAZ) analysiert eiskalt, dass

"die Mitarbeiter des Spiegel-Verlags sich umgewöhnen müssen. Sie werden bald gezwungen sein, sich auf mehr Arbeit ... einzustellen und auf manches zu verzichten, was den Alltag im Vergleich zu anderen Häusern etwas angenehmer gestaltet hat".

Und meedia.des Georg Altrogge erwähnt beiläufig, was im Paket "zum Thema Wachsen" nicht enthalten ist:

"große Würfe mit hohem Synergie-Effekt, wie etwa eine (möglicherweise sinnvolle) Vermarktung des Spiegels durch Gruner + Jahr",

das ja zu den Gesellschaftern des Spiegel-Verlags gehört. Sollten die enthaltenen Wachstums-Ideen, NRW-Regionalausgabe sowie andere Supplements und Extensionen, Veranstaltungskonzepte und das "digitale tägliche und kuratierte Nachrichtenangebot" nicht so gut funktionieren, könnte das noch kommen.

[+++] Im Internet Geld verdienen - schwierig für alle, die keine Quasi-Infrastruktur betreiben. Dazu hat der Tagesspiegel einen interessanten Gastbeitrag.

Fred Breinersdorfer ist kein Digital Native, sondern hat nach eigenen Angaben für "inzwischen mehr als 75 abendfüllende Filme" Drehbücher geschrieben (filmportal.de, breinersdorfer.com). Für den Tsp. schrieb er nun:

"Ich habe meine Vergütungen aus der Internetnutzung meiner inzwischen mehr als 75 abendfüllenden Filme für das Jahr 2014 zusammengerechnet. Heraus kamen: 187 Euro und ein paar Cent. ...

Fast alle Filme, die ich geschrieben habe, stehen auf YouTube mit teils erstaunlich hohen Click-Zahlen, nur, mir zahlt keiner was dafür. Wenn ich verlange, dass der Sender als alleiniger Rechteinhaber dem Spuk ein Ende bereitet, stoße ich auf mäßiges Interesse. Warum? Man sieht es gerne, wenn die eigenen Produktionen dauerhaft verfügbar sind, weil die Mediatheknutzung zeitlich begrenzt ist. Und, kein Witz, gewisse ARD-Sender, bezahlt mit unseren Zwangsbeiträgen, stellen selber die Filme bei YouTube ein. Ob sie dafür Geld bekommen, ist Geheimsache."

Dazwischen enthaltene Klagen über "die digitale Welt" als "Selbstbedienungsladen" braucht man nicht unbedingt zu teilen. Aber Breinersdorfers Kritik an der ARD, die etwa "Tatorte" "fünf Jahre nach der Erstausstrahlung praktisch nicht mehr im Fernsehen wiederholt", doch die Onlinerechte daran auch niemandem sonst zur Verfügung stellt (und sich vielleicht strategisch freut, wie präsent ihre starke Marke auf Youtube ist), verdient diskutiert zu werden:

"Wenn man bedenkt, wie viele Filme und Serin in den Archiven verstauben, kann man sich vorstellen, dass mit ihnen ein interessanter Markt entstehen würde für das Publikum und für Sprit für neue Ideen."


Altpapierkorb

+++ "Nachrichten werden nicht nur immer schneller transportiert, sondern durch Reproduktion und Verlinkung schlicht immer mehr. Man schwimmt in einem Infomeer, dessen Wellen immer höher schlagen. Digitale Adipositas könnte man es nennen ..." Wow nochmals, auch wenn Altpapier-Leser den Begriff bereits kennen. Fast scheint Goldmedia-Geschäftsführer Prof. Dr. Klaus Goldhammer in seinem "Trendmonitor 2016" zu großer Form aufzulaufen. Allerdings führt die wortgewaltige Einleitung dann zu wenig mehr als Lob für einen Werbespot der Deutschen Telekom. +++

+++ Ob "ein medialer Pranger zielführender" ist "als ein symbolischer Galgen" fragte im Oktober (Altpapier) sogar bildblog.de. Zumindest wird der "Pranger der Schande" der Bild-Zeitung nicht vom Presserat gerügt (Tagesspiegel, presserat.de). +++ Der größte Pranger für alle gegen alle, die er nicht mag bis hasst, ist Facebook, das dagegen nur in irgendwie ausgewählten Einzelfällen vorgeht. Aber künftig wohl ein bisschen schärfer: "Die umstrittenen Gemeinschaftsstandards will man zwar nicht umschreiben. Aber immerhin anders interpretieren: Auch Postings, die 'Androhungen von physischer Gewalt' enthalten, sollen dann als 'glaubhafte Drohungen eingeschätzt und entfernt' werden können. Heißt konkret: Per se genießen Flüchtlinge bei Facebook weiterhin keinen besonderen Schutz. Aber die Mitarbeiter des so genannten Community Operation Teams in der Dubliner Europazentrale können geschmacklose Beiträge künftig schneller löschen" (handelsblatt.com). +++

+++ "In keinem Land der Welt steht der freie Journalismus derzeit so stark unter Druck" wie in dem Land, das im Zuge der deutschen Flüchtlingskrisen-Politik viel Geld möglichst von der ganzen EU bekommen soll. Aktuell aus der Türkei berichtet Gerrit Wustmann bei heise.de. +++

+++ Echte Rarität heute auf der SZ-Medienseite: eine gedruckte Talkshow-Besprechung! Zur Plasberg-Show vorgestern abend meint Ralf Wiegand: Und "so war es, wie es immer ist, wenn eine gut meinende Redaktion mal wieder das vermeintlich Böse zu sich in die Runde einlädt. Wie neulich bei Jauch, dem Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke und dem Deutschland-Fähnchen. Dem politisch halbwegs wachen Zuschauer läuft ein kalter Schauer über den Rücken, wenn Petry schwadroniert, man solle doch die Geschichte bitte 'nicht immer nur negativ' sehen, als es ums Völkische geht. Grusel, grusel." (Online aber auch verfügbar)  +++ Bei faz.net z.B. ist Frank Lübberdings Kritik ("Die deutsche Hässlichkeit kriecht empor") schon nach unten gerutscht, nicht zuletzt wegen der frischen Maischberger-Show-Kritik ("Menschenzoo"). +++

+++ Außerdem auf der SZ-Medienseite: österreichische Plagiatsvorwürfe, die neulich schon im Geschenkpapier standen, und ein "Dokumentarfilm-Event" des Discovery Channel. +++

+++ Im Nachklang interessant: der ebenfalls österreichische mutmaßliche neue Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks, von dem die SZ kürzlich berichtete. Für ihr spreche, "dass er Opern übertragen ließ und für den BR als Mann gilt, der die Attraktivität der Kultur steigerte". Das ist auch insofern interessant, als dass das BR-Radio bekanntlich seinen Klassiksender aus UKW entfernen möchten, um Platz für noch einen Popsender zu schaffen. +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite bespricht Michael Hanfeld den heutigen ARD-Film "Unter der Haut" über "einen fast vergessenen Pharmaskandal": "All das einer einzigen Figur aufzubürden - Pressesprecher einer Pharmafirma zu sein, welche die Ausbreitung von Aids mitverschuldet, selbst zum Opfer zu werden und gerade auch noch Vater -, das wirkt arg konstruiert. Schnell kann eine solche Vorlage aus dem Drehbuch zu viel des Guten sein und zu einem schlechten Film führen, dessen Dramaturgie unter der Last des Themas zusammenbricht. Das weiß der Regisseur Friedemann Fromm zum Glück zu verhindern." +++ So vergessen ist der Fall aber nicht. Das ZDF verfilmte ihn vor zwei Jahren, weiß Tilmann P. Gangloff (hier nebenan). +++

+++ Außerdem lobt in der FAZ Paul Ingendaay, wie die spanische Zeitung El Pais im Internet den Wahlkampf begleitet. +++ Einen Konflikt zwischen El Pais und New York Times "um journalistische Ethik", der vielleicht "ein Deckmantel ... für einen Kampf um den lateinamerikanischen Markt" ist, schildert Hans-Günter Kellner im epd medien-Tagebuch. +++

+++ "Die großen Kampagnen ziehen nicht mehr. Zumindest nicht, wenn sie wie an der Elbe im plumpen Hurra-Hamburg-Kostüm durch die Medien ziehen", kommentierte Jürn Kruse in der TAZ den Ausgang der Hamburger Olympia-Abstimmung nicht ohne Kritik auch am NDR. +++

+++ Erwin-Markus Barwasser-Pelzig, zum Teil bekanntlich eine Kunstfigur, gab der Wochenend-TAZ zu derem (der Kunstfigur) gestern vollzogenen Fernsehabschied ein Interview: "Was sagen Sie zur These, dass Bettina Schausten, Rainald Becker oder Maybrit Illner letztlich auch Kunstfiguren sind, wenn sie mit Politikern reden?" - "Es gib einen entscheidenden Unterschied: Pelzig kann sagen, ich habe keine Ahnung, ich fühle mich überfordert, deshalb frage ich. Ein seriöser Journalist darf nie zugeben, dass er überfordert ist." +++

+++ Und Wolfgang Bosbach teilte in der Rheinischen Post mit, für die er "Tschö" zu Günther Jauch sagt, dass er zu dieser Kunstfigur "in all den Jahren ... immer gerne ... gegangen" sei. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

 

weitere Blogs

Drei Kreuze mit Regenbogenfarben
Körper sind ein zentrales Thema in den Passionserzählungen. Eine gute Gelegenheit, einen Blick in eine queer-theologische Körperkonfigurationen zu Kreuz und Auferstehung zu werfen.
KI macht jetzt auch Musik – und das beunruhigend gut.
Aus gegebenem Anlass: zwei Briefe an den bayerischen Ministerpräsidenten.