Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte

Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte
Die Zeit macht eine Reise mit der U-Bahn. In Deutschland lebende Türken sind künftig wichtig für die Quote. Die antigriechische Attitüde der deutschen Journalisten ist international ein Sonderfall. Außerdem: Warum die Forderung nach einem „europäischen Google“ unsinnig ist; warum die von TV-Serienrezensenten so gern bejubelten „kinogerechten“ Bilder „auch zur Untugend werden können“.

Die große, große Wochenzeitung Die Zeit druckt zwar regelmäßig Was-mit-Medien-Texte und durchaus auch mal mehrere pro Ausgabe, aber eine Medienseite hat, wie an dieser Stelle schon öfter konstatiert wurde, das Blatt nicht. Weshalb es zum Beispiel an einer kontinuierlichen Beobachtung des deutschen Fernsehprogramms fehlt. Statt dessen hauen sie in Hamburg alle paar Monate eine längere Generalabrechnung mit den Öffentlich-Rechtlichen raus. Dieser Zeitpunkt ist mal wieder gekommen. In der aktuellen Ausgabe begibt sich ein Autorenduo auf eine „Reise zur Fantasielosigkeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“, wobei als Verkehrsmittel für diese „Reise“ vor allem die Hamburger U-Bahn gedient haben dürfte. Denn der Schwerpunkt liegt beim NDR - wo „nur wenige Verantwortliche bereit (sind), offen zu sprechen“ - und insbesondere seinem Dritten Programm, wobei wiederum den dort zu sehenden Talksendungen recht viel Platz eingeräumt wird.

„Gerade in den Dritten Programmen wäre es möglich, sich nicht sklavisch an Einschaltquoten zu halten und Neues auszuprobieren, risikolos“,

schreiben Anna Kunze und Kilian Trotier, und dem ist natürlich nicht zu widersprechen, aber leider haben sie naheliegende Kronzeugen aufgetrieben (Arne Feldhusen) oder völlig abwegige (den Landesliga-Humoristen Eckart von Hirschhausen, siehe auch Altpapier von Donnerstag).

Der Text liefert nicht mehr als den üblichen Feuilletonpopulismus, aber halt: Der Text ist ja Aufmacher des Wirtschaftsteils, und weil in der Überschrift der Begriff „Fabrik“ vorkommt („In der Quotenfabrik“), passt das schon irgendwie. Das Desinteresse am Gegenstand Fernsehen, das in dem Nichtvorhandensein einer Medienseite zum Ausdruck kommt, belegt auch die Bildgestaltung. Unbedingt untergebracht werden musst ein Foto von einer „Szene aus der Netflix-Erfolgsserie ‚Orange Is The New Black‘“, obwohl es dazu im Text keinerlei Bezug gibt. Aber wer einen Grundsatzartikel übers Fernsehen produziert, in dem das Wörtchen Netflix nicht wenigstens am Rande auftaucht, muss halt drei Wochen ohne Nachtisch ins Bett - so sind die Regeln heute. Etwas weiter unten ist ein Foto des NDR-Programmdirektors Frank Beckmann mit der Bildzeile „Quoten-Feuerwehrmann Heiner Backensfeld“ zu sehen. Solche Fehler sind natürlich verzeihlich, aber dieser hier ist vielleicht symptomatisch.

Ums Thema Quote geht es heute auch in zwei Texten in der SZ. Auf der Medienseite berichtet Claudia Tieschky:

„Die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung AGF ändert im kommenden Jahr die Grundlage, auf der sie die TV-Einschaltquote ermittelt. Bis dato sind die 5000 Haushalte, in denen das Fernsehverhalten gemessen und auf die Bevölkerung hochgerechnet wird, repräsentativ für Zuschauer mit deutschem oder EU-Pass. Von 2016 an soll sich das ändern. Die Quotenmessung wird dann alle Zuschauer erfassen, die in Deutschland leben und deutsch sprechen, unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit.“

Und auf der Meinungsseite kommentiert sie:

„Für junge Türkinnen und Türken, die hier ohne deutsche Staatsbürgerschaft aber mit der deutschen Sprache, mit ‚Tagesschau‘ und ‚Dschungelcamp‘ aufwachsen, interessiert sich die Fernsehforschung bisher nicht. Das ist nicht nur eine schlechte Voraussetzung für Integration. Es ist ein blamables Desinteresse, das sich ein Land nicht leisten kann, das über ein Zuwanderungsgesetz debattiert. Es kommt sehr spät und ist trotzdem ein wichtiges Zeichen, wenn die AGF das im kommenden Jahr endlich ändert.“

[+++] Wer etwas über den Zustand des deutschen Fernsehens erfahren will, dem sei heute nicht der Zeit-Zweiseiter ans Herz gelegt, sondern die - Achtung, Reklame für die Verwandtschaft! - aktuelle Ausgabe von epd Medien, in der ausführliche Berichte zu den Sitzungen der Grimme-Preisjurys publiziert sind. In einem vierseitigen Beitrag zur Diskussion in der Jury Information & Kultur schreibt Heike Hupertz unter anderem, es sei „Konsens“ im Gremium gewesen, dass ein „Kinder-Grimme“ eingeführt werden sollte, damit herausragende Sendungen wie diese eine Chance auf einen Preis haben. Ihr generelles Fazit:

„Was bleibt von diesem, dem 51. Jahr? Besonders welthaltig waren viele der nominierten Filme, politische und aktuelle File dominierten, weniger filmessayistisch erzählte Beiträge gab es und weniger poetisch-dokumentarisch ausgreifende Betrachtungen. Der Kultur-Dokumentarfilm steht eindeutig auf verlorenem Posten. Bei uns war er in seinen stilbildenden Möglichkeiten inexistent.“

Als Ergänzung zu empfehlen: die schon etwas länger online stehenden Erläuterungen zu den in der Information & Kultur ausgezeichneten Filmen bei wolfsiehtfern.de sowie - coming soon bzw. in 14 Tagen - ein Bericht aus der Nominierungskommission Information & Kultur in der Grimme-Preis-Festzeitschrift (Disclosure: von mir).

[+++] Zwei der großen Debattenthemen der vergangenen Monate - Ukraine-Berichterstattung und Griechenland-Berichterstattung - kann man sich heute aus zwei Perspektiven nähern: einmal aus der des Machers, einmal aus der des Medienkritikers. Alice Bota befasst sich bei Zeit Online mit Leserkritik an der Ukraine-Berichterstattung, speziell an ihrer eigenen. Viele Zuschriften seien geprägt von einer „Flucht in die Relativierung, wenn es um die russische Politik geht“:  

„Aber die Wahrheit, dieses große, so oft missbrauchte Wort, sie liegt nicht immer in der Mitte. Man kommt ihr nicht durch Relativierung auf die Spur.“

Und Robert Misik greift für Gegenblende die, wertfrei formuliert, Besonderheiten der deutschen Griechenland-Berichterstattung auf:

„Bei vielen Themen gibt es so etwas wie einen journalistischen Herdentrieb, der den medialen Mainstream stützt, aber selten rottet er so unhinterfragt jeden Pluralismus aus. Mainstream heißt dann einfach: 60 Prozent der Artikel haben einen Bias, 30 Prozent sind nüchtern und objektiv, und 10 Prozent geben der Gegenposition Raum. Aber dass das Einheitsdenken sich über geschätzte 90 Prozent aller Veröffentlichungen ausbreitet und der Durchschnittsleser praktisch mit der genormten Einheits-Meinung bombardiert wird, während man kritische Positionen lange suchen muss, das ist sehr außergewöhnlich.“ 

Eine besondere Erwähnung hat sich bei ihm Spiegel Online verdient:

„Hier ist, sieht man von den tapferen Kolumnisten Jakob Augstein und Georg Diez ab, in den vergangenen eineinhalb Monaten praktisch kein einziger Artikel erschienen, der nicht eine eindeutige antigriechische Schlagseite hat. Einer ganzen Gesellschaft wird regelrecht ein Tunnelblick eingehämmert. Das ist umso bemerkenswerter, da sich diese deutsche Publizistik überhaupt nicht im breiten Strom des internationalen Journalismus befindet (was die Sache zwar nicht schöner, aber erklärbarer machen würde). Deutsche Medien sind mit ihrer antigriechischen Attitüde ein Sonderfall.“

[+++] Mehr Berichterstattungskritik: Wolfgang Michal legt in seinem Blog dar, dass wir es bei den Swiss-Leaks-Recherchen, mit denen uns unter anderem die SZ beglückt hat, nicht mit großem Enthüllungsjournalismus zu tun haben, obwohl uns das so verkauft wird:

„Im Falle von #Swiss-Leaks wurde den Journalisten zum wiederholten Mal (wie schon bei #offshoreleaks und #luxleaks) ein Datenpaket ‚zugespielt‘, das von den staatlichen Finanzbehörden und den staatlichen Geheimdiensten bereits mehrere Jahre lang ausgewertet werden konnte. Die französische Zeitung Le Parisien erstmals über das Daten-Leck bei der HSBC-Bank berichtet (...) Der lange Weg des Enthüllungsprozesses vom Datenleck (2006) über den Zugriff der Geheimdienste und der Steuerbehörden bis zur Veröffentlichung in den Medien (2015) scheint sich als Muster der vielen Steuer-Leaks herauszukristallisieren, doch die investigativen Journalisten interessiert das bislang herzlich wenig. Die ellenlangen (und auffallend ähnlich ablaufenden) Vorgeschichten könnten den Wert der ‚brandaktuell‘ aufbereiteten Medien-‚Scoops‘ zu stark relativieren.“

Michal kritisiert auch noch, dass die SZ „den zwielichtigen Pokerspieler Hervé Falciani in einem Seite-3-Porträt zum Whistleblower der Snowden-Klasse aufgeblasen“ hat. Über Falciani werden wir bald vielleicht noch mehr erfahren, im zweiten Quartal 2015 läuft bei arte jedenfalls ein „abendfüllender Dokumentarfilm“ über ihn.

[+++] Da weiter oben heute schon mal die Rede war von „journalistischem Herdentrieb“. Weitgehend einig waren sich bisher jene Kollegen, die sich zu den Umständen von Fritz J. Raddatz‘ assistiertem Suizid geäußert haben. Unter Rückgriff auf die Ein-Mann-muss-tun-was-ein-Mann-tun-muss-Folklore wurde die Tat des Toten beinahe heroisiert: „Dass ihm das gelungen ist am Ende, dieser Abgang, selbstbestimmt und würdevoll, das ist, bei all der Traurigkeit, die die Nachricht seines Todes auslöst, schön und beinahe tröstend“ (FAZ); „was (...) durch den Freitod von Raddatz vor allem deutlich wird, ist, dass der assistierte Suizid Ausdruck bürgerlicher Reflexion sein kann“ (Welt); „er plante seinen Tod mit der Sorgfalt, die er auch für die Wahl seiner Hemden und Krawatten aufwendete“ (Georg Diez im noch aktuellen Spiegel). 

Zweifel an diesen gängigen Interpretationen formuliert nun Jasmin Buhl von der Rheinischen Post, und sie tut es in einem Interview mit Ludwig A. Minelli, dem Gründer des von vielen Raddatz-Nachrufern offenbar geschätzten Sterbehilfe-Vereins Dignitas. Verdienstvoll ist Buhls Interview vor allem, weil sie Minelli diese Aussage entlockt:

„Deutschland gleicht in der Frage des selbstbestimmten Sterbens heute noch der DDR: Die Bundesrepublik errichtet eine Mauer um ihre Bürger und versucht ihnen zu erschweren, ihr Leben dann zu beenden, wenn sie selbst es für richtig halten. Diese armen Menschen müssen dann in die Schweiz fliehen, wie früher die DDR-Bürger über die Mauer."

Wenn man diesen Vergleich ernst nimmt (RP: „Meinen Sie das ernst?“- Minelli: „Ja, leider“), würde man natürlich gern wissen, wie viele Sterbehilfesuchenden die Schweiz gar nicht erreichten, weil die bundesrepublikanischen Mauerschützen ihnen schon vorher das Sterben ermöglichten. Aber mal etwas weniger unernst: Man darf vielleicht hoffen, dass die lieben Kollegen ihre Preisungen der Schweizer Verhältnisse noch einmal überdenken, wenn sie lesen, was dieser Ex-Kollege - bevor er sich im Sterbeassistenz-Business einen Namen machte, war er unter anderem Spiegel-Korrespondent in der Schweiz - so von sich gibt.

Nichts mit der Berichterstattung über Raddatz zu tun hat ein Interview, das die taz Bremen mit „Stefanie Averbeck-Lietz, Professorin für Kommunikationswissenschaft, über einen ethisch vertretbaren medialen Umgang mit Selbsttötungen“ führte. Der Anlass ist vielmehr die regionale Berichterstattung über den Suizid eines Bremer Beamten. Den Hartgesottenen unter unseren Lesern empfehlen wir diesen Kommentar des Weserkurier-Chefredakteurs, insbesondere den letzten Satz. Achtung, nicht auf nüchternen Magen lesen!


Altpapierkorb

+++ Aus sich für mich nicht aufdrängenden Gründen gerade in der Diskussion, etwa bei Welt und FAZ: Sollten Journalisten bzw. vor allem Journalistinnen in der ersten Person schreiben, und ist, falls ja, „Ich“ besser als „Wir“? Was dazu gesagt werden muss, sagt Margarete Stokowski im taz-Buchmessenblog: „Ich denke, Leute, die etwas zu sagen haben und gut schreiben können, können in ‚Ich‘- und ‚Wir‘- und ‚Ihr‘-Form schreiben, wie sie Bock haben, und alle anderen kriegen es auch in anderen Formen nicht hin. ‚Ich‘ zu schreiben ist ein Trend, weil es billig ist im Sinne von ressourcensparsam (so billig wie mein Blog hier), aber das wird sich auch wieder geben. Wartet nur, bis das Feuilleton die Emojis entdeckt.“

+++ Jetzt auch auf der FAZ-Medienseite, und zwar als Aufmacher: Tilo Jungs Frauentags-Posting und die Folgen für ihn und seine krautigen Kameraden (siehe beispielsweise dieses Altpapier, aber auch alle weiteren in dieser Woche). Dass wir als Nischenkolumne uns mit solchen Nischenvögeln befassen, liegt ja nicht fern. Aber Aufmacher auf der Medienseite der Eff-Ah-Zett? Hallo? Sonst nix los? Nachtrag (12.49 Uhr): Der Text von Don Alphonso, der in diesem Fall allerdings unter seinem bürgerlichen Namen agiert, steht jetzt frei online.

+++ Kleiner auf der FAZ-Medienseite: Michael Hanfeld berichtet, dass das Oberverwaltungsgericht Münster den Rundfunkbeitrag für verfassungsgemäß erklärt hat. Die drei dort gescheiterten Kläger können aber zum Bundesverwaltungsgericht weiterziehen. Hier die Pressemitteilung zu den drei Urteilen.

+++ Verloren in der zweiten Instanz, und zwar vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof, hat dagegen ein Reporter der Bild-Zeitung. „Kein Einsichtsrecht in Akten der BaFin zu Hypo Real Estate Bank AG“, lautet die Überschrift zu einer entsprechenden Meldung bei juris.de. Hintergründe zu der Sache gibt es in einem älteren taz-Artikel (von mir).

+++ Aus der Rubrik Personalien: Neuer Chefredakteur bei Correctiv wird der vom Spiegel kommende Markus Grill. Der bisherige Amtsinhaber David Schraven hat künftig „Publisher“ auf seiner Visitenkarte stehen (Newsroom).

+++ „Ich beobachte im lokalen Bereich einen massiven Verfall. Gemeinnütziger Journalismus ist vor allem dort notwendig, wo sich Journalismus nicht mehr traditionell finanzieren kann“, hat eben jener Schraven gerade auf einer Veranstaltung gesagt, bei der darüber debattiert wurde, „wie Gemeinnützigkeit Journalismus retten soll“ (kress.de).

+++ Zustimmung findet der Noch-Correctiv-Chefredakteur bei Simon Schaffhöfer (Freitag-Medientagebuch, noch nicht frei online): „Gemeinütziger Journalismus, wie Schraven fordert, hätte Vorteile: Rein formell würde dem Journalismus ein höherer Zweck attestiert. Und aus ökonomischer Sicht befreien sich Autoren und Leser teilweise vom Anzeigenwahn. Leser könnten steuerfrei für ihre Lieblingsseite spenden. Im Gegenzug würden die  Autoren den spendenden Leser ernst nehmen und Geld haben, um großen Geschichten nachzugehen.“

+++ Falls es bald gemeinnnützige Medienangebote geben sollte: stern.de wird wohl nicht dazu gehören. Andererseits: Spenden könnten die Jungs und Mädels aus dem Armenhaus Gruner + Jahr gut gebrauchen. „Leider haben wir für unser Online-Portal kein Budget dafür, würden aber selbstverständlich ihren (sic!) Namen nennen“ - diese Anfrage schickte eine stern.de-Bildredakteurin gerade dem Fotografen Marco Stepniak, der diese auf Facebook publik machte.

+++ Was TTIP für Folgen haben könnte für die Medien, weiß die grüne Medienfachfrau Tabea Rößner. In einem Leitartikel für die Medienkorrespondenz schreibt sie: „Eine zukünftige Regulierung der audiovisuellen Medien steht durch das geplante Freihandelsabkommen TTIP, das derzeit zwischen der EU und den USA verhandelt wird, auf der Kippe. Damit könnte der Politik der Handlungsspielraum für den Schutz und die kulturelle Vielfalt bei Rundfunk und Film genommen oder zumindest stark eingeschränkt werden (...) Zwar werden bestehende Subventionen im Kulturbereich aus US-amerikanischer Sicht als eher unproblematisch betrachtet, die klassischen Medientechnologien rücken aber immer mehr in den Hintergrund. Es geht um den großen Markt zukünftiger digitaler Medien, auf dem US-Industrien bereits heute extrem stark sind. Und der bereits jetzt offene europäische Markt ist nicht nur besonders lukrativ, sondern auch unverzichtbar. Daher ist es für die USA nur logisch, dass bei audiovisuellen Medien ein konsequenter Abbau von Handelshemmnissen ganz oben auf ihrer Agenda steht. 

+++ Über einen besonders absurden Fall Facebookscher Zensur berichtet Willi Winkler für die SZ-Medienseite: „Der 64-jährige New Yorker Kunstkritiker (Jerry Saltz) ist vergangene Woche von seinen Facebook-Verbindungen abgeschnitten worden, weil er Kunst verschickte (...) Seit einiger Zeit lädt Saltz Bilder aus dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit hoch, um, wie er in einem Interview erklärt hat, mit seinen Followern ins Gespräch zu kommen (...) Mit viel Liebe zum grausamen und ekelhaften Detail zeigt Saltz den Facebook-Nutzern auf seiner Seite, dass es im Mittelalter nicht immer nett zuging. Da wurde nach dem Vorbild der Märtyrerdarstellungen nach Herzenslust gefoltert, gevierteilt, gehäutet, geröstet (...) Und die Kunst? Die Kunst war eifrig dabei.“ 

+++ Seit Donnerstag am Kiosk: die erste 2015er Ausgabe des Vierteljahreszeitschrift Lettre. Die enthält u.a. ein auf rund sechs Texttseiten (DIN A 3!) sich erstreckendes Interview mit Evgeny Morozov, das im Original in der Januar/Februar-Ausgabe von The New Republic erschienen ist. Der anhaltende Ruf europäischer Politiker nach einem europäischem Google ist - wie auch die meisten anderen Vorschläge aus Brüssel oder Berlin - entweder unsinnig oder unausgegoren“, sagt Morozov hier unter anderem. Es reiche nicht, „einer Universität einige Dutzend Milliarden Dollar mit der Maßgabe (hinzuwerfen), sich einen besseren Suchalgorithmus einfallen zu lassen, der es mit Google aufnehmen kann. Google wird die beherrschende Suchmaschine bleiben, solange seine Herausforderer nicht dieselbe Menge an User-Daten kontrollieren. Bessere Algorithmen allein werden es da nicht tun.“  

+++ Seit gestern bei arte: die im Birmingham des Jahres 1919 angesiedelte Serie „Peaky Blinders“. Harald Keller (FR) findet sie zwar „packend“, sie animiert aber auch zu einer grundsätzlichen Kritik: "Das Elend, in dem viele der Kriegsversehrten, Arbeitslosen, schlecht bezahlten Arbeiter leben – und das folgerichtig den Nährboden für Verbrecherkarrieren und Prostitution bildet – wird hier geradezu malerisch in Szene gesetzt und damit realitätsfremd – der ästhetische Reiz mindert die tatsächliche Bedeutung. Ein Trend, der in der Serienproduktion jüngst häufiger zu beobachten war: Großspurige Inszenierungen treten in den Vordergrund, statt dem Inhalt zu dienen. Nichts gegen eine attraktive Fotografie, aber die viel gelobten 'kinogerechten' Bilder können auch zur Untugend werden."

+++ Heute bei arte: der 23. Film aus der Reihe „Unter Verdacht“, um „Migration, Altenpflege und Sozialbetrug“ (Tagesspiegel) geht‘s dieses Mal. „Wenn sich ein Film eines konkreten Missstands annimmt, spricht man gern von einem ‚Themenfilm‘. Dem Begriff haftet allerdings ein gewisses Stigma an, erst recht, wenn es sich um einen Krimi handelt: Hier liegt der Verdacht besonders nahe, dass ein sperriges Thema unterhaltsam verpackt worden ist, weil es als Drama womöglich keine Zuschauer finden würde. Auch ‚Grauzone‘ (...) ist letztlich ein Themenfilm, aber das Drehbuch von Isabel Kleefeld und Oliver Pautsch ist ein Musterbeispiel dafür, wie man eine Geschichte erzählt, ohne den Krimirahmen wie eine Mogelpackung wirken zu lassen“ (Tilmann P. Gangloff/tittelbach.tv„Trotz der etwas komplizierten Konstruktion wirkt der Film von Regisseur Andreas Herzog nicht überfrachtet“, meint Thomas Gehringer (im schon erwähnten Tagesspiegel-Text). Einwände? Tobias Krone (taz) hat einen: „Was bei diesem Krimi zweifellos vernachlässigt wird, ist der soziale Hintergrund des Falls, der bisher im Unterhaltungsfernsehen kaum beachtet wird: Altern in einem migrantischen Milieu böte einen fruchtbaren Stoff für ein echtes Sozialdrama.“

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.