Watergate wär nicht mehr, was es war

Watergate wär nicht mehr, was es war

Große Interviews mit Glenn Greenwald. Wie Die Zeit Leserdaten verkauft und Axel Springer beim Nutella-Verkauf behilflich ist. Und darf man Mathias Döpfner eigentlich duzen? Außerdem: eine deutsche Konsequenz der Kooperation der Deutschen Welle mit Chinas Staatsmedien.

Wenn ein gedrucktes Interview damit beginnt, dass der Interviewte erst mal:

"(lacht) Stimmt."

sagt, mag so viel freundliches Einverständnis nicht auf Anhieb zum Lesen einladen. Das Interview, das Ursula Scheer fürs FAZ-Feuilleton mit Glenn Greenwald, der zur Entgegennahme des Geschwister-Scholl-Preises in Deutschland weilte, geführt hat, ist aber dennoch sehr lesenswert.

Erst mal vollziehen die beiden den "verrückten Spionagethriller", als der die Edward-Snowden-/ NSA-Enthüllungen begannen, noch einmal nach. "Und dann traf ich den Mann mit dem Zauberwürfel" lautet die Überschrift. Dieser Zauberwürfel war bekanntlich das Erkennungszeichen für den Reporter, das der damals noch unbekannte Whistleblower in der Hand hielt. Aber die Exposition des verrückten Thrillers ist straff abgearbeitet, dann geht es auf die Metaebene. Scheer fragt:

"Die Snowden-Enthüllungen sind der Watergate-Skandal unserer Tage. Warum hat er keine Regierung gestürzt?"

Greenwald:

"Weil selbst Watergate heute keine Regierung mehr stürzen würde. Weil die Mächtigen immun geworden sind. Die Regierung hat Menschen foltern lassen, die Tycoone der Wall Street haben die Weltwirtschaft in den Abgrund getrieben, zur Verantwortung gezogen wurde niemand."

Das ist an prominenter Stelle selten so formuliert worden. Das müsste man erst mal sacken lassen. Aber das Interview geht noch weiter. Greenwald zeigt sich dann, dennoch, optimistisch. "Die Daten ihrer Nutzer vor staatlicher Überwachung zu schützen ist zu einer Frage des Wettbewerbs geworden", daher unternähmen "Google, Facebook und Apple jetzt viel, um zu zeigen, dass sie nicht mit der NSA kooperieren. Sie bauen Verschlüsselungen in ihre Geräte ein, die sie nicht einmal für die NSA öffnen könnten, wenn sie wollten", lautet eines seiner Argumente.

Worauf Scheer nach "den europäischen Plänen, Google aufzuspalten", fragt und Greenwald sibyllinisch antwortet:

"Google ist in der Tat ein gefährliches Unternehmen. Die an einem Ort versammelte Macht ist erschreckend. Denken Sie nur an die Software zur Gesichtserkennung und die Versuche, Computernetzwerke so zu konstruieren, dass sie wie Neuronen arbeiten. Das Problem ist, dass die europäischen Regierungen solche Ankündigungen lieben. Das klingt prima, aber es folgt nichts daraus. Europa wird Google nicht kriegen."

Das klingt, als wäre der Datenkrake sozusagen das, was der Joker bei "Batman" ist oder Professor Moriarty in mehreren Sherlock-Holmes-Geschichten war: der Superschurke, der stets entkommt. Und tatsächlich ist die Verlässlichkeit, mit der am Ende die Täter überführt und gefangen werden, ja das Alleinstellungsmerkmal, das deutsche Krimis so vorhersehbar langweilig macht.

####LINKS#### Andererseits könnte die Lässigkeit, mit der Greenwald datensammelnde kalifornische Konzerne betrachtet ("Unternehmen wollen Geld verdienen. Regierungen wollen die Bevölkerung kontrollieren. Das ist viel gefährlicher") natürlich damit zusammenhängen, dass sein Portal The Intercept vom Ebay-Gründer Pierre Omidyar finanziert wird. Die FAZ lässt dann auch den großen Erzählstrang mit der "Europa wird Google nicht kriegen"-Prophezeiung ausklingen und fragt dann noch nach Greenwalds "Verhältnis zur Presse". Dazu sagt er auch allerhand Interessantes. Etwa: "Früher zählte die Marke einer Publikation. ... Heute zählen die Individuen, die einzelnen Journalisten - sie sind die Marke", was deutsche Journalisten-Marken und vor allem die vielen, die auch welche werden wollen, ja immer gerne betonen. Und wie es sich auch für den verrücktesten Spionagethriller gehört, schließt Greenwald, indem er noch mal betont, wie "sehr optimistisch" er ist.

 

Anregendes Drama enthält das FAZ-Interview also. Sie sollten es vollständig lesen. Es steht auf der ersten Feuilletonseite, allerdings dürfte nicht sehr viel Pokern dazu gehören, abzuwarten, bis es frei online erscheint ... Falls Sie solange ein anderes deutsches Greenwald-Interview lesen wollen: Der Münchener Merkur hat seines bereits ins freie Netz gestellt. Dort ist die in der FAZ auch enthaltene News, dass Greenwald "einen Datenraum in New York" einrichten will, "wo wir die [Snowden-]Dokumente anderen Journalisten zugänglich machen", ebenfalls vor. Insgesamt hat Interviewer Philipp Vetter sein Gespräch ganz anders, weniger universal-universell angelegt. U.a. sagt Greenwald, dass

"... Edward Snowden persönliche Risiken auf sich genommen hat, um die Rechte der Deutschen zu schützen. Wenn die deutsche Regierung es dann ablehnt, irgendein Risiko einzugehen, um Snowdens Rechte zu schützen, ist das unmoralisch und widerlich. Die Angst, die USA zu verärgern, war größer als das Bestreben, die Überwachung der eigenen Bürger aufzuklären"

[+++] Ins unmittelbare Inland, wo die kleinen Dramen sich weiter drehen. Womöglich ist Wolfgang Büchner doch nicht mehr der Joker/ Moriarty, der immer noch mal davonkommt. Zumindest meldeten am frühen Morgen die über-drehten Frontberichterstatter von turi2.de (die "3" ist schon wieder verschwunden ...) noch mal oder schon wieder den Abschied Büchners "Ende dieser oder Anfang nächster Woche". Was zumindest neu ist: der Name seines Nachfolgers und dass auch Geschäftsführer Ove Saffe gehen soll.

[+++] "Daten sind der neue Goldstandard - wenn man sie zu interpretieren weiß", postulierte kürzlich einer der vielen "Trendartikel", die der Strategy Consultant Klaus Goldhammer zurzeit bei kress.de raushaut. Wie deutsche Verlage das interpretieren, schildern zwei interessante Artikel.

Für krautreporter.de haben Theresia Enzensberger und Hannes Grassegger Blicke in den auch online durchblätterbaren Katalog der Arvato-, also Bertelsmann-Firma AZ Direct geschaut, die "die Namen und Adressen, kurz: persönliche Daten" von Kunden und Abonnenten sehr vieler Angebote, darunter Medien, zum Kauf anbietet. Zwischen "Die moderne Hausfrau" und "Dinner for dogs" taucht ein Angebot auf, das besonders mit Qualitätsjournalismus verknüpft ist: die Wochenzeitung Die Zeit.

"Während die Redaktion der 'Zeit' seit Jahren engagiert gegen den Datendiebstahl durch Geheimdienste anschreibt und über die Gefahren des Missbrauchs persönlicher Daten aufklärt, bietet der Verlag des Blattes seine eigenen Kundendaten auf dem freien Markt an. 374.900 Leser der 'Zeit' hat AZ Direct auf Lager, Mindestabnahmemenge 10.000",

schreiben Enzensberger/ Grassegger. Zeit-Geschäftsführer Rainer Esser zeigte sich "überrascht über diese Angaben. Daten aktueller Abonnenten würden auf keinen Fall herausgegeben, sagt er". Der Zeitungsverlegerverband BDZV gab offenbar zu, dass einzelne seiner Mitglieder Daten ihrer Abonnenten über Dienstleister zum Verkauf anbieten. Und dass auf diesem Markt eine wachsende Zahl von Zwischenhändlern unterwegs ist, arbeitet der Artikel auch heraus. Er basiert auf einer "Studie des österreichischen Netzforschers Wolfie Christl".

Und wenn wir digital in Österreich sind, lohnt ein Blick zum Standard, wo ein "Userartikel" Einblicke in die Welt des Was-mit-Medien-Konzerns Axel Springer gibt:

"Die tatsächlichen Umsätze aus den überwiegend von Lesern refinanzierten Bezahlangeboten, also etwa der 'Welt' und der 'Bild'-Zeitung, Print wie Online, liegen im laufenden Geschäftsjahr liegen [sic] bei nur noch 51,8 Prozent. Schon bald könnte die Umsatzhälfte von den Segmenten Vermarktungsangebote, Rubrikenangebote und Sonstiges überschritten werden. ''Bild' ist natürlich immer noch eine Cashcow und hochprofitabel', erklärt Marketingfrau Müller. Doch zeichnen Springer-Seiten heute immer öfter dafür verantwortlich, Nutzern zu zeigen, wo man in der Nähe günstig Nutella bekommt, bei welchem Puls man laufen sollte, oder wo in der Nachbarschaft demnächst eine Wohnung frei wird",

berichten Marc Eder und Lukas Maria Matzinger. Die erwähnte Marketingfrau heißt mit Vornamen Christina und verkündet am Anfang eine weitere harte News:

"'Axel Springer Ideas', noch vor zwei Jahren eines der Leitprojekte des Konzerns auf dem Weg zum 'führenden digitalen Verlag', wurde Mitte November eingestellt. Das hat die Leiterin des Hochschulmarketings bei Axel Springer selbst erst vor wenigen Tagen erfahren. 'Ich gehe einfach davon aus, dass sie innerhalb der zwei Jahre, in denen Ideas bestanden hat, gemerkt haben, dass es nicht so profitabel ist, wie es sein sollte', sagt sie bei ihrer Unternehmenspräsentation vor Studenten der FH Joanneum im zweiten Stock der Konzernzentrale in Berlin."

Im Netz sind diese axelspringerideas.de zurzeit noch klickbar. Auch diesen Artikel, der des weiteren einen hübschen Springer-seitigen Vergleich von Internetinhalten mit Gänseblümchen sowie Antwort auf die Frage, ob man als junger Kreativer Mathias Döpfner duzen darf, enthält, lohnt es zu lesen.

[+++] Die SZ-Medienseite hat heute exklusiv, warum das Kuratorium der Reporter ohne Grenzen nur noch 14-köpfig ist. Es hat nichts mit dem schon erwähnten Wolfgang Büchner zu tun, der in der alphabetisch geordneten Reihung in der ersten Reihe tapfer lächelt. Wie Peter-Matthias Gaede gleich daneben zeigt, der ja schon länger nicht mehr Geo-Chefredakteur ist, ist diese Webseite auch gar nicht extrem aktuell. Aber: Peter Limbourg ist raus.

Es handele sich um einen "freiwilligen Rauswurf", berichtet Christoph Giesen in der SZ, und habe damit zu tun, wie eng die von Limbourg geleitete Deutsche Welle mit Staatsmedien Chinas, das auf der ROG-Rangleiste der Pressefreiheit (PDF) die sechste Position von unten einnimmt, zusammenarbeitet:

"Im August kündigte die DW der Autorin Su Yutong, die redaktionsinternen Streit öffentlich gemacht hatte. Und im September dann gab Limbourg nach einer China-Reise bekannt, künftig mit dem chinesischen Staatsfernsehen CCTV kooperieren zu wollen. Just jenem Sender also, der im Mai die langjährige DW-Mitarbeiterin Gao Yu in einer Art Fernsehtribunal vorgeführt hatte. Gao Yu sitzt seit dem Frühjahr in einem chinesischen Gefängnis wegen 'Verrats von Staatsgeheimnissen'".

Hintergründe stehen im zweiten Absatz dieses Altpapierkorbs.
 


Altpapierkorb

+++ "In einem Berliner Restaurant, vor ihm eine riesige Pizza Margherita", porträtiert der Tagesspiegel Abu Emad, dessen wahrer Name anders lautet und der dem weltweiten Millionenpublikum von CNN bekannt sein könnte. Dort wurde er per Skype "mehrmals live ins Studio geschaltet", jetzt konnte er dank eines Journalistenstipendiums nach Berlin kommen und erzählt von seinen Erfahrungen. Ein lesenswerter Artikel mit offenem Ende. +++

+++ "Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist, mit Oliver Fuchs einen ausgewiesenen Produzenten für dieses Genre für die Bavaria zu gewinnen", teilt Dr. Christian Franckenstein, Vorsitzender der Geschäftsführung der Bavaria Film GmbH, per Pressemitteilung mit. Wo wurde Fuchs ausgewiesen? Beim ZDF sozusagen, dessen Unterhaltungschef er bis zur legendären "Deutschlands Beste!"-Panne war, auf die er eine Art weiterer freiwilliger Rauswurf folgte. Nun wird Fuchs Geschäftsführer der Bavaria Entertainment, zu der die bisherige (ebenfalls von der Bavaria, also von ARD-Anstalten) besessene Firma First Entertainment umbenannt wird. +++

+++ Bei einer Podiumsdiskussion über Auswirkungen des streng geheimen USA-/EU-Freihandelsabkommens auf Kultur und Medien traten Tabea Rößner und Claudius Seidl auf gegnerischen Seiten auf (evangelisch.de). +++

+++ Heute um 20.15 Uhr im Fernsehen: "Götz von Berlichingen" in der RTL-UFA-Version. Alle Rezensenten warteten beim Angucken auf das Arsch-Zitat, als wären wir noch in den 1970ern. Was meinen sie sonst? "Ein Kunstblut- und Busenspektakel", das aussieht "wie eine Mischung aus 'Mad Max' und 'Die Wanderhure'" (Markus Ehrenberg, Tagesspiegel). +++ Und wie "Game of Thrones" (Christian Buß, SPON), der auf "Bäder von Schlamm, Blut und Urin" gespannt macht. +++ "Die blanken Brüste und das spritzende Blut" gleich am Anfang "sind der richtige Vorgeschmack auf die folgenden gut hundert Minuten" (Tilmann P. Gangloff), "viel zu kurz kommt dagegen die Ironie". +++ "Überaufgebot an Grausamkeiten, das fast immer gleiche Dauertempo und viel zu viel klischeehaftem Sex am Wegrand" bemängelt Gustav Seibt auf der SZ-Medienseite, es sei eine "Rosskomödie mit viel Blut, Sex, Fluch und Gift". +++

+++ Den Sozial-, also Massenentlassungsplan des Darmstädter Echos (Altpapier) skizziert die TAZ. +++

+++ Etwa 50 Tugce-Überschriften Springers Bild-Medien muss man bei bildblog.de hinunterscrollen, um zum Bericht darüber zu kommen, wie "die 'Bild'-Geier auch noch, Geld ... verdienen" wollten mit dem Überwachungskamera-Video, dessen Online-Präsentation wegen jetzt die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen habe. +++

+++ Thema der FAZ-Medienseite: Interessenkonflikte im Silicon Valles wegen "Beziehungsgeflechten" zwischen Investoren bei Medien einerseits, bei Unternehmen wie Uber, über die diese Medien berichten, andererseits. Der Text bezieht sich auf forbes.com. +++

+++ Große Tommy-Buhrow-Ansprache heute in der neuen Zeit (TAZ, Vorabmeldung): "Man solle zusammenhalten, 'um die kulturell wertvolle Zeitungslandschaft und das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem zu erhalten', appelliert Buhrow in Richtung der Zeitungsverleger." +++

+++ Für faz.net hat Stefan Niggemeier RTLs Dieter-Bohlen-Sondersendung geguckt. +++

+++ Die Handball-WM (Altpapier gestern) könnte von sportdeutschland.tv, dem "Internetfernsehen des Deutschen Olympischen Sportbundes", übertragen werden (horizont.net). Und das ZDF weist darauf hin, dass es die Rechte für die Katarer Fußball-WM schon gekauft hat, 2022 also Vergleichbares nicht passieren könne (TAZ). +++

+++ Der ehemalige Sportmoderator und NDR-Sportchef Fritz Klein ist gestorben (Tsp.). +++

+++ Und "eine echte Überraschung. Und das im positivsten Sinne", verspricht meedia.des Alexander Becker beim Aufblättern einer neuen Burda-Zeitschrift! +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

 

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