Das Geheimnis liegt im Offensichtlichen

Das Geheimnis liegt im Offensichtlichen

Eine schlecht ausgewählte Illustration und eine bestenfalls missglückte Bildunterschrift - mehr Zutaten braucht es nicht für einen kleinen Feuilletonskandal. Außerdem: Größere Rechercheteams bedeuten nicht die Rettung der Medienbranche; der Spiegel schrieb möglicherweise bereits 1989 alles Wesentliche, was man über die NSA wissen muss; Artikel, in denen die Klamotten von Politikerinnen beschrieben werden, sind nicht zwangsläufig sexistisch.

Ist die Süddeutsche Zeitung am Montag „so weit gegangen“ wie „bis jetzt noch keine bürgerliche Zeitung in Deutschland“? Hat sie mit der optischen Aufmachung der Seite Das Politische Buch dort angeknüpft, wo die antisemitische Wochenzeitung Der Stürmer „1945 aufhören musste“? Oder hat sie, eine Nummer kleiner, einen Kontext geschaffen, der die Einschätzung „fast schon Stürmer-Niveau“ rechtfertigt?

Die ersten beiden Zitate stammen aus der Welt (von Henryk M. Broder), das dritte von Dieter Graumann, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Zu finden ist es im Online-Auftritt in der Jüdischen Allgemeinen, die von jener Organisation herausgegeben wird, der Graumann vorsteht.

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Worum geht es hier genau? Wohlgemerkt nicht oder nur am Rande um die Doppelrezension, die am Montag unter dem Titel „Der Niedergang des liberalen Zionismus“ erschienen ist: Heiko Flottau bespricht hier Peter Beinarts auch schon anderswo (hier und hier) rezensiertes „Die amerikanischen Juden und Israel. Was falsch läuft“ und das vom früheren ARD-Mann Werner Sonne verfasste Buch „Staatsraison? Wie Deutschland für Israels Sicherheit haftet“. Für eine geeignete Bebilderung hielt die SZ-Redaktion eine im Archiv gefundene Zeichnung Ernst Kahls, die vor einigen Jahren in der Zeitschrift Feinschmecker erschienen war. Dieses Bild ist aber auch nicht das Problem. Sondern? Das beschreibt Michael Wuliger in dem bereits zitierten Jüdische-Allgemeine-Artikel treffend:

„Ohne Ernst Kahls Illustration wäre an dem Text von Heiko Flottau nichts auszusetzen. Und ohne dessen Text wäre Kahls Bild harmlos. Erst in der Kombination von beiden plus der Bildunterschrift entsteht der bewusst bösartige Effekt, der an schlimmste, in Konsequenz mörderische antijüdische Hetze erinnert.“

Die aus drei Sätzen bestehende Bildunterschrift - „Deutschland serviert. Seit Jahrzehnten wird Israel, teils umsonst, mit Waffen versorgt. Israels Feinde halten das Land für einen gefräßigen Moloch“ - steht recht gut sichtbar hier.

Wuliger hat auch mit Künstler Kahl telefoniert, der „entsetzt“ darüber ist, in welchen Kontext die SZ seine Karikatur gebracht hat. Während Wuliger betont, Flottaus Rezension sei „sachlich“, lässt es sich Alex Feuerherdt (Lizas Welt) im ausführlichsten Text zur Causa nicht nehmen, auch noch die Besprechung des früheren SZ-Korrespondenten zu zerpflücken. Dabei fällt immerhin die nicht unoriginelle Formulierung ab, der Antisemitismus sei das „Arschgeweih des Feuilletons“.

Franziska Augstein, die fürs Politische Buch in der SZ verantwortliche Redakteurin, beschäftigt sich bei süddeutsche.de mit der Kritik - die auch von „manchen“ Teilnehmern der gestrigen „Großen Konferenz“ im Hause geäußert worden sei. In der Überschrift stellt sie aber die falsche Frage:

„Ist ein gehörntes Monster antisemitisch?“

Das hat kein Kritiker behauptet. Auf das, siehe Wuliger, Zusammenspiel kommt es an. Immerhin schreibt Augstein:

„Nachdem das Bild aber zu Missverständnissen geführt hat, wäre es besser gewesen, ein anderes zu wählen. Denn es soll ja über den Artikel diskutiert werden, nicht über die Bebilderung.“

Nachtrag (12.11 Uhr): Mittlerweile gibt es auch eine offizielle Stellungnahme der Redaktion, die im Tonfall deutlicher ist:

„Die Veröffentlichung der Zeichnung in diesem Kontext war ein Fehler.“ 

[+++] Einen Starstatus innerhalb des medienjournalistischen Milieus hat sich mittlerweile Constantin Seibt, Redakteur des Zürchers Tages-Anzeigers, erarbeitet. Gelungen ist ihm das mit seinem - auch in diesem Theater - oft zitierten Deadline-Blog über „Journalismus im 21. Jahrhundert“. In der aktuellen Ausgabe des Monatsmagazins journalist schreibt er über „das neue Schreiben“ - genau gesagt: Er stellt Forderungen auf, wie dieses neuen Schreiben aussehen muss, wenn das Schreiben eine Zukunft haben soll.

Wie so oft, wenn es um die Zukunft des Journalismus geht, kommt dabei teilweise Kalenderspruchtaugliches heraus. Zum Beispiel diese These, die Seibt-Fans möglicherweise aus dieser Deadline-Kolumne kennen.

„Journalisten haben heute den Job, Historiker der Gegenwart zu sein.“

Oder diese Passage:

„Die meisten Journalisten kommen von der Information, nicht vom Schreiben her (...) Doch der Stil ist die Hälfte der Botschaft. Hier lohnt es sich, zu investieren.“

Seibt wäre aber nicht Seibt, wenn nicht auch noch etwas drin stünde, wo es sich zu diskutieren lohnte. Die thesigste, die meinungsfreudigste These lautet so:

„Zurzeit wird überall in Rechercheteams investiert. So ehrenhaft das ist, retten wird das ein Medium nicht (...) (D)ie meisten Enthüllungen (sind) nicht wirklich aufregend (...)“

Man kann jetzt darüber spekulieren, ob er bei dieser diese Einschätzung an die Offshore-Leaks gedacht hat oder an die Snowden-Enthüllungen oder vielleicht etwas ganz anderes. Wie auch immer:

„In der Datenflutwelt des 21. Jahrhunderts liegt das Geheimnis weit häufiger im Offensichtlichen. Die allen ersichtlichen Themen systematisch auf die Reihe zu bringen – Finanzkrise, Eurokrise, Digitalisierung, der Verlust der Sicherheit in der Mittelklasse – ist die oft spektakulärere Aufgabe. Frank Schirrmacher (auch wenn ich seine Thesen nicht immer teile) macht hier in der Frankfurter Allgemeinen einen cleveren Job.“

Wie könnte die Rettung demnach aussehen? Wir brauchen mehr Schirrmachers, aber solche mit besseren Thesen. Transparenz am Rande: Für den Blog, den er nebenbei schreibt, bekomme er 1.800 Franken monatlich, erzählt Seibt. Was bei der im November erscheinenden Kolumnensammlung rüberkommt, wird er uns wohl beizeiten noch mitteilen.

[+++] In Hamburg pressekonferierte am Dienstag das ZDF anlässlich des bevorstehenden 50-jährigen Jubiläums der Aktuellen Sportstudios, und das Stichwort Journalismus fiel - in zahlreichen Variationen - auch dort erstaunlich oft:

„Das ,Sportstudio' informiert, unterhält und polarisiert, es behandelt seine Gäste mit Respekt und muss weiterhin journalistische Werte und Qualität bewahren",

sagte etwa ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz laut Hamburger Abendblatt. Von ihm waren bei der Veranstaltung mehrere Mantren dieser Art, die für öffentlich-rechtliche Manager so typisch sind, zu vernehmen, aber man kann Gruschwitz - vielleicht - zugute halten, dass er den Eindruck erweckte, er glaube selbst eigentlich gar nicht das, was er sagt. Das gilt auch für eine Passage, die in einem unter anderem vom Tagesspiegel und Der Westen verwendeten dpa-Text auf zu finden ist. Es geht darum, dass die Sendung seit drei Jahren nicht mehr um 22 Uhr, sondern um 23 Uhr beginnt:

„Als Sportstudio muss man sich auch einem Sender und seiner Sendestruktur stellen. Der zweite Samstagskrimi erreicht vier bis fünf Millionen Zuschauer. Das würde man mit dem ’Sportstudio’ nicht erreichen.“

Im Abendblatt werden immerhin die Positionen zu den strukturellen Problemen des Sportjournalismus angerissen, die Moderator Michael Steinbrecher im Zusammenhang mit seinem angekündigten Sportstudio-Abschied formulierte (siehe Altpapier) - und die er auf der PK anlässlich des Jubiläums wiederholte. Er warne unter anderem davor, dass „Fußballclubs (...) mit vereinseigenen Sendern versuchten, die Berichterstattung zu steuern“, fasst die Regionalzeitung zusammen. Und was sagt Dieter Gruschwitz zu diesem Thema?

„Der kritische Sportjournalismus ist nicht tot. Er wird heute nur anders ausgelebt.“

Ist was Wahres dran. Es würde nur kaum jemand auf die Idee kommen, in diesem Zusammenhang an das „Sportstudio“ zu denken.

Ausgelebt wird der kritische Sportjournalismus jedenfalls in Blogs wie Fokus Fußball oder Angedacht. Die Macher ärgern sich aktuell gerade darüber, dass mehrere Medien glaubten, aus einem nicht allzu tiefgründigen Interview zitieren zu müssen, das der FC Bayern mit einen neuen Angestellten geführt hat.

[+++] Ein großer viraler Hit am Dienstag war ein Gag mit ernstem Hintergrund. Statt eine neue Kolumne für Spiegel Online zu schreiben, hat Sascha Lobo eine 24 Jahre alte Titelgeschichte des Spiegel über „Amerikas Super-Geheimdienst NSA“ gekürzt:

„Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit hat irgendeine Macht der Erde Vergleichbares zustande gebracht - Lauschangriffe rund um die Erde. Was Präsidenten oder Minister in Kabinettssitzungen reden, was in Königshäusern oder auf Vorstandsetagen gesprochen wird, ob Generale saufen oder Botschafter fremdgehen […]: Die Vertraulichkeit des Wortes ist aufgehoben, die Privatsphäre verletzt. Der US-Geheimdienst hört überall und jeden ab […].“

Eine Spekulation, aber keine böse gemeinte: Angeregt wurde Lobo zu dieser Idee möglicherweise vor etwas mehr als zwei Wochen, als der Grünen-Politiker Christian Ströbele via Twitter auf eine Aktuelle Stunde im Bundestag hinwies, die der Spiegel 1989 mit der erwähnten, auch im Altpapier schon zitierten Titelgeschichte ausgelöst hatte. Oder Lobo hat Wolfgang Michal gelesen, der bei Carta, Bezug nehmend auf Ströbele, die Parallelen zwischen 1989 und 2013 beschrieben hat.

Wie die Reaktionen macher Journalisten auf Edward Snowden ausfallen, beschreibt derweil Christoph Bieber (Antrobius):

„Durch die Informationsweitergabe treibt Snowden eine Art Keil in die journalistischen Kreise, denn Journalisten haben lange Zeit ihre Quellen und deren persönliche Motive und Hintergründe vernachlässigt, um stärker auf die Substanz der Informationen einzugehen, die sie ihnen überlassen haben. Nun stehen die Quellen aber selbst viel mehr in der Öffentlichkeit, und damit muss sich der Rest von uns erst noch abfinden.“

[+++] Aufmacher der SZ-Medienseite ist heute eine Betrachtung Wolfgang Janischs zur Verantwortlichkeit von Suchmaschinen für personenbezogene Daten bzw. zum „Recht auf Vergessenwerden“. Konkreter Anlass des Artikels ist der Schlussantrag des finnischen Generalanwalts Niilo Jääsikinen zu einem spanischen Fall:

„(Er) enthält (...) auch eine gute Nachricht. Nationale Bestimmungen sind anwendbar, wenn Google eine Niederlassung im Land unterhält - die Ausrede, die Suchmaschine stehe in Kalifornien, ließ der Generalanwalt nicht gelten. Für Deutschland ist das deshalb interessant, weil der Bundesgerichtshof (BGH) vor wenigen Wochen so etwas wie ein kleines 'Recht auf Vergessenwerden' formuliert hat. Dabei ging es um die Autocomplete-Funktion der Suchmaschine. Ein Unternehmer, hinter dessen Namen im Google-Suchfeld automatisch die Begriffe 'Scientology' und 'Betrug' erschienen, hatte gegen Google geklagt - mit Erfolg: Laut BGH muss das Unternehmen die automatischen Vorschläge auf Verlangen des Betroffenen löschen, wenn dadurch Persönlichkeitsrechte verletzt werden (...). Das Grundsatzurteil wird zum Beispiel für die in Hamburg anhängige Klage von Bettina Wulff ausschlaggebend sein (...)“


ALTPAPIERKORB

+++ „It's Not Sexist to Describe Women Politicians' Clothes“, lautet die mit Hinblick auf den hiesigen Bundestagswahlkampf interessante These, die Molly Ball (The Atlantic) vertritt. Ihre Begrüdung: „Journalists should be scrutinized for whether they’re covering women candidates fairly and seriously, but we shouldn’t be banned from noticing the carefully managed visual signals candidates of both sexes send.” In diesem Zusammenhang passt womöglich auch Seibts Formulierung vom Geheimnis im Offensichtlichen.

+++ Jeff Gibbs (Boston Review) kritisiert die (Nicht-)Berichterstattung türkischer Medien zu Protesten im eigenen Land: „This is the real ‚media filter‘—the one that says nothing’s happening, that it’s a non-crisis. Since the beginning of the protests, Turkey’s media has either not shown what was happening or broadcast small snippets with comments by government officials. The anger against the media was potent. When police first abandoned Taksim Square to the protesters weeks ago, the first target of rage was the news vans.“

+++ Joachim Huber lobt im Tagesspiegel den neuen SWR-Staatsvertrag als vergleichsweise „modern“, weil das Gesetz vorsieht, dass im Rundfunkrat des Senders „erstmals auch ein Vertreter der Muslime sitzen wird“.

+++ Die Tageswoche begründet, warum sie keine Lust hat, den Einstieg des sehr konservativen Politikers Christoph Blocher bei der Holding der Basler Zeitung zu kommentieren. Auf der SZ-Medienseite erläutert Wolfgang Koydl den Deal: „Damit findet ein Verwirrspiel ein Ende, das vor drei Jahren begonnen hatte. Damals kaufte der Tessiner Geschäftsmann Tito Tettamanti die Zeitung. Als er kurz darauf den Blocher-Biografen Markus Somm als Chefredakteur installierte und das Blatt auf SVP-Kurs ging, tauchten erstmals Gerüchte einer stillen Beteiligung Blochers auf.

+++ Warum ist der bertelsmännische Online-Kiosk Pubbles gescheitert? Jan Hauser äußert sich dazu im FAZ-Medienwirtschaftsblog und etwas kürzer auf Seite 31 der Printausgabe.

+++ Ebenfalls auf der FAZ-Medienseite: ein Interview mit Marvin Oppong, in dem es um seinen Sieg in Sachen Informationsfreiheitsgesetz geht, den er Ende Mai WDR vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen den WDR errungen hat (siehe Altpapier). Oppong sagt nun: „Leider warte ich immer noch, obwohl das Informationsfreiheitsgesetz vorsieht, dass man ‚unverzüglich‘, spätestens aber nach dreißig Tagen, Antwort erhalten soll. Ich warte jetzt seit sieben Jahren. Aber wenigstens hat mir der WDR gerade mitgeteilt, dass er gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts keine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen will.

+++ In Daniel Bouhs‘ Bericht über die Jahreskonferenz des Verlegerverband BDZV für die Berliner Zeitung geht es unter anderem um Bordexemplare, die bevorstehenden Tarifverhandlungen mit Redakteuren und die durch die Schlecker-Pleite hervorgerufenen Einnahme-Einbußen „im hohen zweistelligen Millionenbereich“.

+++ Die taz-Kriegsreporterin hat halbwegs Wunderliches erlebt, als sie „auf einer Veranstaltung der Hochschule der Medien Stuttgart“ neben der FDP-Politikerin Birgit Homburger saß.

+++ Fernsehen heute: Die taz empfhielt Johannes Nabers mit dem Max-Ophüls-Preis ausgeeichnetes Spielfilmdebüt „Der Albaner". Der Film erzähle „eindringlich und ohne Ästhetisierung“, wie hier zu Lande die Situation „für Arbeitsmigranten ohne Papiere“ ist.

+++ Fernsehen morgen: Die FAZ rät ab von der bei Sat 1 zu sehenden Serie „The Cop - Crime Scene Paris" („Trägt ihre amerikanischen Vorbilder vor sich her wie eine Monstranz“), und Bettina Böttinger erzählt in einem ausführlichen Interview mit dwdl.de unter anderem etwas ihre über ihre erstmals am Donnerstag laufende Presenter-Reportage „B.sucht“.

+++ Fernsehen am Samstag: Über neue Jugendformate, die erstmals am 6. Juli im Rahmen der Drittsendezeitvereinbarungen bei RTL laufen, informiert die Funkkorrespondenz in einem gerade online gestellten Beitrag.

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.

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