Ian Ross Pettigrew
Schulddebatte
Ich bin's nicht gewesen!
"Sorry" gehört gegenwärtig zu den Worten mit größtem Gebrauch und geringster Bedeutung. "Sorry" ist der Mundöffner für alle möglichen Unverschämtheiten, Anzüglichkeiten und Dummheiten, die auf der Zunge prickeln und herauswollen. Dabei schwingen im winzigen und weichen "sorry" sämtliche Nuancen von Schuldbewusstsein und Schmerz. "Sorry" ist der kleine Bruder vom zackigen "Tschuldigung". Im ihm ist gänzlich verloren gegangen, was der Bitte um Entschuldigung vorausgehen muss. Die protestantische Theologie nennt es die "contritio cordis", wörtlich: die Zerknirschung des Herzens. Wo "Tschuldigung" herausgebellt wird, knirscht innen gar nichts mehr.
Das Pendant zur großzügigen Selbstentschuldigung ist das unbefangene Austeilen von Beschuldigungen. Ob "die Linken selber schuld" seien, fragte jüngst die Wochenzeitung die "ZEIT" mit großem Aufmacher. Schuld woran? Aufgezählt werden Trump, AfD und Klimakatastrophe – also irgendwie das ganze Elend der Welt. "Sorry, aber geht’s noch", würde jeder brave Sozialdemokrat vermutlich sagen.