Als Flamencostars gefeiert, als Nachbarn unbeliebt

Als Flamencostars gefeiert, als Nachbarn unbeliebt
Viele Spanier sehen in den Zigeunern vor allem Alteisenhändler. Dabei hat die Wirklichkeit das Klischee längst überholt, und manch hoffnungsfrohes Projekt weckt Erwartungen auf ein besseres gesellschaftliches Miteinander. Einfach ist das Zusammenleben aber noch lange nicht.
28.04.2010
Von Hans-Günter Kellner

In Vallecas hat es funktioniert: Als Madrids größtes Slumviertel im Süden der Hauptsstadt einen ordentlichen Bebauungsplan erhielt, sind keine Ghettos entstanden. Miteinander statt nebeneinander leben hier "Gitanos" - wie sich Spaniens Roma stolz nennen – und "Payos" - also die, die keine "Gitanos" sind. Es ist kein Idyll ohne Konflikte, aber alle identifizieren sich mit ihrem Viertel, sind stolz darauf.

Hunderttausende Spanier strömten in den fünfziger und sechziger Jahren nach Madrid. Ohne jede Planung bauten sie sich erst Hütten und Verschläge, dann eingeschossige Häuser. Sie hatten keinen Anschluss an die Kanalisation und fließendes Wasser, und Strom bekamen sie erst in den siebziger Jahren. Gerade nach Vallecas zog es auch viele Gitanos.

Die Slums sind Vergangenheit

Vieles hier lässt sich auf die Situation der Gitanos in ganz Spanien übertragen. So ist ihre Flamenco-Kultur eine der exponiertesten und bekanntesten kulturellen Aushängeschilder des Landes. Angesichts der Berühmtheit von internationalen Stars wie den Gitarristen Paco de Lucía oder Tänzer Joaquín Cortés mag überraschen, dass die nach Schätzungen der „Stiftung Gitano-Sekretariat“ höchstens 700.000 spanischen Roma keine zwei Prozent der spanischen Gesamtbevölkerung ausmachen.

Der Flamenco hat auch Vallecas geprägt. In nur wenigen Stadtteilen Madrids werden Musik und Tanz noch so authentisch gelebt und gepflegt wie hier. Dabei machen sie auch hier nicht mehr als fünf Prozent der Bevölkerung aus. Aber sie waren einmal überdurchschnittlich stark von der Wohnungsknappheit betroffen. Noch 1991 lebten 18 Prozent der Gitanos in Slumvierteln, heute sind es nur noch knapp drei Prozent.

Trotzdem mag Vallecas einen nordeuropäischen Besucher auf den ersten Blick erschrecken. Das Viertel besteht zu einem großen Teil aus großen Häuserblocks aus rotem Klinker. Beim Gang durch die Häuserschluchten fühlt man sich leicht an die Architektur sozialer Brennpunkte in deutschen Großstädten erinnert. Doch das Viertel ist ungefährlich, Ergebnis langer Verhandlungen der Behörden mit den Bewohnern im einstigen Slum.

Lob von den Vereinten Nationen

Die Bürgerbeteiligung veranlasste 1996 sogar die Vereinten Nationen, das Projekt als vorbildliches Stadtentwicklungsprojekt auszuzeichnen. Nachbarschaftsvereinigungen und Gitanoverbände waren dabei von Anfang an beteiligt, entwarfen den Stadtteil, waren oft beim Abriss ihrer alten Hütten dabei, bevor sie in die neuen staatlich bezuschussten Eigentumswohnungen einzogen. Ohne Konflikte laufen solche Prozesse jedoch bis heute nicht ab.

So ist es ein weit verbreitetes Vorurteil in Spanien, dass Gitanos nur in Hütten, aber nicht in Wohnungen leben können. Es gibt weit verbreitete Geschichten wie die vom Esel, den ehemalige Slumbewohner angeblich in den Aufzug gestellt haben oder einem Lagerfeuer aus dem Parkettfußboden im Wohnzimmer. Mindestens ebenso verbreitet ist auch die Geschichte vom Diebstahl des Eigentums der Hausgemeinschaft.

Die Stiftung Secretario-Gitano, einer der wichtigsten Romaverbände in Spanien, definiert als eines ihrer größten Probleme der Stereotypisierung. Gitanos sind eine Nachricht, wenn es tatsächlich zu solchen Fällen kommt. Der normale Alltag ist es hingegen nicht.

Problemfeld Arbeit

Ähnlich ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Die Spanier sehen Gitanos immer noch als Alteisenhändler, während sich kaum jemand einen spanischen Roma als Rechtsanwalt oder Architekten vorstellen kann. In der Tat spiegelt der Arbeitsmarkt aber auch die echte Diskriminierung wieder. Dem Institut für soziologische Studien Edis zufolge sind sie stärker von der Arbeitslosigkeit betroffen als der Rest der Spanier und vor allem als Selbstständige tätig, sei es als "fliegende Händler" auf Märkten oder im An- und Verkauf von Antiquitäten.

Abhängige Beschäftigungsverhältnisse, also mit einem Arbeitsvertrag in einem Unternehmen, bleiben ihnen oftmals verwehrt. So sind in Spanien fast drei Viertel der arbeitenden Bevölkerung abhängig beschäftigt, aber weniger als die Hälfte der Gitanos. Die aktuelle Krise könnte die Situation der oft nur schlecht ausgebildeten Gitanos zudem noch verschlechtern, befürchten die spanischen Romaverbände.

Vorbehalte im Alltag

Dennoch ist das Fazit der Verbände über die Entwicklung der letzten Jahre positiv. Die soziale Situation der Gitanos habe sich enorm verbessert, meint Carolina Fernández von der Stiftung Secretariado-Gitano. Es gebe zahlreiche speziell auf Gitanos ausgerichtete Programme, in der Sozialarbeit, an Schulen, in der Berufsausbildung, in der ärztlichen Versorgung. Viele dieser Programme sind durch die Initiativen von Verbänden wie dem ihren entstanden. Die aktive Interessenvertretung der Gitanos in Spanien sei im europäischen Vergleich vielleicht ihre besondere Stärke, meint Fernández.

Sie werden weiterhin viel zu tun haben. Trotz der Fortschritte erklären noch heute 40 Prozent der Spanier, keinen Gitano zum Nachbarn haben zu wollen. Jeder vierte Spanier möchte auch keinen Gitano in der Klasse seines Kindes sehen.


Hans-Günter Kellner ist freier Journalist in Madrid und Korrespondent für epd und Deutschlandfunk.