Bankentribunal rechnet mit Krisenverursachern ab

Bankentribunal rechnet mit Krisenverursachern ab
Das Antiglobalisierungsbündnis Attac richtete bei einer Tagung über Ursachen und Folgen der Finanzkrise schwere Vorwürfe an Finanzwelt und Politik: Gesetzgeber und Bankenaufsichten förderten laut Attac aktiv den Wildwuchs der Finanzbranche, unterstützten mithilfe eines undemokratischen Gesetzes die in Not geratenen Banken mit Steuergeldern und machen jetzt weiter wie zuvor.
11.04.2010
Von Cornelius Wüllenkemper

Das Logo des "Bankentribunals", das Attac an diesem Wochenende in der Berliner Volksbühne organisierte, ist eindeutig: ein gesichtsloses Konterfei mit weißem Hemd, Anzug, Schlips und Räubermaske – so darf man sich die verbrecherischen Vertreter der Finanzwelt vorstellen, die Attac zur Rechenschaft ziehen will, denn "jemand muss es tun". Am Samstag Morgen wurde vor dem vollbesetzten Großen Saal des Ost-Berliner Traditionstheaters Anklage erhoben gegen die derzeitige Bundesregierung, die beiden letzten Regierungskoalitionen sowie den ihnen unterstellten Bankaufsichten. Aus den Reihen der Bankenwelt waren unter anderem der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, und der frühere Bundesbankpräsident und Erfinder der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Hans Tietmeyer, angeklagt.

Als Zeugen fungierten bei diesem als Strafprozess inszenierten Kolloquium Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Journalisten und direkt von der Krise Betroffene. Aber auch die Gegenseite hat Recht auf Gehör und ist durch Pflichtverteidiger vertreten. Die Angeklagten selbst, darunter auch Gerhard Schröder, Angela Merkel und Peer Steinbrück sind trotz persönlicher "Vorladung" freilich nicht erschienen – ein Schuldeingeständnis, wie der emeritierte Politikprofessor und Hauptankläger Elmar Altvater vermutete? Am richterlichen Grundsatz der Unschuldsvermutung durfte jedenfalls gezweifelt werden, "weil die Krise System hat", wie der Untertitel des Tribunals lautete.

"Persönliche Schuld"

"Neugierige, Wütende, Nachdenkende, Betroffene" sollten nicht nur über "Schuld und Verantwortung" befinden, sondern auch eine "ökonomische Alphabetisierung" erfahren, in dem man ihnen die "Angst vor den komplexen Regeln der Finanzwelt" nimmt. Auch thematisch holten die Organisatoren des Tribunals weit aus, sollte doch in der folgenden Diskussionen berücksichtigt werden, dass "Klimaerwärmung, Hunger und Finanzkrise nicht voneinander zu trennen sind." Elmar Altvater konzentrierte sich in seinem Anklageplädoyer auf den eigentlichen Verhandlungsgegenstand des Attac-Tribunals, der da hieß: "Sowohl die Größenordnung der Bankenrettungspakete als auch ihre Intransparenz und Demokratieferne sind in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel. Bisher hat weder eine angemessene öffentliche Aufarbeitung dieser Vorgänge noch eine ernsthafte Diskussion über grundlegende Veränderungen des Finanzsystems stattgefunden."

Um die Verantwortung der durchaus vorhersehbaren Finanzkrise diffus zu halten, so Altvater, werde stets von den "Märkten" gesprochen, in denen Krisen eben unvermeidlich seien. Dadurch solle vertuscht werden, dass es vor allem die neuen Finanzprodukte seien, "finanzielle Massenvernichtungswaffen", die das System ins Wanken brachten: Gerade die Freigabe des eigenen Haftungskapitals der Banken zur Spekulation und die geradezu betrügerische Überbewertung von Kreditverbriefungen durch Rating-Agenturen hätten das System maßlos überspannt. Dieselben Agenturen hätten zuletzt den griechischen Staat in seiner Kreditwürdigkeit abermals herabgestuft, so dass er seinen Geldgebern nun den doppelten Zinssatz zahlen müsse und sich nur noch weiter in die Schuldenspirale hineinbewege. Das Bankentribunal stehe vor der schwierigen Aufgabe, betrügerische Verwicklungen nachweisen zu müssen, die strengstens geheim gehalten werden. So sei die "persönliche Schuld" Josef Ackermanns an der Krise zwar eindeutig, aber faktisch kaum beweisbar.

"hoffnungsloser Wachstumswahn"

Derartige Schuldzuweisungen seien "plakativ und attraktiv", befand der zur Pflichtverteidigung der Angeklagten bestellte ehemalige Spiegel-Chefredakteur Wolfgang Kaden. Nicht einzelne Politiker und Bankmanager seien Schuld an der Krise, sondern der "Konsumrausch aller". Kaden verwies in seiner Verteidigung ebenso auf überzogene Lohnforderungen der Gewerkschaften und unrealistische Rendite-Forderungen von Anlegern wie auf "eine Gesellschaft, die hoffnungslos dem Wachstumswahn verfallen" sei.

Zur Verteidigung der Angeklagten Merkel führte Kaden an, sie habe sich während des G8-Gipfels im Jahre 2007 ebenso konsequent wie vergeblich für eine stärkere Kontrolle der internationalen Finanzmärkte eingesetzt. Das so genannte "Finanzmarktstabilisierungsgesetz", das dem Bund Ausgaben in Höhe von 480 Milliarden Euro außerhalb des offiziellen Haushalts erlaubt, sei in nur einer Nacht hinter verschlossenen Türen verabschiedet worden, "weil schnell gehandelt werden musste". Zu wütenden Protesten aus dem Publikum kam es, als Kaden absichtlich provozierend die Anklageschrift als "einseitig, dogmatisch und von abgehangenen altlinken Verschwörungstheorien durchzogen" bezeichnete. Hätte die Bundesregierung nicht gehandelt, wäre es zu einem "kompletten Crash des Finanzsystems" gekommen – das letztere Stichwort sorgte für tosenden Applaus.

Der inszenatorisch-theatrale Effekt kam während des Tribunals in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin nicht zu kurz: Die Anklageerhebung und Plädoyers sowie Beweisaufnahmen zu den Themen "Vorbereitung der Krise und Aushöhlung der Demokratie", "Zerstörung der ökonomischen Lebensgrundlage in Nord und Süd" und "Verschärfung der Krise" und die abschließende Urteilsverkündung sorgten teils für spannende Aufklärung, teils aber auch für populistisch-verfälschende Vereinfachungen. Das Publikum, das zum größten Teil bereits einen totalen Wirtschaftscrash erlebt haben dürfte, spielte bereitwillig in der Inszenierung mit – ein bemerkenswertes Schauspiel im ehemaligen Volkstheater der ehemaligen DDR.

Ein Urteilzum Schluss der Veranstaltung gab es auch: Darin gab die Jury der Anklage in vielen Punkten Recht. Demnach tragen die angeklagten Regierungen eine große Mitverantwortung sowohl für den Ausbruch als auch die Bewältigung der Krise.