Germany’s Next Außenminister: Die Charme-Offensive des NDR

Germany’s Next Außenminister: Die Charme-Offensive des NDR
Nach dem Erfolg von "Unser Star für Oslo" hat sich der NDR-Unterhaltungschef als Außenminister qualifiziert. Das nächste Castingformat könnte derweil "Next Pressesprecher" heißen.
17.03.2010
Von Henrik Schmitz

Castingshows nehmen im deutschen Fernsehen ja inzwischen etwas überhand. RTL sucht abwechselnd nach einem Superstar oder einem Supertalent, ProSieben hält Ausschau nach dem nächsten Topmodel und Vox hat demnächst den "X-Faktor" im Programm. Die Öffentlich-Rechtlichen haben sich aus dem Castingwahn bislang ziemlich rausgehalten, mal abgesehen davon, dass das ZDF mal den nächsten Bundeskanzler gesucht hat – drunter machen die es in Mainz nicht! Nur komisch, dass Roland Koch nicht in der Sendung war, aber wahrscheinlich hatte Nikolaus Brender damals das Studio abgeschlossen und den Schlüssel verschluckt.

Mit "Unser Star für Oslo" hat sich nun auch die ARD ins Castingmetier gewagt - allerdings hat mach sich allein dann doch nicht getraut. Und zugegeben: Frank Elstner oder Cherno Jobatey auf der Suche nach einem Star für Oslo? Oder Florian Silbereisen attestiert von Stefanie Hertel und Stefan Mross (nicht zu verwechseln mit Herrn Mronz, der macht schon die Wok-WM auf ProSieben, wenn er nicht gerade mit Guido Westerwelle auf Reisen ist)? Da könnte man gleich Joopi Heesters und die Jacob Sisters nach Oslo schicken und bei deren Auftritt - als Dita-von- Teese-Ersatz - im Hintergrund Mireille Mathieu an der Stange tanzen lassen. Das Lied dazu komponiert Gottlieb Wendehals ("Wir ziehen gleich die Löcher aus dem Käse. . . ") - Trash kommt beim Grand Prix ja immer ganz gut.

Alf Igel

Dass das Erste nun stattdessen auf die Grand-Prix- Kompetenz von Stefan Raab setzte, war so falsch nicht. Als Komponist mit dem Pseudonym Alf Igel war er beim Eurovision Song Contest bereits mit Guildo Horn am Start, sang selbst sein "Wadde hadde dudde da" und bescherte uns Max Mutzke. Diesmal beschert er uns Lena Meyer-Landrut, die sich laut "Satellite"- Liedtext nicht nur blaue Unterwäsche zugelegt hat, sondern sogar die Zehennägel lackiert, um den Traummann zu erobern. Mit derlei aufopferungsvollen Liebesgesten kann in Oslo eigentlich nichts schief gehen. Dennoch waren Lena und Raab bei der Pressekonferenz nach dem Finale in Köln etwas geknickt, weil die Zuschauer "Satellite" und nicht "Love Me" ausgewählt hatten, den Song, den Raab und Meyer-Landrut gemeinsam komponiert hatten.

Sollte die ARD demnächst über eine eigene Castingshow nachdenken, so sei ihr "Germany’s Next Pressesprecher/ in" empfohlen. In mehreren Runden müssten die Kandidaten ihr Können in Disziplinen wie "Gespielte Empörung über einen Fachaufsatz", "Schönreden für Fortgeschrittene", "Smalltalk mit Autisten" oder "Charmant sein, auch wenn’s wehtut" beweisen. Zur Show gehört auch eine "Big-Brother-Übung", bei der die angehenden Öffentlichkeitsarbeiter 24 Stunden lang mit einem Dutzend selbstverliebter und nervtötender Journalisten zusammengepfercht werden, die im Dreiminutentakt dieselben Fragen beantwortet haben möchten. Natürlich alle exklusiv!

Der Palmwedel

Sollte die ARD mit eigenem Personal antreten, wäre ihr in der Disziplin "Charmant sein, auch wenn’s wehtut" ein vorderer Platz sicher. Die Privaten müssten allerdings hart trainieren: Ohne auch nur einen Hauch von Empathie vorzuheucheln, scheuchte eine Brainpool-Sprecherin die Journalistenmeute bei der Pressekonferenz von "Unser Star für Oslo" auf die Plätze, als bereite sie sich für die Nachfolge von Heidi Klum als Model-Domina vor. Ganz anders die Mitarbeiterinnen vom NDR. Nicht nur, dass für Schnittchen und Bionade gesorgt wurde. Das absolute Highlight war, dass eine Mitarbeiterin einer Horde Fotografen, die sich vor Lena Meyer- Landrut postiert hatte, mit einem Palmwedel Luft zufächelte.

Zugegeben: Eigentlich sollte der Wedel Meyer-Landrut die Blickrichtung weisen, damit jeder Fotograf auch "sein Foto" bekam. Dennoch hatte die Szene etwas von spätrömischer Dekadenz. Für Oslo lässt dies auf Journalisten-Lounges hoffen, in denen Weintrauben und Käsewürfel gereicht werden. Wenn Lena dann noch zwölf Punkte von einem osteuropäischen Land erhält, hat sich NDR-Unterhaltungschef Thomas Schreiber als Nachfolger von Guido Westerwelle als Außenminister qualifiziert. Bei wichtigen Auslandsterminen wird er dann von Florian Silbereisen (Kultur), Börsenfrau Anja Kohl (Wirtschaft) und Peter Scholl-Latour (Krisenexperte) begleitet.


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Kultur und Medien.

Die Glosse ist erstmals im Fachdienst "epd medien" (Ausgabe 20/10) in der Rubik "Tagebuch" erschienen.