Comic: Kriegsberichte mit Tusche und Feder

Comic: Kriegsberichte mit Tusche und Feder
Kriege als zentrales Thema: Comic-Autoren erzählen mit journalistischen Mitteln von politischen Konflikten. Die Umsetzung in gezeichnete Bilder ermöglicht einen emotionalen Zugang zum Thema.
26.02.2010
Von Marcus Kirzynowski

Der Schlamm in den Straßen palästinensischer Flüchtlingslager oder der Alltag während der Belagerung Sarajewos sind ihre Themen: Comic-Autoren wie der US-Amerikaner Joe Sacco haben in den vergangenen Jahren ein ganz neues Genre geschaffen, die Comicreportage. Sie recherchieren in vielen Konfliktherden der Welt und stellen ihre Ergebnisse im Comic dar. Die Umsetzung in gezeichnete Bilder ist ungewöhnlich - und ermöglicht nach Ansicht vieler Kritiker darum einen besonders emotionalen Zugang zum Thema.

Kombination aus Interview und Comic-Zeichnung

Zu den Vorläufern der Comicreporter zählen Zeichner wie der Japaner Keiji Nakazawa, der den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima 1945 als Augenzeuge miterlebte. Ab 1972 verarbeitete er seine Erlebnisse in dem autobiografischen Manga "Barfuß durch Hiroshima" (deutsch im Carlsen-Verlag). Auch der US-amerikanische Comicveteran Joe Kubert, geboren 1926, nutzte das Medium Comic, um von einem Krieg zu erzählen. In "Fax aus Sarajewo" schilderte er die Erlebnisse seines bosnischen Literaturagenten in der belagerten Stadt. Andere Autoren wie Jacques Tardi haben politische Themen wie den Ersten Weltkrieg zum Thema literarischer Comicromane gemacht, der "graphic novels".

Als Begründer des Comic-Journalismus im engeren Sinne gilt aber der 1960 in Malta geborene US-Amerikaner Joe Sacco. Der gelernte Journalist bereiste im Winter 1991/92 mehrere Monate lang Israel und die Palästinensergebiete. Daraus entstand der Comic "Palästina" (1993-1995, deutsch als Neuausgabe in der Edition Moderne).

Die Form der Comic-Reportage ergab sich dabei eher zufällig. "Ich begann dort automatisch, Menschen zu interviewen", sagte Sacco dem niederländischen Comicmagazin "MYX". "Die Kombination aus den Interviews und meiner Art, Comics zu zeichnen, führte zu 'Palästina'."

In detaillierten, an die Undergroundcomics Robert Crumbs erinnernden Zeichnungen schildert Sacco den Alltag in palästinensischen Flüchtlingslagern, die Intifada gegen die Besatzer und die willkürlich erscheinenden Gegenmaßnahmen der israelischen Soldaten.

Aktualität gehört nicht zum Konzept

Weil er sich überwiegend unter Palästinensern aufhielt und deren Lebensumstände hautnah mitbekam, erzählt sein Comic stark subjektiv aus ihrer Perspektive. "Durch die vielen Wiederholungen entsteht eine einzigartige Atmosphäre", erklärte Sacco den Vorteil der gezeichneten Reportage. "So kommt der Schlamm in den Straßen der Flüchtlingslager in jedem Bild zurück und setzt sich im Gedächtnis des Lesers fest."

"Palästina" hat keine klassische Comic-Dramaturgie mit Spannungshöhepunkten. Episodenhaft wechseln sich Beschreibungen mit Zitaten und Berichten von Betroffenen ab - klassische journalistische Elemente.

Nach dem Kritikererfolg von "Palästina" widmete sich Sacco dem Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina: 2000 in "Safe Area Gorazde" sowie 2004 in "The Fixer". Für sein neuestes Buch "Footnotes in Gaza", das gerade in den USA erschienen ist, kehrte Sacco nach Gaza zurück und schildert die Ereignisse während der Suezkrise 1956. Aktualität gehört nicht zu seinem Konzept: Während er für seine vorhergehenden Bücher jeweils zwei bis drei Jahre brauchte, hat er am neuen sieben Jahre lang gearbeitet.

Strapaziöse Reise mit den Mudschaheddin

Auch für den Franzosen Emmanuel Guibert, geboren 1964, ist Krieg ein zentrales Thema. Nach "Alans Krieg" (ab 2000), das die Erlebnisse eines US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg erzählt, illustrierte er einen Reisebericht des Fotografen Didier Lefèvre. Der begleitete 1986, während des Krieges der Sowjets gegen die Mudschaheddin in Afghanistan, eine Gruppe von "Ärzte ohne Grenzen" von Pakistan in ihr afghanisches Einsatzgebiet.

Der dreibändige Comic "Der Fotograf" (ab 2003) dokumentiert die strapaziöse Reise mit den Mudschaheddin, in deren Karawane sich die Helfer durch die Berge vorarbeiten. Die Reportage kombiniert die stilisierten, fast abstrakten Zeichnungen Guiberts mit Fotos Lefèvres und gewinnt dadurch zusätzlich an Authentizität.

Künstlerische Distanz führt zu persönlicher Herangehensweise

Wieder einen anderen Weg wählte der israelische Filmemacher Ari Folman, geboren 1962. Er schuf mit "Waltz with Bashir" 2008 den ersten längeren animierten Dokumentarfilm. Dieser zeigt die Suche Folmans nach seinen verdrängten Erinnerungen aus der Zeit des Libanonkrieges 1982. Als Soldat war er bei Massakern in zwei Palästinenserlagern dabei.

Zunächst filmte der Regisseur die Interviews mit ehemaligen Kriegskameraden und anderen Zeitzeugen herkömmlich auf Video. Anhand dieser Filmaufnahmen entstanden Zeichnungen, die dann animiert wurden. "Diese künstlerische Entscheidung erleichterte mir durch Distanz die sehr persönliche Herangehensweise", erklärte Folman in einem Interview. Und aus den Zeichnungen für den Film entstand dann der Comic "Waltz with Bashir".

Literaturhinweise:
Ari Folman: Waltz with Bashir. Atrium Verlag, 2010. 22 Euro
Emmanuel Guibert: Alans Krieg. Edition Moderne, geplanter Erscheinungstermin Mai 2010
Emmanuel Guibert: Der Fotograf, Band 1-3, Edition Moderne, 2008-2009.
Joe Sacco: Palästina. Edition Moderne. Neuauflage 2009, 25 Euro Keiji Nakazawa: Barfuss durch Hiroshima, Band 1-4. Carlsen Verlag. 1973-1985 Joe Kubert: Fax aus Sarajewo. Carlsen Verlag, 1997