Steuersünder zeigen sich selbst an: Kein Grund zum Jubeln

Steuersünder zeigen sich selbst an: Kein Grund zum Jubeln
Seit eine neue Daten-CD im Umlauf ist, zeigen sich Steuersünder massenhaft selbst an. Ein Grund zum Jubeln ist dies nicht. Die Steuerhinterzieher zeigen keine Reue, sie haben lediglich Angst.
16.02.2010
Von Ingo Schütz

"Freude im Himmel wird sein über einen Sünder, der Buße tut" und zwar "mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen", heißt es in der Bibel (Lukas 15,7). Grund zum Jubel dürfte es in diesen Tagen daher reichlich geben. Scharenweise zeigen sich Steuersünder bei den Finanzämtern selbst an und bescheren dem Staat so Einnahmen in Millionenhöhe.

"In unseren Finanzämtern stehen die Faxgeräte vor lauter Selbstanzeigen nicht mehr still", sagte ein Sprecher der Hamburger Finanzbehörde der "Financial Times Deutschland". Nachdem eine CD mit Daten von Steuerflüchtigen aufgetaucht ist, sind auch in Bayern in den letzten Tagen 231 Selbstanzeigen eingegangen.

Ein Stück Gerechtigkeit

Die "Büßer" werden glimpflich davon kommen. Sie werden lediglich die nicht gezahlten Steuern der letzten zehn Jahre zuzüglich sechs Prozent Zinsen nachzahlen müssen. Auf mehrere hundert Millionen Euro an Nachzahlungen kann sich der Fiskus Schätzungen zufolge freuen. Und das, obwohl der Kauf der CD für angepeilte 2,5 Millionen Euro noch nicht einmal über die Bühne gebracht wurde. Aber gibt es wirklich einen Grund zum Jubeln über die, die nun ihre Steuern nachzahlen? Klar, der Fiskus erhält etliche Millionen wieder, die ihm zugestanden hätten. Das ist ein Stück Gerechtigkeit gegenüber dem so genannten ehrlichen Steuerzahler. Zum Jubeln ist dies aber dennoch nicht.

Gehandelt haben die vermeintlich Reumütigen wohl eher aus Angst denn aus Einsicht. Angst aber ist ein schlechter Ratgeber, für eine freiheitliche Gesellschaft allzumal. Sie führt nicht zu Ehrlichkeit, sondern zu besseren Methoden der Absicherung, zu mehr Kundschaft für Steuerfachanwälte. Aktuelle Nachfragen bei den entsprechenden Kanzleien belegen das.

Die Bibelgeschichte von Zachäus dem Zöllner

Es geht aber auch anders. Sucht man nach einer biblischen Interpretationsfolie für das Problem der Steuerhinterziehung, wird man im Lukas-Evangelium erstaunlich schnell fündig. Die Geschichte von Zachäus dem Zöllner ist vielen schon aus Kindertagen bekannt: Durch seine Arbeit als Steuereintreiber ist der kleine Mann schnell reich geworden. Stets verlangt er von seinen Mitbürgern mehr, als er nachher an die römischen Behörden abführt. Er behält Steuergeld ein, das nicht ihm, sondern dem Staat zusteht. Klassische Steuerhinterziehung, und das vor 2000 Jahren. Freunde macht er sich damit natürlich nicht.
In der Geschichte, wie sie in Lukas 15 erzählt wird, spricht Jesus den armen Reichen an und lädt sich bei ihm zum Essen ein. Zachäus erfährt ganz neu, was echte Gemeinschaft unter Menschen bedeutet. Angenommen zu sein, ohne Macht ausspielen zu müssen. Dieses Erlebnis ist so stark, dass er umkehren und als neuer Mann leben will. Er kündigt an: Wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. So gesehen sind die sechs Prozent des deutschen Steuerstrafrechts harmlos.

Die Pointe dieser Geschichte liegt im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion nicht in der Begegnung mit dem Messias, die einen Menschen fromm gemacht hätte. Wer weiß schon, wie viele Christen zu den Steuersündern gehören. Der Witz liegt vielmehr darin: Zachäus hat gemerkt, dass alles einen Preis hat, und oft ist der viel höher, als sich mit Geld ausdrücken lässt. Sein durch Steuerhinterziehung erworbener Reichtum kann ihm nicht ersetzen, was an anderer Stelle verloren gegangen ist. Das soziale Umfeld, der aufrechte Gang, die Achtung vor sich selbst.

Echte Einsicht

Nicht die drohende Strafanzeige war es, die Zachäus zur Umkehr bewegte. Nicht mal die Aussicht auf das ewige Höllenfeuer für seine schlimmen Sünden. Jesus droht überhaupt nicht. Er macht nur sichtbar, wie wertvoll die Dinge sind, die man als ehrlicher Mensch aufbauen und erleben kann. Wahre Einsicht ist es, die den Zöllner umkehren lässt. Darüber jubeln die Engel im Himmel, so die Bildsprache der Bibel. Jubel auf Erden in unseren Tagen würde dann herrschen, wenn es uns gelänge, derartige Einsichten auch bei denen zu wecken, die ihre Steuern immer noch am Fiskus vorbeischleusen.

Politik und Gesellschaft aber sind in vielen Fällen zu unkreativ dafür. Sie verstehen es nicht, den Blick zu wenden: Steuern zahlen heißt Gutes tun. Wie viele Kinder können in steuergeldfinanzierten Tagesstätten betreut werden, was Familien entlastet? Wie viele Jugendliche haben durch schulische Bildung Chancen im Leben erhalten, weil Lehrstätten durch Steuerfinanzierung hierzulande für alle Menschen frei sind? Wie viele Kilometer neuer Straßen werden mithilfe von Steuermitteln gebaut und steigern unsere Mobilität? Was eine Gesellschaft durch die gewinnt, die sich, nicht zuletzt durch die ehrliche Steuerentrichtung, für andere engagieren, lässt sich mit Geld gar nicht messen. Wenn dieser Zusammenhang bei allen Bürgern offenbar würde – das wäre dann wirklich ein Grund zum Jubeln.


Ingo Schütz ist Diplom-Theologe und Vikar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Er absolviert ein Spezialpraktikum bei "chrismon" und "evangelisch.de". Mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter Helene wohnt er in einem kleinen Ort im Taunus.