Wie ein Protestant Karneval und Fastnacht erlebt

Wie ein Protestant Karneval und Fastnacht erlebt
Jetzt geht sie ihrem Höhepunkt entgegen, die närrische Zeit. Doch nicht jeder neigt dem bunten Treiben zu. Unser Autor, in Unna geboren, hat für sich Faszinierendes am Karneval entdeckt.
08.02.2010
Von Thomas Dörken-Kucharz

Die Reformation hat dem Karnevalstreiben in ihren Geltungsbereichen ein Ende gesetzt und historisch kann man das verstehen. Diese rein protestantischen Gebiete gibt es heute zum Glück ja kaum noch, und so haben auch Protestanten mehr und mehr Berührungen mit dem Karneval. Zwar kenne ich auch überzeugte protestantische Kölner Jecken, doch den meisten – und zu denen zähle ich mich auch – geht er nicht so in Fleisch und Blut über, wie vielen katholischen Geschwistern. Das hat kulturelle und biographische Gründe.

Zwei Erinnerungen

I. Als Kind wachse ich Anfang der sechziger Jahre im Ruhrgebiet auf. Da ist Karneval eigentlich kein Thema. In dem kleinen Dorf bei Unna gibt es keinen Karnevalsumzug, nur einmal im Jahr ein Schützenfest. Den protestantischen Westfalen sind die lebensfrohen Rheinländer suspekt, schon Düsseldorf ist mit Vorsicht zu genießen, und Köln erst… Doch es gibt auch Risse in der Fassade, dank des Fernsehens. Die Übertragungen der Rosenmontagsumzüge werden bei uns zu Hause immer geschaut. Stundenlang ist meine Mutter kaum vom Fernseher wegzukriegen. Sie begründet das vor allem mit der sozialkritischen Komponente der Umzüge, nicht mit Lebenslust und ausgelassenem Feiern. Aber auch die traditionellen Übertragungen aus Mainz im ersten wie im zweiten Fernsehprogramm werden nie ausgelassen. Karneval wird also nicht wirklich gefeiert, aber medial genossen.

II. Um rechtzeitig da zu sein und einen guten Platz zu haben, sind wir am Fastnachtsdienstag um kurz nach fünf Uhr in Tübingen aufgebrochen, um nach Rottweil zu fahren. Bei Minus zehn Grad stehen wir dann seit morgens um sechs Uhr mit Zehntausenden am Straßenrand und warten auf den mit dem Glockenschlag Punkt 8 Uhr beginnenden Narrensprung. Bis dahin war mein Bild von Fastnacht oder Karneval eher rheinisch geprägt. Staunend und fasziniert, aber auch distanziert wohne ich dieser eher düsteren Veranstaltung bei. Irgendwie ist es einfach zu kalt, um ausgelassen zu sein.

Sich auf Zeit in eine andere Rolle begeben

Trotz oder wegen dieser Erfahrungen gehöre ich insgesamt wohl eher auf die Seite der Karnevalsmuffel. Einige ausgelassene Karnevalsfeiern im privaten wie öffentlichen Rahmen kann ich zwar besteuern, aber die fünfte Jahreszeit geht meistens ziemlich spurlos an mir vorüber, wenn man von Kinderkarneval und dergleichen absieht. Faszinierend ist für mich aber der karnevalistische Grundgedanke, eine zeitlang jemand anderer sein zu können, sich in eine andere Rolle zu begeben. Da ist mir längst die pietistische Strenge, die ich in Jugendjahren (ohne Fastnacht!) in Schwaben auch erlebte, zuwider und zu lebensfeindlich. Die Konflikte, die noch heute in manchen (evangelischen) Kindergärten ausgefochten werden, ob die Kinder sich zu Karneval verkleiden dürfen, sollten längst der Vergangenheit angehören.

Und um theologisch zu werden: Sich zu verkleiden, eine Gegenwelt darzustellen, heißt eben nicht, sein Christsein zu verspotten und zu leugnen, sondern befreit und fröhlich zu spielen. Gott erfreut sich schon im Alten Testament daran, dass die Weisheit vor ihm spielt. Da hat er nichts gegen fröhliches Ausgelassensein und Feiern. Und auch nichts gegen Rollentausch und -spiele. Denn dass die Ersten die Letzten sein werden und umgekehrt, ist ja gerade ein Merkmal des Reiches Gottes. So ist für mich gerade die sozialkritische Karnevalstradition der Umzüge mit ihrer Herrschaftskritik weniger Ausdruck der Herrschaft des Teufels (die dann am Aschermittwoch ein jähes Ende findet), vielmehr kann sie ein Aufblitzen des Reiches Gottes sein.