Notizen aus Davos: Die Lebenslügen der Liberalen

Notizen aus Davos: Die Lebenslügen der Liberalen
Das Weltwirtschaftsforum in Davos hat vor Augen geführt, wo die Ursachen für die globale Finanzkrise liegen, die auch eine Vertrauenskrise ist. Zur Lösung der Probleme trug das Treffen nichts bei.
01.02.2010
Von Walter Bock

Viele Gipfel sind in den vergangenen Monaten abgehalten worden. Nach dem Haiti- und dem Afghanistangipfel nun also ein weiterer Gipfel. Unter dem Motto "Den Zustand der Welt verbessern: überdenken, umgestalten, erneuern" lud das World Economic Forum (WEF) vom 27. bis 31. Januar zur 40. Jahrestagung nach Davos. Über 2.500 Teilnehmer aus mehr als 90 Ländern folgten der Einladung.

"Ein Partner in der Gestaltung von Geschichte" titelt das WEF in einer 280-seitigen Broschüre über die 40 Jahre seiner Tätigkeit. Ein Anspruch, dem das Jahrestreffen 2010 keine Inhalte folgen ließ. Aber wie sollte ein solches Treffen auch anders aussehen als viele der vorangegangenen Gipfel, die außer schönen Verlautbarungen wenig Veränderung in der Realität gebracht haben. Doch für Klaus Schwab, Gründer und Präsidenten des WEF, war dieses Treffen schon vor Beginn "ein Rekord, was Anzahl und Rollen der Teilnehmer anbelangt. Dies spiegelt unser Streben wider, eine gemeinsame Lösung für die sich zuspitzenden Probleme zu finden."

Für andere ist das Forum schon lange ein Dorn im Auge. Die Schweizer Nichtregierungsorganisation "Erklärung von Bern" koordiniert zusammen mit Greenpeace eine Gegenveranstaltung zum jährlichen Treffen des WEF. Diese vergibt mit dem "Public Eye Award" einen Schmähpreis, der unverantwortliches Handeln anprangern soll. Dieses Jahr traf es unter anderem den Roche-Konzern für eine pharmazeutische Studie in China. Oliver Classen, Sprecher des Public Eye Awards, nimmt kein Blatt vor den Mund: "Das WEF zehrt von einer Lebenslüge. Es tut so, als würde es die Welt verbessern. Dabei ist es nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Es zementiert und symbolisiert das Primat der Wirtschaft über die Politik." Bei der Preisverleihung sollte der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz als Sprecher auftreten, musste sich aufgrund flugtechnischer Probleme jedoch mit einer Videobotschaft begnügen. Er kritisierte, dass man aus der Krise nichts gelernt habe und viele Reformpläne für das Finanzwesen schon wieder in den Schubladen verschwunden seien.

Die Bundesregierung schwieg in Davos zur Bankenkrise, die gegenüber anderen Themen in Davos im Vordergrund stand. Fast um die Einschätzung von Oliver Classen zu bestätigen, schaffte sie es sogar, die Querelen der schwarz-gelben Koalition auf das internationale Parkett zu exportieren. Minister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), jetzt ja eigentlich fürs Militär zuständig, empfing am Samstagmorgen 20 Vertreter der deutschen Wirtschaft - und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) war sauer. Er würde ja auch keine Generäle einladen, soll er dazu gesagt haben. Zu Guttenberg hat sich dann wohl mit dem Ausdruck der "beleidigten Leberwurst" revanchiert. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) kam, obwohl angesagt, nicht nach Davos. Begründung: das Wetter.

"Ende der Rhetorik" verlangt

So wird der Davoser Gipfel für Kabarettisten sicher ein gefundenes Fressen sein. Doch wie sah es mit dem Motto aus? Gab es Impulse zum Umgestalten und Erneuern? Mit Blick auf die Eröffnungsreden muss konstatiert werden, dass einige Politiker sich nicht mit der gegenwärtigen Situation der Finanzwirtschaft zufrieden geben wollen - zumindest rhetorisch war einiges geboten. In ihrer Auftaktrede hatte die schweizerische Bundespräsidentin Doris Leuthard ein "Ende der Rhetorik" gefordert. Zur Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise seien Taten statt Worte nötig. Sie kritisierte dabei das Verhalten der Banker, die keine Verantwortung für die von ihnen geschaffene Lage übernehmen würden und sich stattdessen die höchsten je dagewesenen Boni auszahlen würden.

Ihre Kritik machte auch vor anderen Regierungen nicht halt: "In der Realität macht man wenig; ausgenommen vielleicht die Jagd auf Steuersünder mit teils zweifelhaften Methoden." Ob damit nur der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy gemeint war oder ob dies auch an die Adresse der Bundesregierung gerichtet war, der ebenfalls gestohlene Schweizer Bankdaten angeboten wurden, sei dahingestellt. Jedenfalls protestierte die Schweiz in Berlin und warnte vor dem Kauf der gestohlenen Daten - dies könne das Verhältnis zwischen den Ländern belasten.

Sarkozy, der mit gestohlenen Daten einer Genfer Bank französische Steuersünder entlarven will, blies zumindest rhetorisch ins selbe Horn: Er machte eine "Krise der Globalisierung" und einen "entarteten Kapitalismus" aus. Auch der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, sieht ein "globales Problem" bei den Banken. Für Trichet ist es notwendig, globale Veränderungen vor zu nehmen. "Wenn wir nur lokale, regionale, nationale oder kontinentale Lösungen finden, ist das das Rezept für eine neue Katastrophe." Diese sieht das WEF laut ihrem „Weltrisikobericht“ zum Beispiel in einem möglichen Börsencrash in China.

Unbelehrbare Banken

Doch die Banker wehren sich gegen den Versuch ihnen die Flügel zu stutzen. Josef Ackermann - in Blogs schon als deutscher Regierungssprecher tituliert - fordert ein "Ende des Bankerbashing" - man solle jetzt nach vorne blicken. Er meint, dass gerade in den Vergütungssystemen große strukturelle Veränderungen seitens der Banken vorgenommen wurden. "Wir haben viele Maßnahmen ergriffen, die alle in die richtige Richtung weisen", sagte Ackermann in einem Interview mit der Deutschen Welle.

Ein US-Untersuchungsausschuss, der die Rettung der amerikanischen Versicherungsgesellschaft AIG begutachten sollte, förderte allerdings unlängst zutage, an wen die amerikanischen Rettungsmilliarden tatsächlich geflossen sind. Mit 11,3 Milliarden US-Dollar war die Deutsche Bank drittgrößter Nutznießer amerikanischer Steuergelder. Kein Wunder, dass "Mr. 25 Prozent", wie er in den Medien wegen seines Renditeziels  genannt wurde, eine Entschädigung der Steuerzahler für die Rettung seiner Branche ablehnt. Statt der versprochenen Impulse für die noch nicht überstandene Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise sah man also festgefügte Gedankengebäude aufeinanderprallen. Auf der einen Seite die Politiker, Notenbanker und Wirtschaftswissenschaftler - auf der anderen Seite vor "Überregulierung" warnende Banker. Statt eines echten Dialogs, der dem Motto "Überdenken" gerecht geworden wäre, der Austausch von schon bekannten Statements.

In der Realität der Banken geht es schon wieder zur Sache. 2500 Ex-Lehman-Mitarbeiter in Europa sollen für ihre Arbeit in den Krisenjahren 2008 und 2009 - wir erinnern uns , die Lehman-Pleite war mitverantwortlich für die Krise - Garantieboni in Höhe von zwei Milliarden Dollar kassiert haben. Und der Ex-Europachef von Lehman klagt beim Konkursverwalter seines alten Arbeitgebers 17,3 Millionen Dollar ein, die ihm noch nicht ausgezahlt worden sind.

London erhebt Steuern auf Boni

Auf die unbelehrbar Gierigen unter den Investmentbankern reagierte am Rande des Treffens in Davos auch der Bürgermeister von London, Boris Johnson. "Für die Meister des Universums ist es an der Zeit zu zeigen, dass sie Diener der Gesellschaft sein können", sagte er in einer Reaktion auf Bestrebungen von Bankern, London zu verlassen, um den dort mittlerweile hohen Steuern für Bankenboni zu entgehen. Außer schöner Rhetorik gab es also nicht viel, was den Aufwand von Davos gerechtfertigt hätte. So resümierte die "New York Times" schon am Samstag, dass man vom Davoser Gipfel folgendes mitnehmen könne: Das Vertrauen in Regierungen und Unternehmen, vor allem in Banken ist so flüchtig wie sicherer Halt auf den eisigen Straßen des alpinen Urlaubsort geworden.

Die Presserklärungen zum Schluss des Davoser Treffens ähneln denn auch schon bekannten Beschwörungen von Gemeinplätzen von nachhaltiger Entwicklung und Wiederaufbau der Ökonomie auf der Basis von Prinzipien. Für die selbst von der Krise unmittelbar Betroffenen Menschen muss sich dies wie Hohn anhören. Es wird viel - mitunter auch mit kräftiger Rhetorik - geredet, es geschieht aber nichts. Es geht zum Beispiel um die Kredite von Hauskäufern, die rund um den Globus gehandelt wurden und jetzt wieder dort aufschlagen, wo sie herkommen. Es geht um Menschen, die aus ihren Häusern vertrieben werden, weil Banker Boni für den Abschluss von Krediten bekamen. Und es geht darum, dass dieser Automatismus aus Überschuldung und Verlust der Wohnung Obdachlose produziert und selbst Familien in Not bringen, die noch Arbeit haben.

Umdenken im Sinne des Anspruchs, den das World Economic Forum aufstellt, würde zum Beispiel bedeuten, keine Räumungsklagen seitens der Banken an die Gerichte zu geben, sondern die Menschen in "ihren" Häusern als Mieter weiter wohnen zu lassen, bis sich der Immobilienmarkt wieder verbessert hat. Entwickelt wurde die Idee - von einem Banker in New York. Ein Trost, dass es noch lernfähige Banker gibt. Auch auf der Seite der Betroffenen gibt es Lernende: "Take back the land" ist eine Initiative, die leer stehende Häuser sucht und sie wieder für obdachlose Familien "in Betrieb" nimmt - eine neue Art der Hausbesetzung, die eine Zerstörung von Werten verhindert, weil Häuser zu lange leer stehen.

In Deutschland ist diese Form der Realität (noch) nicht angekommen - wir könnten aber vor ähnlichen Entwicklungen stehen, wenn nicht "überdacht, umgestaltet und erneuert" wird. Die Krise ist hierzulande durch Kurzarbeit und anderes noch abgefedert worden - es ist allerdings nicht sicher, ob dies so bleibt. Doch auch hierzulande gibt es Lernende: Franz Fehrenbach, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH, droht Banken, die übertriebene Boni zahlen, die Aufkündigung der Zusammenarbeit an. Wohl dem, der sich dies leisten kann. Man sollte allerdings nicht vergessen, dass alle eine Wahl haben - dass es möglich ist, mit zwei Füßen abzustimmen und Standpunkte einzunehmen.

Für das Geld oder für den Menschen?

"Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten. Wer in geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu; und wer im geringsten ungerecht ist, der ist auch im Großen ungerecht." (Lukas 16,9-10)

Es geht nicht darum, die Branche der Banker zu verteufeln - es geht darum, eine Wahl zu treffen, den Denkweisen ungebremsten Profits zu entsagen, einer beginnenden Brasilianisierung unserer Gesellschaft entgegenzusteuern. Dies beginnt mit der Frage, ob wir uns nicht schon zu sehr daran gewöhnt haben, Profite auf Kosten anderer zu machen - und dies normal zu finden. Im Kleinen zeigt sich diese Denkweise zum Beispiel darin, dass die Gebühren für die Nutzung eines Geldautomaten nichts mehr mit den tatsächlichen Kosten zu tun haben. Die Leitzinsen für die Banken sind seit dem vergangenen Jahr um mehr als drei Prozent gefallen - zahlen Sie jetzt auch entsprechend weniger Zinsen, wenn Sie ihr Konto überziehen?

Die vier großen Stromkonzerne in Deutschland haben ihre Gewinne innerhalb von fünf Jahren laut einer Studie der grünen Bundestagsfraktion mehr als verdreifacht. Würde es jemand übelnehmen, wenn diese Konzerne in Krisenzeiten auf ein Mehr an Gewinn verzichten würden und die Preise trotz vielleicht gestiegener Rohstoffpreise stabil hielten oder gar senken würden? Würden Sie sich wirklich wundern, wenn die als Klientelpolitik der FDP bezeichnete Senkung der Umsatzsteuer für das Hotelgewerbe tatsächlich eng mit der Parteispende verbunden wäre, die die FDP aus der Hotelbranche erhalten hat?

Wir haben uns zu sehr an die Katastrophen gewöhnt - Bayern hatte schon 3,7 Milliarden Euro in den Ausflug seiner Landesbank in die Hypo Alpe Adria Group (HAAG) versenkt, als nochmals 800 Millionen Euro dazu kamen. Haben Sie das Gefühl, dass sich bei den Verantwortlichen (auch den Politikern) Konsequenzen zeigen? Würden Sie die gestohlenen Schweizer Bankdaten für 2,5 Millionen Euro kaufen, wenn Sie damit "Steuersünder" überführen könnten und 100 Millionen Euro Steuernachzahlungen kassieren könnten? Wie denken Menschen, die es für normal halten, eigentlich zu versteuerndes Geld ins Ausland zu schaffen?

Mit einem Fuß im Spielcasino

Eine der tieferen Ursache der Finanzkrise lag daran, dass die Finanzwirtschaft rascher wuchs als die Realwirtschaft. Doch man kann aus Geld nicht unbeschränkt mehr Geld machen, wenn keine realen Dienstleistungen oder Produkte gekauft werden. Wenn die Diskrepanz zu schnell wächst, gibt es eine Blase - und die platzt irgendwann mit zerstörerischer Kraft. Investmentbanker, die zum Beispiel auf fallende oder steigende Rohstoffpreise spekulieren: Nur aus solchen Geschäften sind die von Josef Ackermann geforderten 25 Prozent Rendite überhaupt zu erzielen. Die Bank ist damit immer mit einem Fuß im Spielcasino, egal wie gut die Sicherungsmaßnahmen sind. Andere Banken,die Sparkassen etwa, sind froh, wenn sie auf acht Prozent Rendite kommen.

Viele Investmentbanker sahen sich als die "letzten Alchemisten" dieser Welt - sie konnten einen alten Traum wahr machen: Geld aus sich selbst heraus zu noch mehr Geld machen. Es funktionierte nur eine Zeit lang. Diese Zeit war nun zu Ende, und wir tun gut daran, diese Krise als das wahrzunehmen, was sie wirklich ist - eine Glaubenskrise. Denn auch andere Manager glaubten oder glauben immer noch an die ungebremste Vermehrung von Profit.

Um die Finanz- und Wirtschaftskrise wirksam zu überwinden gibt es drei Felder, auf denen gleichzeitig gearbeitet werden muss: Zum einen geht es darum, in unserem Denken und Fühlen Platz zu machen für eine wirklich wertegetriebene, nachhaltige Wirtschaftsweise. Zum anderen sollten wir verbindliche Rahmen schaffen, damit wir sicher sind, nicht übervorteilt zu werden, wenn Menschen, Branchen etc. nicht zum überdenken, umgestalten und erneuern bereit sind.

Die dritte Möglichkeit ist die Notfalloption für Auswüchse, die uns schaden - sie stammt vom Chef der deutschen Bank Josef Ackermann: Er sagte auf dem Treffen des WEF zusammengefasst folgendes:
Wenn ich die Unterstützung der Gesellschaft verliere, kann ich meine Unternehmensziele nicht erreichen und wenn ich das Vertrauen der Gesellschaft bereits verloren habe, genügt es nicht, nur technisch zu reagieren - ich muss auch moralisch reagieren. Diese dritte Möglichkeit bedeutet, anderen klar zu machen, dass sie durch ihr Handeln das Vertrauen verloren haben - es auszusprechen. Damit Sie begreifen was ihre Handlungen auslösen. Das Vertrauen in Politiker, Unternehmen und Banken ist flüchtig geworden. Wenn Sie also zu denen gehören, die es verloren haben, sprechen Sie es aus - und stimmen Sie mit ihren beiden Füßen ab.


Walter Bock ist selbstständiger Unternehmensberater und Trainer für Führungskräfte. Er beschäftigt sich a ch mit "Leadership" und ethischer, verantwortungsvoller Firmenleitung.