Der kommentierte Aphorismus (XV)

Der kommentierte Aphorismus (XV)
In seiner Kolumne kommentiert Hasso Mansfeld Aphorismen. In dieser Folge hat er sich ein Wort von Josemaría Escrivá vorgenommen. Thema: der Schmerz.
11.01.2010
Von Hasso Mansfeld

"Schmerz adelt" - Josemaría Escrivá de Balaguer y Albás, Katholischer Geistlicher, Gründer des Opus Dei, geboren am 9. Januar 1902 in Barbastro, Spanien, gestorben am 26. Juni 1975 in Rom

Dass nicht unbedingt jeder Aphorismus kritiklose Zustimmung verdient, zeigt dieser Spruch von Josemaria Escriva. Für den Gründer der katholischen Laienorganisation Opus Dei ist Schmerz generell etwas Gutes. Seiner Meinung nach adelt Schmerz denjenigen, der ihn erfährt – im wörtlichen Sinne des Begriffs Adel: Er versetzt den Leidenden in einen höheren, auch gesellschaftlich höheren Stand. Aufgrund dieser „heiligen“ Qualität des Schmerzes darf man sich Escriva zufolge auch bewusst selber Schmerz zufügen, um in den Genuss eines höheren Standes zu kommen.

Ein altes deutsches Sprichwort sagt: „Nur am Schmerz reift der Mensch“, und in der Tat ist Schmerz der schnellste Weg zu Erkenntnis. Je mehr Erkenntnis wir erlangen, desto näher kommen wir Gott. In vielen Religionen wird daher angestrebt, sich Gott durch selbst zugefügte Schmerzen zu nähern.

Schmerz ist jedoch ein Mittel unseres Unterbewusstseins, um uns auf individuelles Fehlverhalten aufmerksam zu machen. Er gibt uns die Möglichkeit darüber nachzudenken, was wir grundsätzlich falsch machen. So verdeutlicht der Schmerz einem Kind, das auf eine heiße Herdplatte fasst, die Gefahr, Gegenstände von hoher Temperatur zu berühren. Der Liebeskummer zeigt uns, dass wir uns in den falschen Menschen verliebt haben und lässt uns beim nächsten Rendezvous aufmerksamer hinschauen, wem wir unser Herz anvertrauen.

Schmerz ist also immer ein deutlicher Hinweis unseres Unterbewusstseins darauf, was wir nicht richtig machen. Lernen wir nicht aus dem ersten Fehler, wird der nächste Schmerzimpuls stärker ausfallen als der vorherige. Aus der vom Schmerz veranlassten Reflektion heraus reifen wir, nicht durch den Schmerz an sich. Schmerz zum Instrumentarium des Bewusstseins zu machen, ihn sich selber zuzufügen, ist daher selbstsüchtige Manipulation.


Über den Autor:

Hasso Mansfeld arbeitet als selbstständiger Kommunikations-Berater. Die Beschäftigung mit philosophischen Fragen ist fester Bestandteil seiner Beratungstätigkeit. Für seine Ideen und Kampagnen wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet.