Weihnachten für Heimkinder: Hoffnungen und Ängste

Weihnachten für Heimkinder: Hoffnungen und Ängste
Mustafas Augen leuchten vor Glück. Einmal während der Adventszeit bekommt jedes der sieben Kinder in seiner Wohngruppe ein großes Geschenk aus dem Adventskalender. Heute ist er dran. Der 13-Jährige bekommt sein erstes Männerparfüm.
16.12.2009
Von Martina Schwager

Mustafa hält die Flasche fest und blickt versonnen vor sich hin. "Oder sollen wir es umtauschen in einen Kinderduft?" fragt Betreuer Hubert Schulhof. Die Frotzelei reißt Mustafa aus seinen Gedanken. Weihnachten ist für die etwa 55.000 Heimkinder in Deutschland mit vielen Hoffnungen, Zweifeln und Ängsten verbunden. Denn an Weihnachten wollen die meisten ihre Eltern besuchen. "Und genau diese Erwartung und die damit verbundenen Unsicherheiten lösen in den Wochen zuvor viele Emotionen aus", sagt Matthias Westermann, Erziehungsleiter der Evangelischen Jugendhilfe Osnabrück.

Auch Mustafa (13), Eric (9), Laura (9), Götz (15), Maurice (8), Manuel (14) und Stefan (12) haben schon überlegt: "Kann ich zu Mama und ihrem neuen Freund? Hat Oma Zeit, wenn Papa nicht kann? Reicht das Geld für Geschenke? Soll ich was mitbringen, auch wenn ich vielleicht nichts bekomme? Hoffentlich gibt es nicht wieder Krach. Haben sie überhaupt Zeit für mich oder sitzen wir stundenlang vor dem Fernseher?"

Schwierige Rückkehr in einen normalen Tagesablauf

Die meisten Eltern waren mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert, manche haben sie vernachlässigtoder gar misshandelt. Viele Kinder haben Schäden an Körper und Seele davongetragen: Lernschwäche in der Schule, Aggressionen gegenüber Gleichaltrigen, Rückzug in eigene Welten bis hin zu Depressionen sind die Folge, sagt Wilma Schröder-Schulhof.

Die Erzieherin und ihr Mann Hubert, Lehrer und Heilpädagoge, versuchen, das mit einem möglichst normalen Familienalltag aufzufangen - und mit Therapien und Übungen, die sie in den Tagesablauf einbauen. Sie leben mit den sieben Kindern in einem alten Bauernhaus in Vehrte bei Osnabrück. Heimkinder würden immer häufiger in kleineren, familienähnlichen Wohngruppen untergebracht, die wie bei den Schröder-Schulhofs von ausgebildeten Betreuer-Ehepaaren geleitet werden, sagt Bernd Herzig vom niedersächsischen Landesjugendamt.

Der große ovale Tisch im Esszimmer ist mit Kerzen und Tannengrün geschmückt. Mustafa und die anderen essen selbst gebackene Kekse und basteln Weihnachtskarten. Die wollen sie nachher auf einem Basar verkaufen. "Manche im Ort glauben immer noch, wir seien eine Familie", sagt Wilma. Derweil ruckelt Maurice auf ihrem Schoß herum und löffelt seinen Tee. Wilma krault seinen Rücken.

Die schönste Karte ist für die Mutter

"Doch gerade in der Vorweihnachtszeit vermissen Heimkinder eine richtige Familie, wie ihre Klassenkameraden sie haben", sagt Erziehungsleiter Westermann. Manche reagieren dann geradezu allergisch auf Kerzenschein und Plätzchenduft. Auch in dem Bauernhaus in Vehrte geht es vor Weihnachten nicht immer so harmonisch zu. Aber heute freuen sich alle auf den Adventsbasar. Sie sind stolz auf ihre selbst gebastelten Karten.

Mustafa weiß mittlerweile, dass er über die Feiertage zu seiner Mutter kann. Es war lange Zeit unklar, weil sie inzwischen in Ostdeutschland wohnt. Wenn sie abgesagt hätte, wäre er sehr enttäuscht gewesen. Er hätte dann mit Wilma und Hubert Weihnachten feiern können - immerhin. Auch Eric denkt vor dem Kartenverkauf an den bevorstehenden Weihnachtsbesuch: "Die schönste Karte behalte ich für meine Mutter."

epd